USA-Taliban-Abkommen
Der Sieg des reaktionären Radikalismus
Abdulmelik Ş. Bekir
Zwischen den USA und den Taliban wurde das Abkommen »Frieden nach Afghanistan bringen« geschlossen. Für die USA unterschrieb ihr Sonderbeauftragter Zalmay Halilzad und stellvertretend für die Taliban Molla Abdulgani Birader.
Der wichtigste Artikel des Abkommens bezieht sich zweifellos auf die militärische Präsenz der USA. Nach diesem werden die USA und ihre Verbündeten Afghanistan innerhalb von 14 Monaten verlassen, und es werden politische Gespräche zwischen den afghanischen Parteien initiiert, sollten die Taliban das Abkommen einhalten.
Im folgenden Monat werden politische Gefangene zwischen den Parteien ausgetauscht, es werden die gegen Taliban-Mitglieder verhängten Sanktionen aufgehoben und die USA werden die neue afghanische Regierung unterstützen. Im Gegenzug werden die Taliban mit keinen Personen oder Strukturen kooperieren oder sie in Afghanistan dulden, die eine Gefahr für die USA darstellen, darunter auch al-Qaida. Die Taliban werden ihre Beziehungen zu al-Qaida beenden und den Krieg gegen den »Islamischen Staat« IS in Afghanistan fortsetzen.
Unabhängig von Vor- und Nachteilen für die einzelnen Parteien kennzeichnet das Abkommen den Beginn einer neuen Ära in Afghanistan. Einschließlich der Zeit der englischen Besatzung und des englischen Mandats für Afghanistan befindet sich das Land seit seiner Gründung in einer Art Bürgerkrieg, der mal heftiger und mal weniger heftig ausgetragen wird. Ob das Abkommen zu einem dauerhaften Frieden beiträgt, ist fraglich. Der Vorsitzende des Politbüros der Taliban, Molla Abdulgani Birader, erklärte nach Abschluss der Gespräche die Errichtung islamischer Strukturen zum primären Ziel. Die Aussagen sind Hinweise auf die für die Zukunft angedachte Praxis der Taliban.
Das Wesentliche des Abkommens ist, dass die USA bereit sind, Afghanistan zu verlassen, sollten ihre Interessen dort weiterhin vertreten werden. Eine Möglichkeit der von den USA unterstützten Kräfte, ein Gegengewicht zu den Taliban zu bilden, gibt es praktisch nicht. Während die Taliban eine homogene, aus Paschtunen bestehende Zusammensetzung unterstützen, ist die von den USA unterstützte Regierung heterogen zusammengesetzt und besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken sowie verschiedenen Konfessionen wie Schiiten und Sunniten. Der militärische Rückzug der USA wird eine dauerhafte Schwächung dieser Gruppen zur Folge haben. Die Taliban halten trotz der US-Präsenz wichtige Teile des Landes, und es scheint, als sei im Falle eines Rückzugs der USA die Herstellung der vollständigen Kontrolle über das gesamte Land innerhalb kürzester Zeit bereits entschieden.
Warum liefern die USA Afghanistan den Taliban aus?
Die Frage ist nun: Warum liefern die USA Afghanistan den Taliban aus, trotz der Konkurrenz zu China und der Absicht, den Iran einzukreisen und den Einfluss Russlands einzuschränken? Afghanistan, das lebenswichtig ist zur Erreichung dieser Ziele? Um die Frage zu beantworten, müssen zunächst die Beziehung zwischen den Taliban und den USA beleuchtet und ihre Widersprüche offengelegt werden.
Die USA standen nie im grundsätzlichen Widerspruch zu den Taliban. Man erinnere sich an deren gute Beziehungen nach Washington in den ersten Jahren nach ihrer Gründung. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die USA über Saudi-Arabien und Pakistan Einfluss nahmen auf die Machtergreifung der Taliban. Nach ihren Berechnungen sollten sie Stabilität im Land herstellen und den Einfluss der Verbündeten Pakistan und Russland sowie den des Iran im Mittleren Osten ausgleichen.
Die Taliban kamen leichter und schneller an die Macht als angenommen und wurden durch die Ausrufung des Islamischen Emirats zu einer wichtigen Kraft. Sie nahmen, ganz im Sinne der USA, eine Haltung gegen Russland und den Iran ein. Doch schon nach kurzer Zeit entwickelte sich Afghanistan zu einem Aufenthaltsort salafistischer und radikaler Gruppierungen, allen voran al-Qaidas. Selbst das führte zu keiner Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Taliban und den USA. Erst mit dem Angriff vom 11. September 2001 durch al-Qaida gerieten die Taliban ins Fadenkreuz der USA. Deren Besetzung Afghanistans begann nach der Ablehnung ihrer Gesuche um Auslieferung von Al-Qaida-Führern.
Die damalige Regierung hatte bereits gegen die Taliban gekämpft und verloren und war durch die »Nordallianz« mit Paschtunen aufgestockt worden. Die aus Usbeken, Tadschiken, Schiiten bestehende und durch den Iran und Russland unterstützte »Nordallianz« nahm aktiv am Kampf der USA gegen die Taliban teil und stellte später die Regierung. Wegen deren Beziehungen zum Iran und zu Russland haben die USA immer jenen Gruppen in den Regierungen misstraut, die aus der »Nordallianz« stammten. Die USA und ihre Verbündeten hatten keine Schwierigkeiten bei der Besetzung Afghanistans. Allerdings konnten sie, wie bereits bei anderen Interventionen, ihr destruktives Potential nicht ausgleichen und Stabilität garantierende Maßnahmen durchsetzen. Bei ihren Interventionen, vor allem in Afghanistan und im Irak, konnten sie keine langfristigen Strukturen aufbauen und scheiterten an der Schaffung stabiler Verhältnisse. Und das führte zu Schwierigkeiten bei ihren Einsätzen, in finanzieller und ökonomischer Hinsicht.
Eine oppositionelle Haltung gegenüber Auslandsinterventionen seit dem Vietnamkrieg und Schwierigkeiten, die der Krieg mit sich bringt, belasten die USA innenpolitisch. Der einzige Weg, aus dieser Sackgasse und der mit ihr verbundenen Krise herauszukommen, scheinen die Reduzierung der militärischen Präsenz und der Rückzug aus einigen Gebieten zu sein. Das Abkommen mit den Taliban ist ein Prozess, um diese Politik konkret umzusetzen.
Ein weiterer Grund für den Beginn der Verhandlungen ist die Erfolglosigkeit der US-Partner in der Region. In den letzten 19 Jahren konnten diese keine vorzeigbaren Leistungen erbringen. Spaltung und Widersprüche im Innern führten zur Vernachlässigung öffentlicher Dienstleistungen. Staatsvermögen und externe Fonds landeten in einem Räderwerk aus Veruntreuung und Korruption. Während aus diesen Gründen das Vertrauen des Volkes in die Regierung nach und nach erlosch, reorganisierten sich die Taliban innerhalb der Bevölkerung und erfuhren wachsende Unterstützung.
Die Erfolglosigkeit der USA und der ihnen verbundenen Regierung und der daraus resultierende Aufstieg der Taliban blieben in den letzten Jahren auch dem Iran und Russland nicht verborgen. Beide Staaten empfingen die Taliban in ihren Hauptstädten mit dem Ziel, sie als Trumpf gegen die USA ausspielen zu können. Daraus resultierte der Zug der USA, ihrerseits Gespräche mit den Taliban aufzunehmen. Doch die Widersprüche zwischen den Taliban und Russland bzw. dem Iran waren größer als die zwischen den Taliban und den USA.
Selten gehen Pläne auf, wie sie sollen
Der vor kurzem unterzeichnete Vertragstext drückt im Wesentlichen die Rückkehr zu den Verhältnissen von vor zwanzig Jahren aus. Die Taliban werden keine den USA und deren Verbündeten feindlich gesonnenen Gruppen im Land dulden oder unterstützen, dafür garantieren die USA Unterstützung für eine neugebildete Regierung und Beistand auf internationalen Plattformen. Diese Zugeständnisse bilden den Rahmen des Abkommens.
Regionale und internationale Auswirkungen dieser Situation werden sich in der kommenden Zeit offenbaren. Die von den USA nach dem 11. September ausgerufene Strategie »Krieg gegen Terrorismus und Diktatur, Herstellung des Friedens und Unterstützung der freien Gesellschaften« wird mit diesem Abkommen bankrott erklärt. Die USA werden mit den Kräften weiterarbeiten, die ihren Interessen dienen. Die Reinwaschung von al-Qaida durch den Syrien-Beauftragten der USA, James Jeffrey, während seines letzten Türkei-Besuchs ist ein Indiz für diesen Richtungswechsel.
Sollte das Abkommen eingehalten werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Taliban in Afghanistan innerhalb kurzer Zeit (ein, zwei Jahre) für unbestimmte Zeit an die Macht kommen werden. Zweifelsohne gehört der Iran zu den Staaten, die Auswirkungen des Abkommens spüren werden. Seit der Gründung der Taliban bestehen Spannungen in ihrem Verhältnis zum Iran. Schiitische und persische Organisationen des Iran verfügen ohnehin über die Möglichkeiten, schon bei kleinstem Anlass für einen Flächenbrand in Afghanistan zu sorgen. Langfristig ist es möglich, dass Russland und »sein Hinterland« Usbekistan Tadschikistan einen Besuch abstatten werden. Doch wie schon in anderen Regionen könnte es ebenso passieren, dass auch diese Pläne der USA nicht so verlaufen, wie sie sollen. Denn auch ein Auseinandergehen von USA und Taliban sollte nicht als unwahrscheinlich gelten, sollten sich Letztere gegenüber dem Iran, China und Russland nicht wie von den USA vorgegeben verhalten.
Die Zeit wird zeigen, ob die Taliban sich an das Abkommen halten oder nicht. Doch wie auch immer, Gewinner dieses Prozesses wird der reaktionäre Radikalismus sein und die Verlierer sind die Völker Afghanistans. Die in unterschiedlichen Ausprägungen wie Nationalismus, Konfessionalismus, religiösem Fanatismus und reaktionären Strukturen auftretende Nationalstaatlichkeit stand nie im Widerspruch zum Imperialismus, solange ihre Macht gesichert war. Auch in Zukunft wird hier kein Widerspruch entstehen. Zu den hohlen und despotischen Regimen des Mittleren Ostens fügt sich mit diesem Abkommen ein weiteres hinzu. Die Machtergreifung der Taliban stellt für die Völker Afghanistans eine schädliche Entwicklung dar und wird regionale Reaktionäre stärken und freiheitlich gesinnte gesellschaftliche Gruppen schwächen.