Kriminalisierung kurdischer Aktivitäten und mediale Diffamierungen nehmen in Deutschland wieder zu

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Elmar Millich, Mitglied des Vorstandes von AZADÎ e.V.

Kriminalisierung kurdischer Aktivitäten und mediale Diffamierungen nehmen in Deutschland wieder zuSpätestens seit dem Betätigungsverbot der PKK in Deutschland von 1993 gehört Repression zum Alltag von hierzulande politisch aktiven Kurd:innen, ihren Vereinen und Einrichtungen. Unzählige Razzien, Angriffe auf kurdische Demonstrationen und Versammlungen sowie die Schließung kurdischer Medien prägen die letzten Jahrzehnte in der BRD, unabhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen.

Strafverfahren ausgeweitet

Im strafrechtlichen Bereich überblickt niemand mehr die in die Tausende gehenden Verfahren, vor allem wegen angeblichen Verstoßes gegen Paragraph 20 Vereinsgesetz, mithilfe dessen die öffentliche Verwendung von Symbolen der PKK oder sonstige Sympathiewerbungen unter Strafe gestellt werden. Dieser Sektor ist in den letzten fünf Jahren stark ausgeweitet worden, indem die Liste der angeblich von der PKK benutzten verbotenen Symbole ständig erweitert wurde und mittlerweile auf 32 Fahnen/Embleme angestiegen ist, die den Einsatzleiter:innen der Polizei bei Demonstrationen schriftlich an die Hand gegeben werden. Darunter befinden sich auch die Fahnen der syrisch-kurdischen Verteidigungseinheiten YPG und YPJ sowie Abbildungen des Repräsentanten des kurdischen Volkes Abdullah Öcalan. Kontinuierlich gibt es auch Anklagen, Prozesse und Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen gegen in Deutschland arbeitende angebliche Funktionär:innen der PKK wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach §129a/b Strafgesetzbuch (StGB).

Repression als Einschüchterungsversuch

Die kontinuierliche Repression, der die kurdische Bewegung in Deutschland unterworfen ist, hat sicherlich ihre Spuren hinterlassen. Die ständige Androhung von strafrechtlicher Verfolgung und auch ausländerrechtlichen Konsequenzen – verweigerte Einbürgerungen, Entzug der Aufenthaltserlaubnis, Asylaberkennungen – mag dazu geführt haben, dass viele der etwa eine Million in Deutschland lebenden Menschen kurdischer Herkunft sich aktiver politischer Betätigung enthalten, auch wenn sie mit der kurdischen Befreiungsbewegung sympathisieren. Dies war erklärtes Ziel der Repressionsbehörden in den 1990er Jahren unter dem Eindruck, dass sich schnell Zehntausende von Kurd:innen in Deutschland mobilisieren ließen, um etwa gegen deutsche Waffenlieferungen an die Türkei zu protestieren. Parallel zu den Aktivitäten der Sicherheitsbehörden gab es zur damaligen Zeit regelmäßige Schmutzkampagnen der maßgeblichen Medien, welche die »Terrorkurden« ihres politischen Kerns berauben und die Befreiungsbewegung als Mafiastruktur darstellen sollten. Diese permanente Propaganda sorgte bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung für Ablehnung der PKK, zum Teil auch bei deutschen Linken.

»Stimmungs«umschwung 2014/2015

Einen gewissen Wendepunkt brachte 2014 der Kampf um das vom sogenannten »Islamischen Staat« (IS) belagerte Kobanê, insbesondere die Rettung von Zehntausenden vom IS eingeschlossenen Êzîd:innen aus dem Şengal-Gebirge durch Einheiten der PKK und YPG/YPJ. Die beiden Themen beherrschten über Monate auch die deutschen Hauptnachrichten und führten zu einem Stimmungsumschwung in der Bevölkerung und in den Medien. »Die PKK gehört zu Deutschland« titelte die taz, und 2016 wurde erstmalig im Bundestag über eine mögliche Aufhebung des PKK-Verbots diskutiert. Die weiterhin stattfindende Repression der Sicherheitsbehörden in Deutschland gegen politische kurdische Aktivitäten verlor zunehmend an Legitimation und geriet unter Begründungsdruck. Auch verloren sie gegenüber den Leitmedien tendenziell ihre Informations- und Deutungshoheit über die PKK.
Dazu beigetragen hat sicher die Ausweitung der kurdischen Medienarbeit, wie etwa der Aufbau der deutschsprachigen Ausgabe des kurdischen Nachrichtenportals ANF. Aber auch wir als Rechtshilfefonds AZADÎ registrierten bei den Medien einen breiteren Informationsbedarf und wurden zunehmend zu sogenannten journalistischen Hintergrundgesprächen angefragt, etwa über laufende Strafprozesse oder Details zu Formen der Repression gegen kurdische Aktivist:innen.

Die »Blüten« des Geheimdienstes

Der gewandelten Einstellung der Bevölkerung gegenüber der kurdischen Befreiungsbewegung hatten auch Polizei, Justiz und Nachrichtendienste wenig entgegenzusetzen. Die letzten jährlichen Berichte des Bundesverfassungsschutzes über die PKK lasen sich wie Copy-and-Paste-Ausgaben des Jahres zuvor. Vorgehalten wurde der PKK letztlich hauptsächlich, dass sie aufgrund ihrer hohen Mobilisierungsfähigkeit zur Gewalt aufrufen »könnte«.

Besondere Blüten, wenn es um die Diffamierung der PKK geht, trieb der VS-Bericht von 2020. Während allgemein von der Politik gefordert wurde, auch migrantische Verbände in die Corona-Aufklärung der Bevölkerung mit einzubinden, wurde für die kurdischen Verbände ein Strick daraus: Die vorbildlichen Maßnahmen – etwa Informationsverbreitung bezüglich Corona über die eigenen Medien – deutete der VS als Versuch der PKK, ihren Alleinvertretungsanspruch zementieren zu wollen und die kurdische Bevölkerung auf Abstand zu deutschen staatlichen Stellen zu halten.

Auch die Anklageschriften in den §129b-Verfahren waren wenig spektakulär. Vorgeworfen wurden den Angeklagten lediglich allgemeine politische Aktivitäten wie die Organisation von Demonstrationen und Versammlungen oder gar Schlichtungstätigkeiten bei kurdischen Familienstreitigkeiten.

Veranstaltungsverbote und Ausreisebehinderungen

Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen, dass sich die Sicherheitsbehörden dieses Mankos bewusst sind und in einer gezielten Kampagne mediale Hetze in polizeiliche/juristische Repression einbetten wollen. Zudem zeichnet sich ein Trend ab, parallel zur aktuellen türkischen Invasion in Südkurdistan Solidaritätsaktivitäten in Deutschland polizeilich zu untersagen oder zu behindern.

Jüngstes Beispiel für dieses Miteinander von rechtlich mehr als fragwürdigen Veranstaltungsverboten und eingebundener medialer Diffamierung bilden die Ereignisse um den ursprünglich für den 11. Juli geplanten 4. Kongress des kurdischen Europadachverbandes KCDK-E im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach.

Obwohl die Veranstaltung schon seit Wochen vorbereitet und transparente Einladungen erfolgt waren, untersagte die Kölner Polizei den Kongress am Vorabend um 17.00 Uhr per Telefonanruf bei den beiden Ko-Vorsitzenden des KCDK-E, um rechtliche Schritte gegen die Verfügung unmöglich zu machen. Eine schriftliche Begründung, auf die sich eine Klage gegen das Verbot hätte aufbauen lassen, lag dem KCDK-E auch Tage nach den Telefonaten nicht vor. Stattdessen drohte die Polizei, den Kongress auf jeden Fall mit massiven Polizeikräften verhindern zu wollen, die dann auch am Samstag in Bergisch Gladbach vor Ort waren.

Flankiert wurde diese rechtlich fragwürdige Verbotsaktion der Kölner Polizei durch eine offensive Medienarbeit. Noch bevor die Ko-vorsitzenden des KCDK-E informiert wurden, hatte sie den Medien das bevorstehende Verbot mitgeteilt. ­FOCUS online, Kölner Stadtanzeiger und dpa berichteten in reißerischen Artikeln, dass sich angeblich 200 hochrangige PKK-Funktionär:innen in Deutschland treffen wollten und die Polizei alarmiert sei. So wurde ein Delegiertentreffen einer in Europa legal arbeitenden Verbandsstruktur medial in ein konspiratives Treffen der PKK umgedeutet. Der FOCUS scheute sich auch nicht, den KCDK-E Ko-Vorsitzenden Yüksel Koç namentlich als »schillernde Figur der Extremistenszene« zu diffamieren. Zu seinen Ungunsten wurde ihm ausgelegt, dass der türkische Geheimdienst mutmaßlich nach seinem Leben trachtet. Auch der in jüngster Zeit von den Sicherheitskräften oft wiederholte Vorwurf, die PKK werbe in Deutschland junge Menschen für den Guerillakampf an, wurde in diesem Artikel mit sexistischer Untermalung erhoben.

Bereits im letzten Kurdistan Report wurde darüber berichtet, dass Beamt:innen der Bundespolizei – vermutlich in enger Absprache mit dem Geheimdienst der mit der Türkei kooperierenden südkurdischen PDK1 – im Juni eine Friedensdelegation auf dem Weg nach Südkurdistan am Flughafen Düsseldorf unter rechtlich fragwürdigen Begründungen an der Ausreise hinderte. Auch gegen Rückreisende der Delegation kam es zu massiven Repressionen. Am 24. Juni wurden sechs Personen der Delegation nach Ankunft von der Bundespolizei in Gewahrsam genommen und verhört. Etwa eine Woche später ging die Polizei gegen Empfangskomitees bei der Rückreise einer weiteren Delegiertengruppe am Frankfurter Flughafen ohne jede erkennbare rechtliche Grundlage äußerst brutal vor. Da schon die Verhinderung der Ausreise, u. a. der Hamburger Linksfraktionskovorsitzenden Cansu Özdemir am 12. Juni, auf breite öffentliche Kritik gestoßen war, können die weiteren Repressionen nur als offene Provokation von Ministerialbürokratie und Sicherheitskräften gegen die Öffentlichkeit und den Parlamentarismus gedeutet werden.

Mediale Diffamierung kurdischer Aktivitäten und Einrichtungen

Ein weiteres Beispiel für das Hand-in-Hand-Gehen von staatlicher Repression und Hetze bildeten polizeiliche Durchsuchungen und Verhaftungen gegen kurdische Personen im Raum Heilbronn. Ende Mai fanden dort Razzien gegen zwei kurdische Aktivisten statt. Bereits vorher hatte es in Heilbronn und Umgebung drei Verhaftungen unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach §129b StGB gegeben. Hierüber berichtete die Lokalzeitung »Heilbronner Stimme« unter dem Aufmacher »Terrorgruppe PKK auch in Heilbronn aktiv«. Darin wurde u. a. das Kurdische Gesellschaftszentrum in Heilbronn unter Bezugnahme auf den Verfassungsschutz in PKK-Nähe gerückt. Auch in diesem Artikel fehlte der Vorwurf des Verfassungsschutzes nicht, die PKK rekrutiere in Deutschland junge Menschen für den bewaffneten Kampf. Immerhin hat die »Heilbronner Stimme« dem Kurdischen Gesellschaftszentrum die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Zudem reagierte das Kurdische Gesellschaftszentrum mit einer zeitnahen eigenen Stellungnahme.

Wie bereits oben erwähnt, gibt es regelmäßig Verhaftungen, Prozesse und Verurteilungen von kurdischen Aktivist:innen unter Verwendung der §§129a/b StGB2. Da sich aber die Vorwürfe bislang auf rein politische Aktivitäten wie die Organisierung von Demonstrationen und das Sammeln von Spenden bezogen, gaben diese Verfahren nicht viel her. Dies glaubte die Bundesanwaltschaft 2018 durchbrechen zu können, indem sie fünf Personen im Süddeutschen Raum nicht nur wegen §129b StGB, sondern auch wegen versuchter räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und gemeinschaftlicher Körperverletzung anklagte. Wie häufig in den 1990er Jahren, stützten sich die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft fast ausnahmslos auf die Angaben eines dubiosen Kronzeugen. Nach einem tatsächlich stattgefundenen Treffen zwischen dem Kronzeugen und den Angeklagten, welches hauptsächlich das Stalking des Kronzeugen gegen die einzige mitangeklagte Frau beenden sollte, gab dieser bei der Polizei an, von den Angeklagten geschlagen, gewaltsam entführt, in einen Keller gesperrt und von maskierten und bewaffneten Männern bedroht und dort wieder geschlagen worden zu sein und all dies nur, weil er nicht mehr für die PKK aktiv sein wolle. Obwohl das Gericht letztlich nicht umhinkam, die Einlassungen des Kronzeugen zum großen Teil als Lügenmärchen zu bewerten, wurden die Angeklagten letztendlich zu teils hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Vor allem aber konnte in der Öffentlichkeit wieder an das alte Bild von der gewaltbereiten PKK angeknüpft werden. Angestoßen von den Sicherheitsbehörden berichteten die Medien ausführlich über die angebliche Crime-Story, und auch im Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg und des Bundesamtes für 2018 nahm der Prozess breiten Raum ein.3

Um das Bild der PKK als auch in Deutschland agierende gewalttätige Organisation zu forcieren, scheinen sich die Staatsanwaltschaften zunehmend auf angebliche an Zwangsrekrutierung heranreichende Anwerbeversuche junger Menschen für die Guerilla zu konzentrieren. Unter diesem Vorwurf durchsuchte die Polizei im Raum Hannover Anfang Juli fünf Wohnungen kurdischer Aktivist:innen und richtete dort teilweise Verwüstungen an. Vorgeworfen wird ihnen formal ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz.
Im medialen Bereich ist auffallend, dass es bezüglich der Berichterstattung über die PKK in den letzten Monaten ein Rollback gibt, das an die Stereotypen der 1990er Jahre erinnert. So bemühte etwa der langjährige Türkeikorrespondent der taz, Jürgen Gottschlich, in einem Kommentar in der Ausgabe vom 26. Juni wieder alte Klischees über die PKK. Anlass bot ihm die Verurteilung einer kurdisch-deutschen Sozialarbeiterin in der Türkei zu zehn Jahren Haft wegen einer Kundgebung in Deutschland für die Freilassung Öcalans. Die PKK beschreibt er als »eine harte stalinistische Kaderorganisation, die von der Führungsclique abweichende Meinungen als Verrat bestraft und auch in ihren gewaltsamen Aktionen wenige Skrupel kennt.« Zudem behauptet er ohne Angaben von Quellen, die Demokratische Partei der Völker (HDP) habe in den letzten Jahren immer wieder unter der PKK gelitten, auch wenn sich niemand aus der Partei traue, dies laut zu sagen. Zur augenblicklichen Militärinvasion im Nordirak übernimmt er die Version der vom Barzanî-Clan geführten südkurdischen PDK, nicht die türkische Militärinvasion sei das Problem, sondern allein die Existenz der PKK in der Region. Dass die Türkei auch ohne Kurd:innen und PKK mittlerweile äußerst aggressiv von Libyen bis Aserbaidschan militärisch agiert, scheint dem Autor entgangen zu sein bzw. hat er dies bewusst ignoriert.

Als Fazit im Umgang des deutschen Staates mit der kurdischen Befreiungsbewegung im laufenden Jahr lassen sich zwei Tendenzen erkennen: Zum einen scheinen sich die deutschen Behörden nicht mehr allein auf die Strafverfolgung im Nachhinein zu beschränken, sondern versuchen, bereits im Vorfeld politische Aktivitäten zu kriminalisieren oder zu unterbinden.

Zum anderen soll mittels gezielter Kriminalisierung und eingebetteter Medienarbeit das Bild der PKK als gestaltender politischer Kraft im Mittleren Osten demontiert und durch alte Stereotypen einer stalinistischen Organisation ersetzt werden, die auch in Deutschland mit kriminellen Methoden ihren Machtanspruch manifestieren wolle. Dem kann am besten entgegengewirkt werden, indem die PKK in der Öffentlichkeit offensiv als das beschrieben wird, was sie ist: Eine hauptsächlich ideologische Kraft, die in Rojava den Aufbau einer Perspektive für den gesamten Mittleren Osten inspiriert und sowohl militärisch als auch politisch im Verbund mit der HDP dem aktuellen türkischen Faschismus den härtesten Widerstand entgegenbringt.

Fußnoten:

1 - PDK, Partiya Demokrata Kurdistanê, dt. Demokratische Partei Kurdistans, auch KDP abgekürzt

2 - Gab es in den 80er Jahren bis Mitte der 90er Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft/Betätigung in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB, wurde der Vorwurf in Verfahren dann »herabgestuft« auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB. Seit einem Urteil des BGH im Oktober 2010 wird nach den Paragraphen 129a und 129b (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) angeklagt.

3 - nähere Infos zum Prozess: https://www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi/AZADIinfodienst/info212.pdf – S. 3


 Kurdistan Report 217 | September/Oktober 2021