Für das Leben und die Würde, gegen den gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus

Amed Ahmad, das war Mord!

Initiative Amed Ahmad


Am 13. Oktober 2021 jährt sich zum dritten Mal der Jahrestag der Beisetzung Amed Ahmads, der am 29.09.2018 an den Folgen eines bislang ungeklärten Brandes in der Justizvollzugsanstalt Kleve starb, in der er niemals hätte einsitzen dürfen. Für die »Initiative Amed Ahmad« ist dies eine Gelegenheit, um erneut ihre Anklage an die Polizei- und Justizbehörden am Niederrhein zu formulieren, aber auch, um einen kleinen Einblick in das Leben des jungen Kurden aus Syrien zu geben. Denn eins steht für die Initiative fest: Wäre Amed Ahmad ein junger, weißer Mann der Mittelschicht gewesen, wäre er heute noch am Leben. Auch die Eltern von Amed Ahmad klagen den institutionellen Rassismus der Gelderner Behörden an, die Vertuschungen und die Abwehr von Verantwortung sowie die ausbleibende Anteilnahme der deutschen Gesellschaft. Gleichzeitig fordern sie auch Solidarität mit den Angehörigen von weiteren Opfern rassistischer Polizeigewalt und Diskriminierung. Der sich dem Ende neigende Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat keine Aufklärung, sondern nur noch mehr Vertuschungen und Lügen hervorgebracht. Ein Großteil bleibt immer noch im Dunkeln


Was wissen wir aber, das vor Ameds Inhaftierung in Geldern passiert ist? Die Initiative möchte einen kleinen Einblick in Ameds Lebensgeschichte geben.


Der am 13. Juli 1992 geborene Amed Ahmad verbrachte seine Kindheit in Libyen und setzte erst im Alter von zehn Jahren wieder einen Fuß auf syrischen Boden. Die Familie Ahmad kehrte nach langer Phase der Arbeitsmigration nach Syrien zurück. Der politische Druck auf die in Syrien lebenden Kurd:innen verstärkte sich zu der Zeit erneut und Amed wurde mit jungen Jahren mehrmals verhaftet. Als man ihn schließlich wieder aus der Haft entließ, war er an Tuberkulose erkrankt. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich, sodass die Familie für eine bessere medizinische Behandlung in die Türkei migrierte. Die Lebensbedingungen in der Türkei blieben prekär, sodass sich Amed als drittes Familienmitglied über die sogenannte Balkanroute auf den Weg nach Deutschland machte, während Ameds Mutter mit einer Tochter und zwei weiteren Söhnen zunächst in der Türkei blieb.

Ameds Ankunft und Leben in Deutschland – Siegen, Ungarn, Geldern

Am 20. März 2016 wird Amed zum ersten Mal durch die deutschen Behörden in Süddeutschland registriert, seine erste Asylanhörung hat er Ende März 2016. Zu der Zeit ist er im Kreis Siegen in einer Geflüchtetenunterkunft untergebracht. Dort findet er Freund:innen, mit denen er gemeinsam kocht und sich austauscht. Von seiner Zeit und seinen Erlebnissen in Syrien erzählt er kaum etwas, deutet aber immer wieder an, dass ihn die Erlebnisse während der Haft stark geprägt haben. Er leidet unter Schlafproblemen, Albträumen und Konzentrationsschwierigkeiten – Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung.

Aufgrund einer fremdverschuldeten Fristüberschreitung wird Ameds Asylgesuch im Juni 2016 abgelehnt und er wird im November 2016 nach Ungarn abgeschoben – trotz gegenteiliger Rechtsprechung, eines psychologischen Gutachtens und eines Petitionsverfahrens über die Aussetzung der Abschiebung. Amed wird in Ungarn sogleich inhaftiert, misshandelt und seiner Ausweis-Dokumente beraubt. Einen Monat nach Ameds Inhaftierung in Ungarn verkündet der Petitionsausschuss in Nordrhein-Westfalen, dass er nicht nach Ungarn abgeschoben werden solle – da saß er aber schon längst in ungarischer Haft.

Anfang Februar 2017 darf Amed wieder mit einem Flugzeug von Budapest nach Düsseldorf einreisen und bekommt ab Mitte April 2017 einen Zuweisungsbescheid für die Stadt Geldern, im Kreis Kleve am Niederrhein in NRW, nahe der niederländischen Grenze. Etwas mehr als ein Jahr wird Amed nun in Geldern leben. Durch seine fehlenden Ausweisdokumente verlangsamen sich alle zukünftigen behördlichen Prozesse, wie bspw. sein Asylverfahren. Er besitzt nur noch den Schriftverkehr zwischen ihm und seinem Anwalt aus Siegen und eine Kopie seines Ausweisdokuments aus Syrien. Aufgrund der fehlenden Dokumente wurden Amed auch keine Leistungen nach dem Asylbewerber:innenleistungsgesetz gewährt, da man »Sozialleistungsmissbrauch« vermeiden wolle – auch wenn man ihn auf Auszügen aus dem Ausländer:innenzentralregister eindeutig als die Person benennen konnte, die vor ihnen saß: Amed Ahmad, geboren am 13.07.1992 in Aleppo. Amed hatte daher zu der Zeit so gut wie kein Geld.

Amed beginnt auch in Geldern Freundschaften zu schließen. Seine Freund:innen beschreiben ihn als einen zurückhaltenden, eher schüchternen, aber auch sehr hilfsbereiten jungen Mann, der sich erst nach und nach auf andere Menschen eingelassen hat. Amed wünscht sich eine eigene Familie, leidet aber auch weiterhin unter anhaltenden Schlafproblemen, Albträumen und Kopfschmerzen. Er versucht sich beharrlich ein neues Leben aufzubauen: Er beginnt in einer benachbarten Gemeinde Fußball zu spielen, besucht hin und wieder seine alten Freund:innen in Siegen, hilft in einer Gärtnerei aus, muss aber wegen Rückenproblemen wieder damit aufhören. Er beginnt ab August 2017 wegen seiner Schlafprobleme ärztliche Unterstützung zu suchen.

Mit seiner Wohnsituation ist Amed zunehmend unglücklich, er schläft häufig bei Freund:innen oder sogar auf der Straße, um der Enge und der Unruhe der Sammelunterkunft zu entfliehen. Im August 2017 beantragt er daher die Unterbringung in einem Einzelzimmer. Mindestens ein ärztliches Gutachten bestätigt, dass Amed ein Einzelzimmer erhalten soll, damit er zur Ruhe kommen könne. Gleichzeitig versucht ein Anwalt für ihn, eine Umverteilung nach Siegen zu erwirken. Auch in Unterhaltungen mit seiner Familie hat Amed immer wieder angedeutet, dass er, anstatt in der Unterkunft in Geldern zu bleiben, lieber zu seinem Vater nach Bonn oder zu seiner Mutter in die Türkei zurückkehren wolle. All diese Versuche bleiben aber ergebnislos. Ende Oktober meldet sich Amed bei dem für ihn zuständigen Sozialamt, da er gerne arbeiten und sein eigenes Geld verdienen würde. Ihm wird als Voraussetzung ein Deutschsprachkurs bei der Volkshochschule in Geldern empfohlen, an dem er ab November 2017 teilnimmt.

Die Polizei am Niederrhein sucht ihren Täter ...

Die Ermittlerin Silke K. sucht seit Mai 2018 und der Gelderner Polizist Frank G. seit Juni 2018 einen Täter für unterschiedliche Sexualdelikte. Einmal geht es um eine Vergewaltigung einer Jugendlichen in Geldern und einmal um sexuelle Belästigung in einem Spielcasino. In dem ersteren Falle stellt sich später heraus, und zwar vier Tage nach Ameds Inhaftierung, dass die Jugendliche den Vorfall erfunden hatte. Zu dem Zeitpunkt wurde aber bereits mit einem Phantombild nach dem potentiellen Täter im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Amed ist eigenen Angaben zufolge in den Monaten Mai und Juni quasi obdachlos, schläft mal bei Freund:innen und mal an Bahnhöfen oder in Zügen, da er sich in seiner Unterkunft in Geldern nicht mehr sicher fühlt und nicht zur Ruhe kommen kann – in der Unterkunft sei er nur noch, um seine Post abzuholen.

Ameds unrechtmäßige Inhaftierung und der ungeklärte Zellenbrand

Zwei Tage vor Ameds Inhaftierung, am 4. Juli 2018, geschehen mehrere Ereignisse gleichzeitig. Gegen 6 Uhr wird Amed am Krefelder Bahnhof ohne Ticket in einem Zug angetroffen und auf die Krefelder Polizeiwache mitgenommen. Es kommt zu seiner vorläufigen Festnahme um 9:54 Uhr, durch Polizist H. wegen Beförderungserschleichung. Amed wird zur Identitäts-Überprüfung der Polizeiwache Süd zugeführt und kann die Wache kurz vor 12 Uhr wieder verlassen. Noch am selben Tag gibt ein Krefelder Polizist den Namen des Maliers »Amedy G.« in das interne Suchsystem ein. Der Gelderner Polizist Frank G., der in der Sache im Spielcasino ermittelt, bekommt ebenfalls am 4. Juli die Videoaufzeichnungen aus dem Spielcasino zugesandt, auf denen er Amed zu identifizieren glaubt – er ruft an dem Tag mindestens drei Mal Ameds Personalakte auf. Was also mindestens eindeutig ist: Die Polizeibeamt:innen in Geldern und Kleve wussten, wer Amed Ahmad war, dass er hellhäutig war und dass er nicht aus Mali stammt.

Wenige Minuten nach Ameds Entlassung sind Zugriffe der Regierungsangestellten Katarina J. von der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein auf Ameds Personalakte vermerkt. Auf dieser Grundlage wird später versucht die Theorie zu konstruieren, dass es durch eine missglückte Datenbearbeitung oder versehentliche Datenverknüpfung, die in Siegen-Wittgenstein durchgeführt worden sei, die »Verwechslung« erst möglich gemacht wurde. Dabei war die Verwechslungstheorie von Anfang an nicht glaubhaft. Die tatsächliche Verknüpfung von Ameds Daten mit dem Haftbefehl des Maliers erfolgt erst zwei Tage nach seiner Inhaftierung.

Festnahme am 6. Juli 2018

Amed Ahmad soll am Mittag des 6. Juli 2018 an einem Badesee in Geldern vier Frauen belästigt haben. Im Untersuchungsausschuss kommentiert eine der Frauen die Situation so, dass er vor allem genervt habe, sie sich aber keinesfalls bedroht gefühlt hätten. »Total hilflos« habe Amed auf sie gewirkt, sagt Lea S., »als sollte man ihm zuhören«. Eine der Frauen ist Polizeianwärterin, eine weitere Frau ruft ihren Vater an, und zwar den Verkehrspolizisten Gregor H. Man habe Amed eigentlich nur drohen und ein bisschen Angst machen wollen. Der Verkehrspolizist informiert seine Kolleg:innen und zwei Streifenwagen kommen zu dem Badesee. Dort habe man Amed in einiger Entfernung zu den vier Frauen auf einer Bank wartend vorgefunden.

Amed hatte erneut nur seine Sparkassenkarte und wird nachmittags zur Personalienüberprüfung in Badehose auf die Gelderner Polizeiwache gebracht. Seine Fingerabdrücke werden entnommen und ergeben einen Treffer: Amad Ahmad, geboren in Aleppo. Am selben Tag wird die Polizistin K. von der Polizei Kalkar, die in der Sache der Vergewaltigung ermittelte, mindestens privat von dem Gelderner Polizisten W. angerufen und über die Festnahme informiert – man habe eine Ähnlichkeit zwischen Amed und dem in ihrer Ermittlungssache erstellten Phantombild feststellen können. Amed wird nach erneuter erkennungsdienstlicher Behandlung am Abend des 6. Juni 2018 in den »BGH« gesteckt, einen besonders gesicherten Haftraum, in dem »ein Bett, eine offene Toilette und ein Schlafanzug« seien. Parallel dazu wird der Haftbefehl für den in Hamburg gesuchten Malier Amedy G. per Fax erbeten, auf dessen Grundlage man Amed angeblich inhaftieren wolle. Jedoch sagt eine IT-Expertin: »Bei ihren Abfragen in ViVA am Freitag Nachmittag soll den Beamten ein veränderter Datensatz des Amad A. gegenüber dem Bestand vom Mittwoch Morgen angezeigt worden sein. Am 06.07. soll dieser Datensatz nicht nur die Daten von Amad A. umfasst haben, sondern weitere zwölf Namen, sowie vier Fahndungsnotierungen für einen gewissen Amedy G. Eine Quelle, die diese Darstellung eindeutig belegt, fand ich nicht, Kopien eines solchen vermischten Datensatzes vom 06.07.2018 ebenfalls nicht.«1

Amed wird am folgenden Tag, am 7. Juli 2018, in die JVA Geldern-Pont gebracht und bei ihm wird »akute Suizidalität« festgestellt. Er wird in einen Einzelhaftraum gebracht, in dem er alle 15 Minuten kontrolliert wird. Es wird vereinbart, dass Amed aufgrund des Verdachtes eines Verbrechenstatbestandes am Niederrhein nicht zur JVA Hamburg verschoben wird (wo er laut »Haftbefehl« eigentlich hingehört hätte), sondern für die örtliche Polizei am Niederrhein »greifbar bleiben« solle. Und auch der Polizist Frank G. äußert sich u. a. gegenüber der Polizistin K. aus Kalkar, dass er eine Ähnlichkeit zwischen dem Phantombild der Öffentlichkeitsfahndung und Amed habe feststellen können und dass Amed dem gesuchten Mann aus dem Spielcasino ähneln würde.

Am 10. Juli 2018 werden von Amed erneut Lichtbilder für eine Wahllichtbildvorlage mit der mutmaßlich geschädigten Jugendlichen angefertigt. Am selben Tag gesteht die Jugendliche jedoch, dass sie die Tat erfunden hatte – die Öffentlichkeitsfahndung wird eingestellt. Somit war auch die Täterbeschreibung, auf dessen Grundlage das Phantombild entstanden ist, von dem mehrere Polizeibeamt:innen meinten, darin Amed Ahmad wiedererkannt zu haben, eine reine Erfindung.

Amed wird dennoch am selben Tag, also am 10. Juli 2018, in die JVA Kleve gebracht. Für den offenen Vollzug wäre eigentlich die JVA Moers/Kapellen zuständig gewesen. Wegen seines »suizidalen Zustands« wird er aber »gesondert und gesichert« in die geschlossene JVA Kleve überstellt. Das bedeutet, dass er in einem Einzeltransport mit Fesselung und zwei Personen als Begleitpersonal von Geldern nach Kleve gebracht wurde. Er soll direkt beim Zugangsgespräch gefragt haben, wann er nach Hause könne, weil er davon ausging, dass er nur eine Ersatzfreiheitsstrafe abzusitzen habe.

Amed Ahmad in der JVA Kleve

Die Haft-Personalakte von Amed Ahmad wird fortan unter seinem Namen geführt, auch wenn auf dem Haftbefehl aus Hamburg weiterhin der Name Amedy G. vermerkt ist. Knapp eine Woche nach der Verlegung in die JVA Kleve stellt Amed den ersten Antrag auf Aufhebung der gesonderten Beobachtung. Erst am 2. August 2018 bescheinigt ein Anstaltsarzt, dass es keine Bedenken gegen eine Gemeinschaftsunterbringung für Amed mehr gebe. Die Anstaltspsychologin führt einen Tag später wiederum aus, dass die für den 30. August 2018 notierte Frist zur erneuten Überprüfung der andauernden Sicherungsmaßnahmen bewusst gewählt worden sei, um einen hinreichend verlässlichen Beobachtungszeitraum zu haben. Die Sicherungsmaßnahme wird daraufhin aufrechterhalten. Am 29. August beantragt Amed erneut eine Aufhebung der gesonderten Beobachtung.

Erst am 03. September 2018 führt Amed ein erstes Gespräch mit der JVA-Psychologin Andrea Z.: Er sagt ihr, dass er nicht der gesuchte Mann sei und sich nicht umbringen wolle, und so habe es auch laut Z. »keine Hinweise auf Suizidalität« gegeben. Sie hatte nach dem Gespräch mit Amed vermerkt, er habe im Personalblatt seiner Akte auf seinen Namen gedeutet, ihn laut ausgesprochen und bestätigt, dass dies sein Name sei. Auf den Namen »Amedy G.« tippend habe A. dann jedoch gesagt: »Diesen Namen habe ich noch nie gehört.« Auch von einer Verhandlung und von einem Urteil habe er keine Kenntnis. Zum Tatzeitpunkt sei er nicht einmal in Deutschland gewesen, in Hamburg noch nie in seinem Leben.

Die Verwechslung sei auf »fehlerhafte Polizeiprotokolle« zurückzuführen, sagt Ahmad laut Psychologin. Diese hat ihm allerdings nicht geglaubt. Er habe »kaum nachvollziehbare Angaben zu seiner Person gemacht«, schrieb sie. »Es entstand der Eindruck eines hinsichtlich Delikten und Tatvorwürfen undurchsichtigen jungen Mannes«, so die Psychologin weiter. Nach dem Gespräch erfolgt eine Unterbringung in einen Gemeinschaftsraum ohne Beobachtung und Amed beantragt die Teilnahme an mehreren Sportgruppen.

Zu der Zeit habe Amed mithilfe seines Zellennachbarn sein Vollstreckungsblatt einsehen wollen, um seinen Haftgrund zu erfahren. Er ging anscheinend immer noch davon aus, eine Ersatzfreiheitsstrafe abzusitzen, war sich dessen und auch über seinen Entlassungstermin aber unsicher. Sein Antrag ist aber weder in Ameds Akten aufgetaucht, noch konnte sich jemand der JVA-Bediensteten an diesen Antrag erinnern. Gleichzeitig haben Wärter:innen Amed damit gedroht, er solle nach seiner Entlassung nach Syrien abgeschoben werden. Des Weiteren gleichen sich die Aussagen der JVA-Bediensteten: Niemand habe sich länger mit Amed unterhalten, dies wäre auch sprachlich schwierig gewesen. Darüber hinaus hätte er nicht erwähnt, dass er zu Unrecht in Haft sitzt, und er hätte auch keine Kontakte zu seiner Familie gepflegt, auch habe er keinen Rechtsanwalt hinzugezogen. Derweil ist das Gelderner Amt für Arbeit und Soziales darüber informiert, dass Amed in der JVA Kleve ist, und verfügt, dass sein Zimmer in der Geflüchtetenunterkunft geräumt wird, damit er nach Freilassung keine »Schulden« bei der Stadt Geldern habe. Sein Zimmer wird geräumt, die Freund:innen oder Eltern werden über seine Inhaftierung jedoch nicht informiert und wundern sich bereits, warum sie so lange nichts mehr von ihm gehört haben.

Nach der Essensausgabe am Abend des 17. September 2018 bricht in Ameds Zelle ein Feuer aus. Die Ursache und genaue Uhrzeit des Brandes sind immer noch unklar. Laut Berichten taumelt Amed den Bediensteten nach Öffnung des Haftraums entgegen, lehnt sich an eine Wand und fragt nach Wasser. Ansonsten soll er sich nicht geäußert haben. Die Ärmel seines Pullovers sind hochgezogen, zu erkennen sind starke Verbrennungen. Während einige Bedienstete das Feuer löschen, bringen andere Amed in die stabile Seitenlage. Kurz darauf trifft die Feuerwehr ein und Amed wird zunächst in ein Krankenhaus nach Duisburg geflogen. Am 24. September 2018 wird er in eine spezialisierte Klinik nach Bochum gebracht und in ein künstliches Koma versetzt, er hat 40%ige Verbrennungen am Körper. Unmittelbar nach dem Brand und dem Eintreffen einer Polizeistreife zur Sicherung des »Tatorts« wird gegen Amed ein Verfahren wegen vorsätzlicher Brandstiftung eingeleitet. Ein befreundeter Zellennachbar von Amed, der sichtlich von dem Vorfall mitgenommen war, wird unmittelbar durch die Anstaltspsychologin Z. wegen angeblicher »akuter Suizidalität« in Einzelunterbringung gebracht.

Am 20. September 2018, also drei Tage nach dem Brand, bittet die Staatsanwaltschaft Hamburg den Bezirksdienst Geldern um Mitteilung, aufgrund welcher Erkenntnisse die Personalien des Verurteilten dort geführt werden, und es wird um Nachweise gebeten. Das Schreiben geht am 24. September bei der Kreispolizeibehörde Kleve ein. Erste Überprüfungen eines Beamten des Bezirksdienstes der Polizeiwache Geldern ergeben, dass zu den Personalien des syrischen Staatsangehörigen bei einer INPOL-Abfrage auch die Person des malischen Staatsangehörigen mitgeteilt wird, welche den Namen des syrischen Staatsangehörigen als Alias-Personalie verwenden soll. Aufgrund der Unstimmigkeiten zur Person wird das Schreiben der Staatsanwaltschaft Hamburg durch den Beamten zur weiteren Bearbeitung der Fahndungsfachdienststelle KK 3 an die Kreispolizeibehörde Kleve weitergeleitet. Intern wird nun bei der Polizei Geldern kommuniziert, dass es fraglich sei, ob »Amed Amed zu Recht für die genannten Haftbefehle einsitzt«!

Am 26. September 2018 wird durch die Polizei Geldern ein Aktenvermerk erstellt, in dem es heißt, dass das Ergebnis der Überprüfung eine »Personenverwechselung« hervorgebracht habe. »Es wurde um eine Entlassung des syrischen Staatsangehörigen aus der Haft ersucht«, heißt es drei Tage vor Ameds Tod, die dann zwei Tage später durch die Staatsanwaltschaft Hamburg angeordnet wird.
Am 27. September 2018 wird wegen des »Anfangsverdachts auf Freiheitsberaubung« ein Ermittlungsverfahren gegen die sechs Polizeibeamt:innen eingeleitet, welche in dem Bericht der Direktion -K-, KK 3, der Kreispolizeibehörde Kleve vom 26. September 2018 als an der Festnahme und Identifizierung des syrischen Staatsangehörigen Beteiligte benannt worden waren. Im November 2020 werden die Ermittlungen eingestellt.

Am 29. September 2018, um 14:10 Uhr, verstirbt Amed im Krankenhaus Bergmannsheil in Bochum nach einer Lungentransplantation und aufgrund der erlittenen Verletzungen. Am 1. Oktober 2018 wird die erste Pressemitteilung zu Ameds Tod veröffentlicht, einen Tag später wird das syrische Konsulat in Berlin über Ameds Tod per Fax informiert. Am 4. Oktober macht sich ein Freund von Amed auf den Weg zur Gelderner Polizei, um sich über Ameds Verbleib zu informieren. Ihm wird mitgeteilt, dass man ihm keine Auskunft erteilen könne. Der Freund kontaktiert den Vater von Amed, der am selben Tag nach Geldern fährt, und sie suchen erneut die Polizeiwache Geldern auf. Die beiden müssen sich nun erst einmal gedulden, da man zunächst zweifelsfrei die Identität des Herrn Ahmad feststellen müsse, bevor man ihm Informationen mitteile. Durch die Vorlage von Fotografien kann Herr Ahmad letztlich die Identität von Amed Ahmad bestätigen. Erneut ruft der Polizist Frank G. an diesem Tag Ameds Akte auf. Er war einige Wochen vor dem Zellenbrand darüber informiert worden, dass Amed nicht identisch mit dem per Haftbefehl gesuchten Malier sei.

Am 13. Oktober 2018 wird Amed auf einem Friedhof in Bonn beerdigt. Ameds Vater hat bereits auf der Beerdigung gefragt, wer die Mörder seines Sohnes seien. Ameds Mutter darf erst einen Tag später nach Deutschland einreisen, ihr wurde nicht rechtzeitig die Visumserlaubnis erteilt. »Wir glauben, dass Ameds Festnahme und Überstellung in die JVA politisch motiviert war. Wie kann es denn sein, dass der Polizei solch ein Fehler unterläuft? Mein Sohn war hellhäutig, der Gesuchte ein schwarzer Afrikaner«, sagt Ameds Vater Zaher Ahmad. Die Behörden und die Polizei müssten aus dem Tod seines Sohnes eine Lehre ziehen. Von der Bundesregierung fordert er lückenlose Aufklärung. »Wir sind vor dem Krieg in unserer Heimat nach Deutschland geflohen, weil wir an die Demokratiewerte dieses Landes glaubten. Ich hoffe, dass keine weiteren Menschen mehr unschuldig ins Gefängnis müssen.«

In den »offenen Ermittlungssachen« gegen Amed wird derweil weiter ermittelt. Eine Notiz vom 29. Oktober 2018 nach Recherchen auf Ameds Facebook-Seite besagt, dass davon abgesehen werde, gegen Amed wegen der Verwendung der Symboliken der YPG (Volksverteidigungseinheiten) eine Strafanzeige zu stellen, da der Nutzer des Accounts verstorben sei.
Anfang Februar 2021 ist das letzte Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizeibeamt:innen eingestellt worden, die alle die Möglichkeit gehabt hätten, Amed aus der Haft zu entlassen. Wir erwarten von Seiten der juristischen und parlamentarischen Aufarbeitung keine Aufklärung.

Im Gedenken an Amed Ahmad

Als Initiative Amed Ahmad, die die Angehörigen und Freund:innen von Amed Ahmad in der Öffentlichkeit vertritt, fühlen wir uns an den Brand-Tod von Oury Jalloh erinnert, der vor 16 Jahren in einem Haftraum der Polizeistation in Dessau unter bisher ungeklärten Umständen starb. Wie im Ringen um Aufklärung zu Oury Jallohs Tod muss nun auch die Familie von Amed Ahmad gemeinsam mit ihren Anwält:innen gegen die vorgeblichen Gedächtnislücken der Polizei- und Justiz-Beamt:innen und -Mitarbeitenden der Kreispolizeibehörde Kleve und der JVA kämpfen. Von Beginn an sagten die Eltern: »Unsere Forderungen lauten Gerechtigkeit, Gerechtigkeit und Gerechtigkeit. Wir werden nicht aufhören, nach den Mördern von unserem Sohn zu fragen. Wir benutzen das Wort Mörder, weil Menschen Amed getötet haben oder seinen Tod verursacht haben.«

Und wir befürchten, dass der »Fall« mangels Aufklärungswillen zu den Akten gelegt werden soll und lediglich als »tragische Datenpanne« in Erinnerung bleiben wird. Es waren aber die rassistischen Strukturen, die für Amed tödlich wurden. Wir sind überzeugt, dass der institutionelle Rassismus der Polizei- und Justizbehörden sowie die rassistische Stigmatisierung und Kriminalisierung von Amed Ahmad, wie er sie vor seiner Inhaftierung erleben musste, mitverantwortlich für seinen Tod am 29. September 2018 sind. Konkret benennen wir dabei die Kreispolizeibehörde Geldern, das Amtsgericht Geldern, die JVA Geldern-Pont und Kleve, die beteiligten Staatsanwaltschaften, das Amt für Arbeit und Soziales Geldern sowie die Abteilung für Ordnungs- und Gewerbeangelegenheiten Geldern.

Unsere Kritik richtet sich auch an NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), Justizminister Biesenbach (CDU) sowie an die beteiligten Staatsanwaltschaften. Sowohl die politisch Verantwortlichen als auch die Ermittlungs- und Justizbehörden sind an einer vollumfassenden Aufklärung zu den Hintergründen von Amed Ahmads Tod nicht interessiert. Ohne konsequente Aufklärung befürchten wir aber, dass auch weiterhin vor allem migrantisierte Menschen im Kontakt mit den Polizeibeamt:innen der Kreispolizeibehörde Kleve und andernorts um ihr Leben fürchten müssen.

Als Initiative rufen wir auf, am 13. Oktober 2021, dem Jahrestag von Ameds Beisetzung, an der Gedenkkundgebung in Bonn auf dem Münsterplatz teilzunehmen. Dort werden wir den Forderungen der Eltern von Amed, und auch weiteren Angehörigen von Opfern rassistischer Polizeigewalt, eine Bühne bieten. Denn trotz des zwei Jahre andauernden Untersuchungsausschusses sind die Fragen nicht weniger, sondern mehr geworden! Die beiden Kinder von Malek und Fadile werden immer noch durch das europäische Grenzregime ferngehalten. Die Wohnsituation der Familie ist unwürdig. Wir wollen am Jahrestag von Amed Ahmads Beisetzung zusammenkommen, um uns gegen die Vereinzelung der Betroffenen rassistischer Gewalt zu stellen und um das deutsche und auch das europäische Asylsystem anzuklagen, das Amed systematisch seiner Menschenwürde beraubt hat.

Wir klagen diejenigen an, denen Ameds unverschuldete Inhaftierung offenbar vollkommen egal war. Diejenigen, die ihn mit seinem Widerspruch, dass er nicht der Gesuchte sei, nicht ernst genommen haben, die seine fälschliche Inhaftierung wissentlich in Kauf genommen haben – oder sogar verursacht und vertuscht haben. Wir klagen diejenigen an, die Ameds Tod hätten verhindern können und die sich aus der Verantwortung herausreden. Wir klagen diejenigen an, die Amed selbst nach seinem Tod verleumdet haben. Und wir klagen diejenigen an, die allumfassende Aufklärung versprochen haben, aber ihr Wort nicht gehalten haben und von Anfang an nicht halten wollten.

Wir klagen ein System der Entmenschlichung und der Abwehr von Verantwortung an, wir klagen diese gesellschaftlichen Verhältnisse an, die so einen Tod möglich machen und bei einem Großteil der Menschen nur Gleichgültigkeit erzeugen. Wir fordern darüber hinaus eine lückenlose Aufklärung und Gerechtigkeit für Amed und für alle anderen Opfer rassistischer, patriarchaler und antisemitischer Gewalt. Dazu gehört für uns eine grundlegende Anerkennung der Mechanismen von institutionellem Rassismus der Polizei und Justizbehörden, aber auch dem Rassismus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Wir fordern mit Nachdruck, dass die erlebten Erfahrungen der Betroffenen, das erlebte Leid und der Verlust eines geliebten Menschen endlich ernst genommen werden. Aus unserer Anklage muss die Forderung nach strukturellen Veränderungen der polizeilichen Behörden und Konsequenzen für alle Verantwortlichen folgen. Auch deshalb fordern wir öffentliche Orte des Gedenkens und des Erinnerns. Denn die Menschen, die hier getötet wurden, waren ein Teil dieser Gesellschaft der Vielen. Und auch deshalb fordern wir, dass die Perspektiven, die Erfahrungen und die Stimmen derjenigen, die zu lange nicht angehört wurden, endlich sichtbar werden, endlich angehört werden. Und all diese Menschen, die anklagen, die angeklagt haben, sie sind keine Opfer – sie erkämpfen sich hier und jetzt ihr Recht darauf, gesehen und gehört zu werden ‒ ihr Recht darauf, als Menschen gesehen und anerkannt zu werden.

Fußnote:

1 - (https://police-it.net/wenn-daten-toeten-fall-amad-a-2-festnahme-mit-haftbefehl-eines-anderen)


 Kurdistan Report 218 | November/Dezember 2021