Der Krieg gegen die Zapatistas, ihre Antworten und internationalistische Bündnisse

Ein Krieg, der gegen die gesamte Menschheit und Natur geführt wird

Tanya Valiente und Sonyaa Guérrin


Seit August 2020 mehren sich paramilitärische Angriffe gegen die Pueblos Originarios1 in Chiapas, Mexiko. Neben den Zapatistas gehören hierzu auch Gemeinschaften, die dem Congreso Nacional Indígena (CNI) angehören – einem Zusammenschluss fast aller Pueblos Originarios Mexikos, die im Widerstand gegen Megaprojekte sind, ihr Land verteidigen und ihre Autonomie aufbauen.

„Grenzschild zu zapatistischem Gebiet mit der Aufschrift: »Sie befinden sich auf zapatistischem Rebellengebiet. Hier regiert das Volk und die Regierung gehorcht.« Es werden Menschen verletzt, getötet und vertrieben, Häuser verbrannt, Kaffee- und Vorratslager geplündert. Laut solidarischen und betroffenen Strukturen vor Ort und Kenner*innen der Region handelt es sich um die schärfsten Angriffe seit 1997, als – im Schutz von Polizei und Militär – Paramilitärs ein Massaker an 45 Mitgliedern der pazifistischen Organisation Las Abejas de Acteal verübten, die mit den Zapatistas sympathisierten. Die Analyse ist, dass mit den derzeitigen paramilitärischen Angriffen eine Reaktion der Selbstverteidigungsstrukturen des EZLN2 provoziert werden soll, damit dann die mexikanische Regierung eine offizielle Legitimation hat, militärisch gegen die Zapatistas vorzugehen.

Insgesamt sind in den letzten Wochen und Monaten sieben paramilitärische Gruppen (wieder-)aufgetaucht. Die derzeitigen Angriffe finden vor allem in den drei offiziellen Landkreisen Aldama, Ocosingo und Tila statt. Dabei geht es vordergründig um Landkonflikte: Die Effekte sind jedoch eine terrorisierte Bevölkerung, Verletzte, Ermordete und versuchter Landraub in Gegenden, in denen die zapatistische Unterstützungsbasis in ihren Gemeinden lebt. Es geht hier um Aufstandsbekämpfung wie aus einem militärischen Handbuch – und wie sie an der vom US-Militär geführten School of the Americas (neuer Name: Western Hemisphere Institute for Security Cooperation) gelehrt wird. Der Aufbau der Autonomie der Pueblos, die im EZLN und/oder CNI organisiert sind, soll blockiert und zerstört werden – und somit dem EZLN seine materielle, territoriale Basis (das im Zuge des zapatistischen Aufstands von 1994 wiedergewonnene Land) entrissen werden. Die aktuellen paramilitärischen Angriffe müssen in diesem Kontext verstanden werden und stellen eine Reaktion auf die im August 2019 verkündete Gebietserweiterung der Zapatistas dar, welche wiederum die zapatistische Antwort auf die Politik der mexikanischen Regierung unter Andrés Manuel López Obrador war. Doch der Reihe nach:

Angriffe durch Megaprojekte und Guardia Nacional

Die seit Dezember 2018 amtierende mexikanische Regierung unter Andrés Manuel López Obrador, kurz: AMLO, führt den Neoliberalismus aller vorherigen Regierungen seit den 1980er Jahren fort. Dabei setzt sie vor allem auf Megaprojekte, um »Entwicklung« in die armen, ländlichen und meist indigenen Regionen Mexikos zu bringen. Zu den geplanten Megaprojekten gehören u. a. die Infrastrukturprojekte Tren-Maya (Maya-Zug), der Plan des Isthmus von Tehuantepec, das Proyecto Integral Morelos und das sogenannte »Wiederaufforstungsprogramm« Sembrando Vida (siehe Kästen). Viele der Projekte sind alte Vorhaben, die bisher – auf Grund des Widerstands der Pueblos – nicht umgesetzt werden konnten. Ihr Ziel ist es, das Land der Pueblos, welches sich zumeist in Kollektivbesitz befindet, zu privatisieren und kapitalistisch verwertbar zu machen. Dazu müssen die Pueblos enteignet und von ihrem Land vertrieben und/oder proletarisiert werden. Für die Durchsetzung der Projekte hat AMLO eigens eine neue militärische Formation geschaffen: die Guardia Nacional. Für die Zapatistas stellt dies – zusammen mit den Megaprojekten – eine klare Kriegserklärung gegen sie und alle Pueblos Originarios, die ihre Autonomie aufbauen, dar. Und sie machen klar, dass sie sich verteidigen werden.

Zapatistische Gegenoffensiven: Gebietserweiterung und Dezember des Widerstands 2019

Nachdem sie sich bereits am 1. Januar 2019, dem 25. Jahrestag ihres Aufstands, sehr wehrhaft gezeigt haben, gingen die Zapatistas am 17. August 2019 in eine weitere Offensive: Sie durchbrachen die militärische Umzingelung durch die Guardia Nacional und gaben ihre Gebietserweiterung bekannt. Es wurden sieben neue Caracoles (Orte der autonomen Selbstregierung) und vier neue autonome Landkreise gegründet, sodass es nun zwölf Caracoles und 31 autonome Landkreise gibt – und damit insgesamt 43 Zentren des autonomen Widerstands und der Rebellion (CRAREZ). Die neuen Caracoles und autonomen Landkreise befinden sich entweder auf (nach dem Aufstand von 1994) wiedergewonnenem Land oder in Gebieten, in denen sich seit Jahren andere starke Widerstandsbewegungen organisiert haben.

Eine weitere Gegenoffensive der Zapatistas gegen die Politik von oben stellte der »Dezember des Widerstands« dar. Dieser begann am 7. Dezember 2019 mit dem einwöchigen Zweiten Zapatistischen Filmfestival Puy ta Cuxlejaltic – Meeresschnecke unseres Lebens, ging am 15. Dezember über ins Tanzfestival CompArte del Danza, gefolgt von der Vollversammlung des CNI-CIG (Nationaler Indigener Kongress – Indigener Regierungsrat) und EZLN – In Verteidigung von Land und Madre tierra (18.–20. Dezember), setzte sich fort mit dem öffentlichen Diskussions-Forum von CNI-CIG und EZLN unter dem gleichen Titel (21. und 22. Dezember), um dann in den Höhepunkt, dem Zweiten Internationalen Treffen der Frauen, die kämpfen zu münden (26.–29. Dezember 2019). All das wurde von den Zapatistas und/oder dem CNI-CIG organisiert.

Es waren Orte der Diskussion, der Analyse und dem, was daraus folgt: der gemeinsamen internationalistischen Praxis. Auch die kurdische Frauenbewegung beteiligte sich sowohl am Forum – In Verteidigung von Land und Madre tierra als auch am Zweiten Internationalen Treffen der Frauen, die kämpfen jeweils mit einer Video-Grußbotschaft.

Eine gemeinsame internationalistische Praxis gegen den Krieg von oben?

Seit 2015 ist das Bündnis zwischen der kurdischen (Frauen-)Bewegung und den Zapatistas bekannt. Immer wieder gibt es gegenseitige Bezugnahmen und Solidaritätserklärungen – so auch jetzt: Auf die aktuellen paramilitärischen Angriffe gegen die Zapatistas und andere Pueblos Originarios reagierte Kongreya Star am 13. September 2020 mit einer Solidaritätserklärung3. Auch aus anderen Regionen der Welt und insgesamt 22 Ländern gab es ziemlich schnell Solidaritätserklärungen – so auch aus der BRD. Darüber hinaus wird aus Unterstützungskreisen Mexikos immer wieder zu weltweiten Aktionstagen aufgerufen – so zuletzt zwischen dem 16. und 20. September 2020.

Um den Krieg gegen die Zapatistas und andere Pueblos Originarios zu stoppen, braucht es auch solidarische Aktionen hier, im Herzen der Bestie – so wie es diese bei Angriffen des türkischen Staats gegen die kurdische Bewegung auch gibt. Praktischer Internationalismus ist ein notwendiges Mittel, um den kapitalistisch-patriarchalen Krieg, der ein Weltkrieg ist und letztendlich gegen die gesamte Menschheit und Natur geführt wird, zu stoppen.

Ganz konkret schlagen die Zapatistas seit August 2018, also kurz nach der Wahl AMLOs, und wiederholt im August 2019 die Bildung eines Weltweiten Netzwerks des Widerstands und der Rebellion vor: Ein Netzwerk, welches zum Ziel hat, sich weltweit gegenseitig in den Kämpfen – von unten und links – zu unterstützen und Analysen und Bewertungen der Wirklichkeit, in der wir jeweils leben, miteinander zu teilen. Dieses Netzwerk zeichnet sich dabei durch eine horizontale Struktur aus, in dem Unterschiede nicht absorbiert, sondern – im Gegenteil – als Stärke genutzt werden. Es liegt an uns hier zu entscheiden, ob und wie wir uns diesem Netzwerk anschließen wollen.

Der Netzwerk-Vorschlag ist hier nachzulesen: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2018/10/25/300

Plan des Isthmus von Tehuantepec
Der Isthmus von Tehuantepec ist die Landenge zwischen der Pazifik- und der Atlantikküste im Süden Mexikos, der Mittelamerika von Nordamerika trennt. Geplant ist für diesen Bereich eine transozeanische Eisenbahnverbindung, welche eine wichtige geostrategische Bedeutung, u. a. für den Containertransport aus China in die USA, hat. Es soll quasi eine Art alternativer Panamakanal auf Schienen entstehen. Des Weiteren sollen in diesem Korridor der Bau von Pipelines erweitert werden und Erdölraffinerien und petrochemische Industrie angesiedelt werden. Zusätzlich sollen in dem Bereich sogenannte »Sonderwirtschaftszonen« geschaffen werden. Seit September 2019 organisiert sich unter dem Namen »Der Isthmus ist unser« der Widerstand gegen den Plan.
Projecto Integral Morelos
Infrastrukturprojekt zur Energiegewinnung im Zentrum Mexikos, das sich seit der Präsidentschaft von Felipe Calderón (2006−2012) in Planung und Durchführung befindet. Dabei sollen im Bundesstaat Morelos zwei Wärmekraftwerke, ein Aquädukt und Stromtrassen entstehen, sowie eine Erdgaspipeline durch die Bundesstaaten Tlaxcala, Puebla und Morelos. Es wurde und wird mit staatlicher Gewalt durchgesetzt und den dort lebenden Nahua-Indigenen aufgezwungen, die seit Jahren Widerstand gegen das Projekt leisten. Im März 2019 wurde ein wichtiger Protagonist des Widerstands und langjähriges Mitglied des CNI, Samir Flores Soberanes, ermordet.
Tren Maya
Geplantes Infrastruktur-Projekt, das insgesamt 15 Maya-Stätten auf der Halbinsel Yucatán durch eine 1525 km lange Bahnstrecke miteinander verbinden soll. Die Strecke soll bis nach Chiapas und in zapatistisches Gebiet führen. Rund um die Bahntrasse sollen zudem neue urbane Zentren geschaffen werden. Das Projekt dient v. a. touristischen Zwecken und dem Güterverkehr und kommt nicht den dort lebenden Menschen zu Gute. Im Gegenteil: Die Gleise sollen sowohl durch Biosphärenreservate als auch durch indigenes Gebiet geführt werden, welches dafür geräumt werden muss. Zur Legitimierung der Realisierung dieses Projekts ließ AMLO eigens ein Maya-Ritual inszenieren, in dem »Mutter Erde« um »Erlaubnis« gebeten wurde. Auch während der Corona-Pandemie ließ es sich der Präsident nicht nehmen, persönlich einen Bauabschnitt seines Lieblingsprojekts einzuweihen. Gleichzeitig wächst die Kritik an dem Projekt zunehmend, und der Widerstand der Pueblos organisiert sich weiter.
Sembrando Vida
Sogenanntes »Wiederaufforstungsprogramm«, bei dem Obstbäume und andere Nutzhölzer auf Gebiet gepflanzt werden sollen, wo entweder bereits Wald ist, oder welches landwirtschaftlich genutzt wird. Bauern, die dem Projekt beitreten und 2,5 Hektar ihres Landes dafür zur Verfügung stellen, erhalten eine monatliche Geldleistung in Höhe von 5.000 Pesos (ca. 200 €). Bedingung, um an diesem Programm teilzunehmen, ist das Vorzeigen eines Rechtstitels der Landfläche, also der Privatbesitz an Land. Dies widerspricht der (ursprünglichen) Art und Weise des Landbesitzes der Pueblos Originarios, die Land gemeinschaftlich besitzen, bewirtschaften und verwalten. Das Programm führt dementsprechend dazu, dass neue (Land-)Konflikte entstehen, wenn sich einige Bauern einer Gemeinschaft oder eines Dorfes dafür entscheiden, an dem Programm teilzunehmen, andere aber nicht. Durch das Programm soll daher nicht nur Land privatisiert werden, sondern es sollen die Pueblos gezielt gespalten und damit ihr Widerstand geschwächt werden. Es ist Teil der Aufstandsbekämpfungsstrategie der mexikanischen Regierung – wie es bereits zuvor schon andere sogenannte »Sozial-, Hilfs- oder Entwicklungsprogramme« waren.

 

Fußnoten:

1 - verbleibt im spanischen Original; zu deutsch in etwa: ursprüngliche oder originäre Bevölkerung, Gemeinschaften, Dörfer

2 - Ejército Zapatista de Liberación Nacional ‒ EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung)

3 - https://womendefendrojava.net/en/2020/09/14/internationalist-solidarity-with-the-indigenous-comrades-in-mexico/


 Kurdistan Report 212 | November/Dezember 2020