Einer der ältesten Konflikte in Westeuropa

Baskenland und die Freiheit

Nerea Goikoetxea

Baskenland und die FreiheitDas Baskenland (baskisch: Euskal Herria, benannt nach dem Volk der Basken) liegt beiderseits der Pyrenäen am Atlantik (auf dem Territorium der Staaten Spanien und Frankreich).

Politisch besteht das Baskenland aus drei verschiedenen Gebieten: der spanischen Autonomen Gemeinschaft Baskenland (baskisch: Euskadi), der spanischen autonomen Region Navarra (baskisch: Nafarroa) und dem französischen Teil des Baskenlandes (baskisch: Iparralde). Ein altes Bestreben des baskischen Nationalismus ist jedoch die territoriale Einheit aller drei Gebiete.

Von den 2,9 Mio. Einwohnern des Baskenlandes sprechen nur 700.000 bis 800.000 die baskische Sprache. Baskisch ist Europas älteste lebende Sprache und ist noch nicht als gleichberechtigte Amtssprache in allen drei Gebieten anerkannt. Das ist eine der drei Hauptforderungen der Basken an Madrid und Paris. Die zweite wäre die o. g. territoriale Einheit und als Letztes wollen die Basken über die politische Zukunft ihres Gemeinwesens selbst bestimmen können. Die drei Forderungen kollidieren mit dem in Spanien und Frankreich vorherrschenden Zentralstaatsverständnis.

Die Zeiten, in denen das alte Königreich Navarra über Selbstbestimmung verfügen konnte (824–1620 n. u. Z.), sind leider längst vorbei, das Streben nach voller Souveränität ist aber jahrzehntelang bis heute in der baskischen Gesellschaft stark verankert, trotz der repressiven und kolonialistischen Bemühungen des spanischen und des französischen Staates. Der südliche Teil des Königreichs Navarra wurde 1512 von Kastilien erobert, der nördliche später 1620 unter französische Kontrolle gebracht.

Der Bürgerkrieg Spaniens (1936‒1939) spielte eine große Rolle in der Geschichte der Basken: Durch die sogenannte zweite Republik Spaniens erhielten sie von der Zentralregierung wieder Kompetenzen, um sich selbst zu regieren. Diese Autonomie endete 1937, als die faschistischen Putschisten unter General Francisco Franco an die Macht kamen und das Baskenland eroberten. Der Diktator verwaltete das spanische Baskenland wieder zentral, verbot die baskische Sprache, ließ Gegner verfolgen und exekutieren. In diesem Kontext entstand 1958 die Untergrundorganisation Euskadi ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit). Ab 1968 kämpfte sie gewaltsam gegen die Franco-Diktatur.

ETA

Was 1958 als eine zivile Untergrundorganisation begann (Aufhängen von verbotenen baskischen Flaggen und Verbrennen von spanischen, heimliches Unterrichten der baskischen Sprache waren u. a. die ersten Aktionen), entwickelte sich langsam in eine sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnende und bewaffnete Widerstandsorganisation gegen die Franco-Diktatur. Das Ziel war die sozialistische baskische Republik.

1973 verübte ETA ein Bombenattentat auf den spanischen Ministerpräsidenten und designierten Franco-Nachfolger Luis Carrero Blanco und dessen Eskorte. Dies forcierte den Fall des Franco-Regimes, und 1975 erfolgte der sogenannte »Übergang« zur Demokratie. Dieser »Übergang« war jedoch rein kosmetischer Natur, weil hinter der hoch gelobten neuen Demokratie die alten Mächte de facto weiter bestehen blieben: die katholische Kirche, das Militär und dieselbe Oligarchie, die jahrzehntelang das Regime unterstützt hatte. Und der neue Status hatte selbstverständlich keinen Platz für eine demokratische Selbstbestimmung der politischen Zukunft der Basken. Mit der Verabschiedung der Verfassung Spaniens 1978 und des Autonomiestatuts für das Baskenland und Navarra wurden den baskischen Provinzen Autonomierechte zugesprochen; dies bildete aber keine echte Grundlage, auf der das Baskenland seine Zukunft frei entscheiden konnte. Die Verfassung verbot dies sogar explizit. ETA setzte den Kampf fort für eine sozialistische baskische Republik.

Schmutziger Krieg

Ab 1983 traten mit Unterstützung der regierenden Sozialdemokraten (PSOE) erstmals Todesschwadronen auf, deren Angriffe gegen ETA-Mitglieder, Sympathisanten, baskische Marxisten und Aktivisten für die Unabhängigkeit gerichtet waren.

Rund 500 Todesopfer hat die baskische Seite durch Paramilitärs und die spanische Polizei und Guardia Civil verzeichnen müssen und Folter war bei der Verhaftung baskischer Militanter systematisch. Es sind bisher ca. 9.000 Folterfälle dokumentiert worden. Von Todesopfern und Gefolterten hat der spanischer Staat bis dato circa ein Prozent offiziell anerkannt.

Ziele für ETA waren während des Franco-Regimes größ­ten­teils Militärangehörige; später, nach dem Eintritt in die »Demokratie« wurden auch Polizisten, Politiker, Unternehmer, Drogendealer und Kollaborateure angegriffen. Die Organisation macht sich für insgesamt 829 Todesopfer durch ihre Aktionen verantwortlich.

Verhandlungen

Seit den 1970er Jahren gab es immer wieder Gespräche zwischen spanischen Regierungsmitgliedern und ETA, die mehrfach zu zeitweiligen Waffenruhen führten, keine davon war aber aus verschiedensten Gründen erfolgreich: Häufig wurde von Spanien die Waffenruhe als Gelegenheit für einen Zeitgewinn für eine militärische Niederlage von ETA ausgenutzt, nicht selten hatte aber auch die Organisation die eigenen Kräfte überbewertet.

Im März 2006 kündigte ETA eine dauerhafte Waffenruhe an. Die Organisation äußerte zudem die Erwartung, einen demokratischen Prozess im Baskenland in Gang setzen zu können, um den Konflikt zu beenden. Trotzdem scheiterten wieder die Verhandlungen zwischen der Regierung, der baskischen Linkspartei Batasuna und ETA. Es sah so aus, als würde wieder der bewaffnete Kampf folgen. Doch 2010 entschieden sich weite Teile der linken Unabhängigkeitsbewegung, künftig nur noch mit politischen Mitteln zu kämpfen. ETA akzeptierte diesen Paradigmenwechsel. Auf internationaler Ebene unterstützten Experten für Konfliktlösung die Entwicklung: ETA wurde aufgerufen, den bewaffneten Kampf einzustellen, die Regierungen in Madrid und Paris sollten ihrerseits darauf mit konstruktiven Gesten reagieren. 2011 verkündete ETA das Ende aller bewaffneten Aktivitäten. Im April 2017 erfolgte über Vermittler und mithilfe gesellschaftlicher Gruppen die Übergabe ihres Waffenarsenals an die Behörden. ETA löste sich am 3. Mai 2018 selbst auf.

Bisher bestreitet der spanische Staat (und auch der französische), dass die Nichtanerkennung des Baskenlandes als eigenständiges politisches Subjekt, die staatliche Gewalt und die Franco-Diktatur zentrale Konfliktursachen gewesen seien, und lehnt den Dialog noch grundsätzlich ab. Zugleich bleiben die gesetzwidrigen Sondermaßnahmen der spanischen Justiz gegen Häftlinge mit ETA-Hintergrund bestehen. Eine Amnestie für die ca. 200 Gefangenen ist unwahrscheinlich. Selbst die gesetzeskonforme Verlegung von baskischen Häftlingen in Gefängnisse, die im Baskenland oder in dessen Nähe liegen, wird nicht durchgeführt.

Paris betrachtet den Konflikt weiterhin als ein innerspanisches Problem. Die französische Polizei und Justiz setzen die Verfolgung von (ehemaligen) ETA-Mitgliedern fort. Die französische Regierung ist nicht bereit, der baskischen Minderheit sprachliche und kulturelle Rechte zu gewähren, weshalb auch die EU-Charta der Minderheitensprachen nicht ratifiziert wurde.

Ob die historischen Bestrebungen der Basken ab jetzt Erfolg haben werden, hängt aktuell rein von der Mobilisierungs- und Organisierungskapazität der Zivilgesellschaft ab.


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021