Wer steckt hinter der Drohnenentwicklung in der Türkei?

Drohnenmacht Türkei

Interview des Kurdistan Report mit Matthias Monroy, Journalist und Mitarbeiter im Deutschen Bundestag


Kämpfer*innen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben eine bewaffnete türkische Drohne vom Typ „Bayraktar“ in Efrîn abgeschossen.»Drohnenmacht Türkei« – diese beiden Wörter im Zusammenhang konnten wir in den letzten Monaten immer wieder in deutschsprachigen Medien finden. Du verfolgst die Entwicklung und den Einsatz von Drohnen zu militärischen Zwecken sehr genau. Kann die Türkei tatsächlich als Drohnenmacht bezeichnet werden?

Ja auf jeden Fall. Seit 20 Jahren sind Modelle aus den USA und aus Israel unbestrittene Marktführer für Kampfdrohnen gewesen, jetzt drängen weitere Hersteller auf diesen Markt. Dies betrifft mit der »Wing Loong« China und mit der »Bayraktar TB2« die Türkei. Neben den USA und Israel hat zunächst nur Großbritannien in den Nullerjahren und den Jahren darauf Kampfdrohnen eingesetzt. Jetzt liegt die Türkei nicht nur beim Verkauf der Waffen, sondern auch bei der alltäglichen Nutzung vorn.

Spiegel Online bezeichnete Erdoğans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar als den Drohnenpaten der Türkei. Kannst du uns erklären, welche Firmen hinter der Drohnenentwicklung in der Türkei stecken?

Hersteller der »Bayraktar TB2« ist die Firma Baykar, die dem MIT-Doktoranden Selçuk Bayraktar1 gehört. Er wird als Gründervater der türkischen Drohnenindustrie regelrecht verehrt. Mittlerweile wird seine »TB2« nicht nur vom Militär, sondern unbewaffnet auch von Polizei- und Grenzbehörden und Geheimdiensten geflogen. Seit 2017 soll sich allein der militärische Bestand auf hundert Stück verdoppelt haben, davon ist etwa die Hälfte bewaffnet.

Als Konkurrentin gibt es die ebenfalls bewaffnungsfähige »Anka« von Turkish Aerospace Industries (TAI), die in einer neuen Version über Satelliten gesteuert werden kann. Das ist ein großer Vorteil gegenüber der »Bayraktar TB2«, denn die »Anka« erreicht damit eine größere Reichweite. Sie transportiert bis zu 200 Kilogramm und damit viermal so viel Nutzlast wie die »TB2«. Beide Drohnen können in neueren Versionen inzwischen länger als 24 Stunden in der Luft bleiben.

Unter dem Namen »Akıncı« entwickelt Baykar jetzt eine Langstreckendrohne, die auch über Satelliten gesteuert werden soll. Ihre Nutzlast wird mit fast 1,5 Tonnen angeben, wovon 900 Kilogramm als Bewaffnung unter den Flügeln transportiert werden können. Unbewaffnet soll die »Akıncı« mit optischen Sensoren, Radaranlagen oder Technik zur elektronischen Kriegsführung ausgestattet werden.

Und welche Zusammenhänge gibt es da mit europäischen oder möglicherweise mit deutschen Rüstungsunternehmen?

Das ist etwas nebulös. Die Sensorik, also die optischen und auf Infrarot basierenden Kameras, sollen vom kanadischen Konzern L3 WESCAM stammen. Der britische Guardian hatte berichtet, dass der Rüstungskonzern EDO aus Großbritannien an der Bewaffnung der »Bayraktar TB2« beteiligt war. Demnach sei das Gestell für die kleinen Raketen von einem britischen Fabrikat kopiert worden. Der Baykar-Chef hat den Bericht dementiert und schrieb, die britische Technologie habe sich als unbrauchbar herausgestellt, weshalb die Firma ein eigenes Raketengestell entwickelt habe. Trotzdem könnte dies von der britischen Vorlage kopiert worden sein.

Was die eigentliche Bewaffnung angeht könnte der Erdoğan-Schwiegersohn von dem deutschen Rüstungskonzern TDW profitiert haben, einem bayerischen Ableger der britischen Firma MBDA. TDW soll dem türkischen Raketenhersteller Roketsan Gefechtsköpfe für dessen Panzerabwehrraketen geliefert haben. Diese Waffen sind vermutlich klein genug, um sie mit der recht leichten »Bayraktar TB2« zu transportieren. Auch die Baupläne für die türkischen Raketen sollen übrigens von TDW stammen. Nachprüfen lässt sich das kaum.

Für die Bewaffnung der großen »Akıncı« arbeiten übrigens die Ukraine und die Türkei zusammen, Baykar hat hierfür eine Kooperationsvereinbarung mit dem ukrainischen Raketenhersteller Ukrspecexport unterschrieben.

Immer wieder ist im Zusammenhang mit dem Krieg des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten vom Einsatz türkischer Drohnentechnologie berichtet worden. Welche unbemannten Luftfahrzeuge werden eingesetzt und was können diese? Und wo sonst setzt die Türkei derzeit ihre Drohnen ein?

Unbewaffnete Drohnen werden außer von Baykar und TAI von weiteren türkischen Herstellern produziert und verkauft. Sie dienen der Aufklärung und Überwachung, ihr Einsatz kann beim Militär Luft- oder Bodenangriffen vorausgehen. Im Bereich der Grenzüberwachung fliegen »TB 2« für die Jandarma2 an der Grenze zur Türkei und dringen dort mitunter in den griechischen Luftraum ein. Übrigens hat auch Griechenland 50 kleinere Spähdrohnen aus der Türkei gekauft, das Militär will sie zum Aufspüren unterirdischer Anlagen und von Sprengstoffen nutzen.

Einsätze von bewaffneten Drohnen aus der Türkei sind außer im Iran in allen kurdischen Gebieten dokumentiert worden, also neben dem in der Türkei liegenden Teil Kurdistans auch im Irak und in Syrien. Die Regierung in Ankara hat – sicherlich vor allem symbolisch – eine bewaffnete »Bayraktar TB2« nach Nordzypern verlegt. Damit gehört die Türkei auch zu jenen Ländern, deren Militär bewaffnete Drohnen außerhalb ihres Hoheitsgebietes stationiert. Wie wir wissen sind etliche, vielleicht Dutzende »TB2« als Teil der verdeckten Kriegsführung der Türkei in Libyen stationiert. Ein großer Teil davon ist übrigens abgestürzt, abgeschossen oder am Boden zerbombt worden. Den Drohnenkrieg mit den viel größeren chinesischen »Wing Loong« in Libyen hat die Türkei jedenfalls verloren.

Kannst du uns eine rechtliche Einschätzung zum Einsatz von Drohnen jenseits der türkischen Staatsgrenzen geben?

Das ist in weiten Teilen genauso völkerrechtswidrig wie der US-Drohnenkrieg in Afghanistan oder die außergerichtlichen Hinrichtungen, wie sie der US-Geheimdienst Anfang des Jahres mit der Ermordung des iranischen Offiziers Qasem Soleimani im Libanon durchgeführt hat. Sämtliche Einsätze in den kurdischen Gebieten sind illegal, denn mit keinem der Länder befindet sich die Türkei im Krieg. »Legal« ist der Einsatz allenfalls in Libyen, wo die Regierungen in Ankara und Tripolis einen Deal zur militärischen Unterstützung geschlossen haben. Die Türkei erhält dafür im Gegenzug das Recht zur Ausbeutung von Öl- und Gasreserven. Wobei ich mich hier auch gleich korrigieren möchte: Drohnen senken die Hemmschwelle zum Einsatz von Bomben und Raketen deutlich, deshalb können auch diese Einsätze gegen das Völkerrecht verstoßen. Als KriegsgegnerInnen muss es uns letztlich auch egal sein, ob die Waffen von bemannten oder unbemannten Systemen abgefeuert werden.

Du arbeitest ja auch im deutschen Bundestag für die Linksfraktion. Welche politischen Druckmittel gibt es innerhalb, aber auch außerhalb des Parlaments, um gegen den türkischen Drohnenkrieg vorzugehen? Welche Rolle könnten aus deiner Sicht linke Kräfte und die Friedensbewegung in Deutschland hierbei spielen?

Da habe ich leider wenig Hoffnung. Wir sind ja in Deutschland auch damit konfrontiert, dass die Bundeswehr Kampfdrohnen beschaffen will, die Entscheidung könnte noch dieses Jahr erfolgen. Das Verteidigungsministerium nutzt eine Salamitaktik; zunächst wurden die Drohnen bewaffnungsfähig bestellt, der Kauf der Raketen wird in einem zweiten Beschluss ergänzt. Die Zustimmung der Sozialdemokratie werden wir nicht verhindern können, aber wir haben immerhin für viel kritische Aufmerksamkeit und Bewusstsein gesorgt.

Ähnlich ist das mit dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein, der als Relaisstation die Steuersignale der US-Drohnen in afrikanischen und asiatischen Einsatzgebieten weiterleitet. Die Anlage steht auf deutschem Hoheitsgebiet, die Bundesregierung weiß von ihrer Nutzung. Ihre Weigerung, Ramstein zu schließen, macht sie zur Mittäterin des völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieges. Übrigens sehe ich hier noch Potential für die Kampagne gegen den türkischen Drohnenkrieg, der ebenfalls auf Anlagen zur Satellitenkommunikation angewiesen ist. Ich vermute, dass hier europäische Hersteller mitmischen.

Was die deutsche Friedensbewegung angeht bin ich gespalten. Diese Bewegung ist überaltert und hat sich aus progressiven, jungen sozialen Bewegungen nicht neu formieren können. Ihre AkteurInnen distanzieren sich viel zu wenig von problematischen, aus meiner Sicht rechtsoffenen Gruppen. Jetzt haben auch die CoronaleugnerInnen das Ramstein-Thema besetzt, hier vermisse ich eindeutige Abgrenzung linker Kräfte. Ich würde mir wünschen, dass sich die Friedensbewegung mehr für Aktivitäten anderer Bewegungen interessiert, etwa die Rheinmetall-Kampagne, aber auch den Kampf gegen den Krieg in Kurdistan.

Fußnoten:

1 - Selçuk Bayraktar erwarb sein Masterdiplome an der University of Pennsylvania und am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seinen Doktor machte er am Georgia Institute of Technology.

2 - türkische Militärpolizei


 Kurdistan Report 212 | November/Dezember 2020