Das Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen«

Gemeinsame Schritte für ein solidarisches Miteinander

von Rheinmetall Entwaffnen, OG Celle, Dezember 2021


Blockade des Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf | Foto: rmeSeit 2018 sammelte das Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« mit Protesten gegen die deutsche Rüstungsindustrie vielfältige Erfahrungen: Zum Beispiel auf Camps am Rheinmetall-Standort in Unterlüß (siehe KR 206), bei Aktionärsversammlungen und dem Aktionstag in Kassel gegen Rheinmetall und KMW (Krauss-Maffei Wegmann) (KR 212) oder der Genehmigungsbehörde BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) in Eschborn (KR 215). Das Bündnis lernte dabei viel über eigene Stärken und Schwächen, über die Reaktionen der Unternehmen, wenn sie ins Rampenlicht gezerrt werden, und auch über die Entwicklung polizeilicher und staatlicher Reaktion/Repression auf den Protest gegen Krieg und Rüstungsexporte aus Deutschland.

Um die Entwicklung von »Rheinmetall Entwaffnen« zu verstehen ist es wichtig, den Kontext zu sehen, in dem das Bündnis entstanden ist. Mit dem Einsatz deutscher Leopard II Panzer im türkischen Angriffskrieg gegen die Revolution in Nord- und Ostsyrien/Rojava drängte sich die Frage auf, welche Antworten wir darauf entwickeln können – jenseits von Demonstrationen gegen das Erdoğan-Regime und dessen Rückendeckung durch die deutsche Regierung. Die Frage führte zum militärisch-industriellen Komplex, seiner politischen und wirtschaftlichen Funktion und der Unterstützung durch die Regierungen des Kapitalismus. Der Entschluss, diese Profiteure und Entscheidungsträger mit Protesten ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren und ihr Handeln anzuklagen, war also nicht ausschließlich vom Wunsch angetrieben, dass das weltweite Morden in Kriegen ein Ende findet. Vielmehr basierte dieser auf dem Verständnis, dass wir revolutionäre Veränderungen brauchen, wenn wir ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Naturzerstörung auf diesem Planeten leben wollen. Ebenso fußt es auf der Erkenntnis, dass genau diese notwendigen Veränderungsprozesse angegriffen werden, wann immer möglich mit »Hilfe« aus Deutschland. In diesem Sinne ist Antimilitarismus kein isoliertes Thema oder Aktionsfeld, sondern eine Notwendigkeit der Selbstverteidigung internationalistischer linker Politik.

Internationalistischer Aktionstag in Oberndorf ...

Der Entschluss der Zapatistas, 500 Jahre nach der Invasion im Sommer 2021 mit einer großen Delegation aus Mexiko Europa zu bereisen, trug eine große Bedeutung in sich. Sie wollten damit allen klar machen, dass sie nie von den Invasoren besiegt wurden, sondern dass dieser Kampf bis heute andauert. Gleichzeitig kamen sie, um das Europa von unten und von links kennenzulernen, sie kamen um »zu hören und zu sprechen«.

Da der deutsche Waffenhersteller Heckler & Koch einer der unzähligen Akteure aus Deutschland in diesem anhaltenden Kampf in Mexiko ist, haben wir unseren Protest 2021 nach Oberndorf im Schwarzwald gebracht. Dort sollte mit Blockaden das Werk stillgelegt werden und in einem Tribunal das todbringende Handeln des Konzerns in Vergangenheit und Gegenwart angeklagt werden.

Der Aktionstag in Oberndorf zeigt sowohl, wie wir derzeit Widerspruch gegen die Waffenexporte und die deutsche Rüstungsindustrie auf die Straße bringen können, also auch, vor welchen Schwierigkeiten wir stehen. Beim Tribunal vor den Werkstoren bei Heckler & Koch haben sich Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Beweggründen Schulter an Schulter zusammengefunden und sehr fundierte Beiträge miteinander geteilt. Besonders hervorzuheben ist die Beteiligung einiger Zapatistas und Delegierter des Nationalrats des CNI (Nationalkongress der Indigenen aus Mexiko), die vor Ort ihre Stimme erhoben haben. Das Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« hat es also geschafft, sich nicht isolieren zu lassen und stets mit weiteren Akteuren gemeinsam aufzutreten.

Auf der anderen Seite sind es sehr wenige, die sich gegen die Kriegsindustrie engagieren, vor allem in Anbetracht des Gegenübers. Das führte in der Praxis zu Überforderungen und Fehleinschätzungen unserer Möglichkeiten. So waren wir am 8. Oktober in Oberndorf viel zu wenige und nicht ausreichend vorbereitet, um den Konzern effektiv blockieren zu können. Dazu kommt eine Tendenz zu mehr polizeilicher Härte und offener Repression gegen die Proteste.

... und Repression

Während in Unterlüß oder auch Kassel die Polizei größtenteils zurückhaltend agiert hat, wurde Oberndorf zu einem Ort des polizeilichen Ausnahmezustands aufgerüstet. Das Werk wurde mit mehreren Barrieren aus Gittern und NATO-Draht umgeben, am Himmel kreisten ein Hubschrauber und eine Drohne, es wurden Räumpanzer und Wasserwerfer aufgeboten. Unmissverständlich sollte vermittelt werden: Wer sich mit der Rüstungsindustrie anlegt, legt sich mit dem gesamten Arsenal polizeilicher Gewalt an. Polizisten schlugen unvermittelt auf Menschen ein, die sich früh morgens in Richtung des Werkes aufmachten, das mobile Pressebüro des Bündnisses wurde überfallen und sämtliche Geräte beschlagnahmt, die Demonstration durch den Ort von der Polizei angegriffen. Während in der Vergangenheit, wahrscheinlich aus Sorge vor dem öffentlichen Echo auf diese Gewalt, davon in diesem Kontext weitestgehend abgesehen wurde, ist nun Härte angesagt (zumindest in Baden-Württemberg). Ansonsten spielt sich die Repression vor allem vor Gericht ab. Gegen die Beschlagnahme des Pressebüros musste vor Gericht vorgegangen werden, um die Rechtswidrigkeit attestiert zu bekommen und die Geräte zurückzubekommen. Der Prostet gegen die Exportgenehmigungsbehörde BAFA zieht einen Rattenschwanz mit ca. 40 Anklagen wegen angeblichem »Hausfriedensbruch« und »Nötigung« nach sich. Diese führen halbwegs wahllos zu Verurteilungen oder Einstellungen (größtenteils gegen Auflage). Durch die Aufspaltung in Einzelprozesse und ein RAF-Sondergesetz1 verhindert der Staat eine gemeinsame Verteidigung der Angeklagten. Das bedeutet einen enormen Bedarf an Anwält:innen und finanziellen Mitteln, da ein Anwalt nur eine Person vertreten darf ...

Verantwortliche im eigenen Land

Es gibt also keinen anderen Weg, als den Widerstand gegen den militärisch-industriellen Komplex auf breitere und stabilere Füße zu stellen. Dass ca. 80 % der Bevölkerung in Deutschland Rüstungsexporte in Kriegsgebiete ablehnen, ist ein solider Ausgangspunkt, aber mehr auch nicht. Es ist nötig, aus dieser Haltung eine Konsequenz zu entwickeln und ebenso den Blick auf das Handeln der Regierung zu schärfen. Denn nur wenn die schön klingenden Worte von »Friedensmissionen« und »restriktiven Exportrichtlinien« entlarvt werden, ist eine Positionierung auf der Seite der Unterdrückten möglich. Als neues Feigenblatt plant die neue Regierung ein Rüstungsexportkontrollgesetz – was es grundlegend ändert, bleibt unklar. Bislang waren weniger fehlende Gesetze das Problem, um Waffenexporte zu unterbinden, sondern dass sie ausreichend Schlupflöcher bieten, um dennoch Exporte durchzuführen. Dazu fehlt zumeist schlicht der Wille zur Exportreduzierung. Ein Beispiel: Der deutsche Hersteller Hensoldt rüstet Drohnen mit Zielerfassungssystemen aus, quasi die Augen der Kampfdrohnen. Diese werden in diversen Kriegen eingesetzt: z. B. in der Ukraine, Armenien, Kurdistan und Jemen. Um eine Sperrminorität zu erhalten, besitzt Deutschland über 25 % dieses Unternehmens. Anstatt damit gegen diese Verkäufe vorzugehen, verdient die Bundesrepublik Deutschland jedoch an diesen Deals.

Auch in anderen Fällen deckt die BRD Kriegsverbrechen. Trotz klarer Hinweise auf den Einsatz von Chemiewaffen durch das türkische Militär im Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung bleibt die Bundesregierung tatenlos, nicht einmal unabhängige Untersuchungen werden unterstützt.

Von einer neuen rot-gelb-grünen Regierung ist kaum Veränderung zu erwarten. Die SPD bleibt als Konstante und die Grünen waren ebenso an der Macht, als die Bombardierung Jugoslawiens durch die Bundeswehr beschlossen wurde. Eine der ersten Amtshandlungen der damaligen Regierung war die Übergabe eines Kriegsschiffs an die Türkei, der Verkauf von über 350 Leopard 2 Panzern an die Türkei wurde ebenso durch Rot-Grün genehmigt.

Kassel 2022

Um als Bewegung gegen Krieg und Rüstungsexporte an Stärke zu gewinnen, muss also mit dem Bild der BRD als zurückhaltende, humanitäre Macht gebrochen und offen über die deutsche Kriegspolitik gesprochen werden. Unter diesem Vorzeichen wird das Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« 2022 während der Kunstausstellung DOCUMENTA in Kassel aktiv werden. Während die Stadt das Image einer weltoffenen Kunststadt pflegen möchte, soll Kassel zu einem Ort des Widerstands gegen Krieg und die deutsche Rüstungsindustrie werden. Das Bündnis möchte erreichen, dass es nicht möglich ist ein Image zu pflegen, das die tödlichen Folgen der Panzerproduktion in der Stadt ausklammert. Bereits in der Zeit des Nationalsozialismus wurden dort Panzer gebaut, der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen war dabei ein elementarer Bestandteil. Bis heute gehört die Panzerproduktion zur Stadt. Exportiert werden diese beispielsweise nach Algerien, wo insbesondere Flüchtende von brutalen Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Allein zwischen April 2017 und Juni 2018 wurden mehr als 13.000 Menschen von staatlichen Kräften in die Wüste deportiert und dort ohne Wasser und Nahrung ausgesetzt. Viele von ihnen starben in der Wüste.

Dies ist nur ein Beispiel, warum das Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« ein Ende der Panzerproduktion fordert – auch in Kassel!

Im Frühling 2022 wird »Rheinmetall Entwaffnen« alle Interessierten zu einem Treffen einladen, um Pläne für die Aktivitäten in Kassel zu entwickeln. In Kassel lassen sich viele Möglichkeiten entwickeln: zum Zusammenkommen, für Austausch und gemeinsames Lernen, für kreative Interventionen und gemeinsame Momente der Konfrontation mit der Rüstungsindustrie und ihren Unterstützern. Statt eines schönen Images wollen wir Kassel mit Widersprüchen, Positionierungen, Visionen und gemeinsamen Schritten für ein solidarisches Miteinander füllen.

Mehr Informationen unter https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org

Fußnote:

1 - §146 StPO: 1974 eingeführtes Gesetz, das die Verteidigung mehrerer Angeklagter in einem Verfahren durch dieselbe Anwält:in verbietet. Damit soll eine effektive gemeinsame Verteidigung vor Gericht verhindert werden. Eingeführt wurde das Gesetz als Reaktion auf die offensive Verteidigung der Gefangenen aus der RAF (Rote Armee Fraktion) vor Gericht in den 1970er Jahren.


 Kurdistan Report 219 | Januar/Februar 2022