Permanente Solidarität gegen deutsch-türkische Interessenspolitik

25 Jahre Rechtshilfefonds AZADÎ

Monika Morres, AZADÎ e.V., 12. August 2021

KPD-Verbot

Am 17. August 1956 wurde in der BRD ein Verbot wieder aufgenommen, das von der Nazi-Herrschaft gegen eine Partei verfügt worden war und sich gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) richtete. Der Staat zielte auf die Zerschlagung der gesamten Struktur der Partei ab, in deren Folge es zu einer flächendeckenden Repression gegen Zehntausende von Aktiven kam. Dazu gehörten zahllose Gerichtsverfahren, Durchsuchungen, Verbote politischer Betätigung und auch – wir kennen es aus der Türkei – der Entzug politischer Mandate. Die Herrschenden glaubten, mit dieser diktatorischen Maßnahme die Ideen des Kommunismus marginalisieren zu können. Diesem Ziel diente später auch der sog. Radikalenerlass von 1972, mit dem verhindert werden sollte, dass sogenannte Feinde der Verfassung im öffentlichen Dienst beschäftigt werden.

25 Jahre Rechtshilfefonds AZADÎ40 Jahre später: AZADÎ gegen Verbotspolitik gegründet

1996, Jahrzehnte nach dem KPD-Verbot, stand bei der Motivation zur Gründung des Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. wieder ein Verbot im Mittelpunkt, das die CDU-/CSU-/FDP-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl drei Jahre zuvor verfügt hatte: das PKK-Betätigungsverbot. Politisch aktive Kurd*innen wurden generell unter Terrorismusverdacht gestellt, massenhaft Strafverfahren eingeleitet, Razzien in Vereinen und Privatwohnungen durchgeführt, asylrechtliche Restriktionen verfügt, wurde das politische, soziale und kulturelle Leben von Kurd*innen angegriffen und versucht, die Gesellschaft auf einen antikurdischen Kurs einzuschwören. Diesem diskriminierenden Handeln des Staates sollte unsere Solidarität mit den Kurd*innen und der Unterstützung ihrer legitimen Rechte entgegengesetzt werden.

Düsseldorfer Prozess bereitet PKK-Verbot vor

Begonnen hatte die Kriminalisierungsgeschichte allerdings bereits 1984 mit der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der kurdischen Befreiungsbewegung gegen jahrzehntelange Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung durch den türkischen Staat. Die Geheimdienste der Türkei und der europäischen Staaten – allen voran der BRD – reagierten umgehend und setzten ihre bekannt schmutzigen Methoden ein, um die revolutionäre Befreiungsbewegung und ihre Anhänger*innen zu bekämpfen.

So wurden Anfang 1988 im Zuge bundesweiter Razzien 20 Exilpolitiker*innen verhaftet; ein Jahr später standen 17 Genoss*innen wegen des Vorwurfs der »Mitgliedschaft in einer ›terroristischen‹ Vereinigung« (§129a StGB) vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Das Verfahren ging als großer »Düsseldorfer Prozess« in die Geschichte der deutschen Strafjustiz ein und hat sich tief in das Gedächtnis aller Kurd*innen eingebrannt.

Dieses Repressionsungeheuer war aber auch der Beginn einer außerordentlich starken Mobilisierung von in der BRD lebenden Kurd*innen und vielen nichtkurdischen Menschen, die ihnen solidarisch zur Seite standen. Schon zu Prozessbeginn hatten sich bundesweit – insbesondere in NRW ‒ die ersten »Solidaritätskomitees Kurdistan« gegründet. Es folgten Großdemonstrationen mit Tausenden Teilnehmenden, die den kurdischen Widerstand unterstützten, die Kriminalisierung durch Politik, Polizei und Justiz angriffen und die deutschen Waffenlieferungen an den NATO-Partner Türkei anprangerten.

Der Prozess war die Vorbereitung zu einer umfassenden politisch-strafrechtlichen Verfolgung kurdischer Aktivist*innen.

Um nämlich eine rechtliche Grundlage zu schaffen, den Düsseldorfer Prozess zu Ende bringen zu können (die Anklagepunkte hatten nicht mehr hergegeben), hat die damalige Bundesregierung in Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden das Betätigungsverbot der PKK nach dem Vereinsgesetz erlassen. Die türkische Regierung unter der Ministerpräsidentin Tansu Çiller, mit der Bundeskanzler Kohl beste Beziehungen pflegte, reagierte hierauf mit Wohlwollen und Lobeshymnen.

So endete der Düsseldorfer Prozess im März 1994 mit der Verurteilung von zwei Aktivisten zu lebenslänglicher Haft und von zwei Angeklagten zu Zeitstrafen.

Spur der Verwüstung

Dem Erlass des damaligen Bundesinnenministers Manfred Kanther (CDU) vom November 1993 folgte eine Spur der Verwüstung: Verbote kurdischer Vereine, Medien- und Kultureinrichtungen, Veranstaltungen bis hin zu Hochzeiten, Demonstrationen, Protesten. Der Alltag der politisch engagierten Kurd*innen war fortan geprägt von Razzien, Abschiebungen, Verhaftungen, alles begleitet von medialer Hetze und Propaganda.

Nach dem Verbot des Kurdistan-Informations-Büros (KIB) in Köln im Jahre 1995 als die seinerzeit wichtigste Möglichkeit, sich in deutscher Sprache über die Situation in allen Siedlungsgebieten der Kurd*innen (Türkei, Syrien, Irak, Iran) zu informieren, wurde mit Sitz in Bonn die »Informationsstelle Kurdistan« (ISKU) gegründet, in Anlehnung an ähnliche Gruppen, die u. a. zu Lateinamerika arbeiteten. Die ISKU leistete hauptsächlich Aufklärungsarbeit über die politisch-historischen Hintergründe des Kurdistan-Konflikts und des bewaffneten wie politischen Befreiungskampfs. Sie befasste sich weniger mit der Repression in Deutschland.

Lösung durch konkrete Antirepressionsarbeit

Angesichts der massenhaften Strafverfahren bundesweit, der Verhaftungen, Prozesse und anderer Repressionen, sahen sich die einzelnen Solidaritätsgruppen zu Kurdistan mit einer intensiven Antirepressionsarbeit überfordert. Hierdurch entstand der Gedanke, eine Organisation ins Leben zu rufen, deren Schwerpunkt dieser Komplex sein sollte.

So fand 1994 – wegen möglicher Repressionen ohne kurdische Beteiligung – in der »Feuerwache« in Köln ein bundesweites Treffen statt. An den Diskussionen, wie die kurdische Bewegung nach den Verboten unterstützt werden kann, beteiligten sich u. a. Kurdistansolidaritätsgruppen, Aktive der Antifa, die Gruppe Libertad!, antiimperialistische Gruppen und die Rote Hilfe. Als Beobachter*innen anwesend waren auch Vertreter*innen von medico international und Anwält*innen. Vorbild sollte die Organisation der Roten Hilfe (RH) sein, die sich personell und im Hinblick auf fehlende Sprachkenntnisse in Türkisch oder Kurdisch nicht in der Lage sah, diese Arbeit für kriminalisierte Kurd*innen zusätzlich zu übernehmen.

Als linke deutsche Aktivisten und Aktivistinnen sollte Verantwortung übernommen werden für das, was die Bundesregierung(en) in Handlangermanier für den NATO-Partner Türkei der kurdischen Bevölkerung in der BRD zufügte. Ergebnis der Diskussionen war, dass die Probleme letzten Endes nur durch eine konkrete Antirepressionsarbeit lösbar sein können. Im Zentrum der Arbeit sollten Initiativen für eine Rücknahme des PKK-Verbots stehen, die materielle und ideelle Unterstützung von Menschen, die von Strafverfolgung betroffen sind, Prozessbeobachtungen, Besuche von Gefangenen, Öffentlichkeitsarbeit und der Versuch, über den »linken Tellerrand« zu schauen und andere gesellschaftliche Spektren für die Thematik zu interessieren und einzubinden. Der zu gründende Verein sollte eine eigene, von der kurdischen Bewegung unabhängige Struktur haben.

Wegen einer ganzen Reihe vornehmlich bürokratischer Hürden und Erschwernisse konnte der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. dann im April 1996 gegründet werden, anfangs mit Sitz in Bonn. Der erste Vorstand bestand aus einer Vertreterin der Infostelle Kurdistan, einem RH-Vorstandsmitglied, einem ehemaligen Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten sowie einem Aktivisten der Aktion 3. Welt Saar. Die Vereinsgründung unterstützt haben verschiedene Menschenrechts- und Anwält*innenvereinigungen sowie Privatpersonen. Um gegen eine mögliche Kriminalisierung abgesichert zu sein, wurde die Schaffung eines Beirats beschlossen, dem seinerzeit u. a. der Völkerrechtler Norman Paech und Rechtsanwalt Rolf Gössner angehörten. Im Laufe der 25 Jahre hatte der Verein seinen Sitz in Köln, einige Jahre in Düsseldorf und seit 2012 wieder in der Domstadt.

Die Liste der Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen in diesem zurückliegenden Vierteljahrhundert ist lang und kann in diesem Beitrag nur ganz grob angerissen werden.

Dutzende des »Terrorismus« beschuldigte kurdische Aktivist*innen wurden von AZADÎ unterstützt, Hunderten Kurd*innen materiell durch die Übernahme von Anwält*innen- und Verfahrenskosten geholfen, die Öffentlichkeit durch Pressemitteilungen, Broschüren zu Jahrestagen des Verbots sowie durch den regelmäßig erscheinenden AZADÎ-Infodienst über die Situation der Kurdinnen und Kurden in Deutschland informiert. In zahlreichen Veranstaltungen haben wir Vorträge gehalten oder auf Demos geredet, gemeinsam mit anderen internationale juristische Fachtagungen organisiert, Regionalkonferenzen durchgeführt, erfahrene Verteidiger*innen vermittelt und versucht, uns mit anderen Menschen-, Bürger*innenrechts- und Antirepressionsorganisationen zu vernetzen.

Krisenhafte Zeiten überstanden

Es gab schwierige, konfliktbeladene Zeiten für die kurdische Bewegung, in denen ihr eisiger Wind entgegengeschlagen ist. Dazu gehört zweifellos der Versuch des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, nach seiner Ausreise aus Syrien im Jahre 1998, in Europa eine Aufenthaltsmöglichkeit zu bekommen, um in einen Dialog mit politisch Verantwortlichen zur Lösung der Kurdistan-Frage zu treten. Doch war aus politischen Gründen kein EU-Land bereit, sich auf einen Konflikt mit der Türkei einzulassen und Herrn Öcalan aufzunehmen. Das bittere Ende seiner Odyssee war die international koordinierte geheimdienstliche Verschleppung aus Kenia in die Türkei im Februar 1999 sowie seine Verurteilung zum Tode, die in eine lebenslängliche Haft umgewandelt wurde. Seitdem befindet sich der kurdische Repräsentant auf der Gefangeneninsel Imralı in Isolationshaft.

Viele, die sich damals mit der kurdischen Befreiungsbewegung solidarisiert hatten, entzogen ihr nun die Unterstützung, wandten sich den PKK-Abtrünnigen zu, die glaubten, Öcalans Abwesenheit für ihre eigenen (Macht-)Interessen nutzen zu können. Diese auf Spaltung und Zerstörung abzielenden Machenschaften bestimmter Kreise, die auch in Deutschland äußerst aktiv waren, wirkten sich auch auf die Arbeit und die Existenz von AZADÎ aus. Durch Beharrlichkeit, Überzeugungskraft und Kontinuität des politischen Engagements konnte diese schwierige Zeit aber gemeinsam überstanden werden. Die PKK konnte diese Krise überwinden und sich konsolidieren. Sie hat ihre Kraft nicht nur wiedergefunden, sondern sie in der Folgezeit ausbauen können. Sie ist nicht nur für Kurd*innen zu einem wichtigen politischen Akteur im Mittleren Osten geworden.

Nach Ruhe wieder Sturm

In den 2000er-Jahren gab es eine kurze Phase der Beruhigung. Recep T. Erdoğan hatte sich um eine Annäherung an die EU bemüht, diese wiederum sah in ihm den gemäßigten Islam-Vertreter und stellte der Türkei einen EU-Beitritt in Aussicht. Bilaterale Verhandlungen wurden aufgenommen und die Hoffnungen auf Lösungsperspektiven im türkisch-kurdischen Konflikt schienen berechtigt. Diese Entspannung wirkte sich auch auf die Situation in der BRD aus. Es gab deutlich weniger Repression und Festnahmen und zeigte, wie eng die Zusammenhänge zwischen den politischen Entwicklungen in/mit der Türkei und den Rückwirkungen auf die Verhältnisse in Deutschland waren und bis heute sein können.

Kampfansage des Bundesgerichtshofs

Doch agieren die Strafverfolgungsbehörden auch unabhängig hiervon. Denn im Oktober 2010 traf der Bundesgerichtshof (BGH) im Zuge des Revisionsverfahrens gegen einen Aktivisten eine Entscheidung, die alle Hoffnungen auf ein Ende der Kriminalisierung zunichte machte. Die Befreiungsbewegung PKK wurde – nach den tamilischen LTTE und der linken türkischen DHKP-C – als eine »terroristische Vereinigung im Ausland« nach dem im Jahre 2002 eingeführten §129b StGB eingestuft. Hintergrund waren die Anschläge vom 11. September 2001, in deren Folge der Bundestag in Windeseile zahlreiche Gesetzesverschärfungen im sog. Kampf gegen den internationalen Terrorismus verabschiedet hatte. Mit dieser Kategorisierung wurde die Strafverfolgung nach §129a/b nicht nur auf die Funktionärsebene angewandt, sondern konnte auf »einfache« Aktive ausgeweitet werden. Es war eine Kampfansage. Schon 2011 gab es die ersten Festnahmen und Anklagen nach dem neuen Gesinnungsparagrafen.

2013/14 dann hat der BGH erneut in Revisionsverfahren die Urteile von Oberlandesgerichten bestätigt. Sie wurden rechtskräftig und mit ihnen auch sämtliche Vorwürfe, auf denen die Anklagen nach §129a/b basierten.

Prozesse »gut geöltes Räderwerk«

Seitdem verzichtet die Bundesanwaltschaft (BAW) darauf, jedes §129a/b-Verfahren zu führen, und gibt einen großen Teil an die Generalstaatsanwaltschaften der Länder ab. Und vor den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte laufen die Prozesse gegen Aktivist*innen jeden Alters wie ein gut geöltes Räderwerk.

Die Verteidiger*innen beleuchten in ihren Anträgen die politisch-historischen Hintergründe, die zur Aufnahme des bewaffneten Widerstands der Kurd*innen geführt haben, und belegen – teils durch Aussagen von Augenzeug*innen – die Fortführung des Krieges der türkischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung und Guerilla. Sie zeigen auf, dass das Militär völkerrechtswidrig in andere Länder eindringt wie in den Nordirak oder den Nordosten Syriens. Sie stellen die Rechtmäßigkeit der durch das Bundesjustizministerium erteilten Verfolgungsermächtigungen zur Strafverfolgung gem. §129a/b StGB in Frage, die weder begründet werden müssen noch juristisch angegriffen werden können.

Auch die Angeklagten selbst gehen in ihren Prozesserklärungen ausführlich auf ihren Lebensweg ein, erläutern ihre Beweggründe, warum sie sich der kurdischen Befreiungsbewegung angeschlossen haben und verdeutlichen, dass sie auch im Exil ihre Verantwortung sehen, sich für die Menschen in Kurdistan einzusetzen, für ihre Befreiung, für eine demokratische Entwicklung, für Frauenrechte und gleichberechtigte Partizipation.

Zwar zeig(t)en sich manche Richter*innen durchaus beeindruckt hiervon. Doch weil alle Prozesse dieser Art politisch motiviert und die Senate nicht frei in ihren Entscheidungen sind, müssen die Angeklagten für ihr Engagement teils lange Zeitstrafen und unzumutbare Sonderhaftbedingungen ertragen.

Deutsch-türkische Interessenspolitik will keine Lösung

Solange die politisch Verantwortlichen nicht bereit sind, ihre Position zur Türkei einerseits und ihr Verhältnis zur kurdischen Freiheitsbewegung andererseits zu überdenken, wird sich an dieser Situation nichts ändern.

Gleichgültig, ob die Arbeiterpartei Kurdistans im Laufe der Jahre mehrfache Waffenstillstände erklärt, sich strukturell und politisch neu ausgerichtet, Perspektiven einer Demokratisierung der Türkei oder Modelle für eine basisdemokratische Selbstverwaltung entwickelt oder einen aufopfernden Kampf gegen den Terror des sog. Islamischen Staates geführt hat, die deutsche Politik zeigt(e) den Kurd*innen die kalte Schulter.

Und gleichgültig, ob das türkische Regime unter Erdoğan kurdische Politiker*innen, Bürgermeister*innen, Menschenrechtler*innen, Gewerkschafter*innen, Medienschaffende oder Intellektuelle zu Tausenden verhaften lässt, kurdische Städte und Dörfer in Schutt und Asche legen und Menschen in Kellern verbrennen lässt, zeigt(e) sich die deutsche Politik höchstens »besorgt«. Auch dass Erdoğan durch das von ihm 2017 installierte »Präsidialsystem« ein diktatorisches Regime geschaffen hat, in dem er per Dekret seine Alleinherrschaft ausüben kann, hat zwar ein kurzes Kopfschütteln verursacht, aber Konsequenzen sind nicht gezogen worden. Oder aber diese, um das Regime zu unterstützen: Ausgerechnet 2017, am 4. März, verfügte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einem Rundschreiben an alle Landesregierungen und Strafverfolgungsbehörden das Verbot aller Symbole kurdischer Organisationen und versuchte es sogar mit jenen der nordsyrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Einheit PYD sowie der Verteidigungseinheiten von YPG/YPJ.

Das machte wieder einmal offenbar, dass bei Politiker*innen aller bisherigen Koalitionen letztlich – trotz zeitweiser Irritationen ‒ die gemeinsamen politischen, geostrategischen und ökonomischen Interessen überwiegen, die sie mit dem NATO-Partner Türkei verbinden.

Wir müssen stärker werden

Leider fehlt heutzutage eine gesellschaftlich relevante Kraft, die es vermag, politischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Zwar finden sich im Bundestag durchaus Abgeordnete, die sich ernsthaft um eine Aufhebung des Betätigungsverbots bemühen, die versuchen, Debatten hierüber zu initiieren oder durch permanente Anfragen an die Bundesregierung über Ereignisse in der Türkei oder über die Repression von Kurd*innen in Deutschland die Öffentlichkeit aufzuklären und zu sensibilisieren. Doch Anträge zur Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots verschwanden nach von Unkenntnis und Unverschämtheiten geprägten Plenardebatten in der Nacht im Orkus der zuständigen Bundestagsausschüsse.

Keineswegs unerwähnt bleiben darf aber, dass – aufgrund der revolutionären Selbstverwaltung in Rojava und der außerordentlich wichtigen feministischen Projekte und Arbeiten ‒ ein zunehmendes Interesse und Engagement von insbesondere Jugendlichen an der kurdischen Bewegung, ihrer praktischen und theoretischen Herangehensweise an politische Themen und ihre Lösung verzeichnet werden kann. Protest und Widerstand gegen die Kriminalisierung und Diffamierung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland sind hierbei natürlich mit eingeschlossen.

Ein bisschen Eigenlob zum Schluss

Auch wenn wir als AZADÎ einige der Ziele, die vor 25 Jahren formuliert wurden, nicht erreicht haben (wie die Aufhebung der Verbote), so haben wir nichts unversucht gelassen, an diesem Thema kontinuierlich und intensiv zu arbeiten. Wichtig war uns stets, die politischen Gefangenen nicht zu vergessen und sie mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterstützen. Gleiches gilt für die zahlreichen Kurd*innen, deren Leben wir durch materielle Hilfestellung zumindest etwas erleichtern konnten. Öffentlichkeit herzustellen über Gerichtsverfahren, Repressionen und juristische Hintergründe sowie rechtliche Beratung gehören bis heute zu unseren vornehmlichen Vereinsarbeiten. Als Erfolg verbuchen können wir die Durchführung der internationalen juristischen Tagungen und Veranstaltungen, mit denen Anwält*innen aus vielen Ländern zusammengebracht werden konnten, denen die Verteidigung von Kurdinnen und Kurden sowie der kurdischen Bewegung ein dringendes Anliegen war und ist. Das weitreichende und wichtige Urteil des belgischen Kassationshofes vom Januar 2020 war gewiss ein positives Beispiel kollegialer internationaler Zusammenarbeit.

Gemeinsam weitermachen

Feiert jemand seinen/ihren Geburtstag, werden ihm oder ihr gewöhnlich viele weitere Lebensjahre gewünscht. Das wünschen wir uns nicht, denn eigentlich möchten wir AZADÎ überflüssig machen.

Weil es bis dahin wohl noch eine Wegstrecke sein wird, möchten wir zusammen mit vielen anderen Genoss*innen, Freund*innen und Sympathisant*innen am gemeinsamen Ziel arbeiten.

Das KPD-Verbot von 1956 besteht bis heute, das PKK-Verbot seit 28 Jahren. Beide Verbote müssen fallen.

Wir möchten an dieser Stelle allen Menschen danken, die in unterschiedlicher Form unsere Arbeit und damit die Kurdinnen und Kurden in Deutschland unterstützen.

Wenn Corona es zulässt, planen wir für Anfang Dezember einen kleinen Empfang zum 25-jährigen AZADÎ-Bestehen. Alles Nähere dazu beizeiten.


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021