Aufrüstung und Völkerrechtsverbrechen, auch mit deutscher Beteiligung

Drohnenterror aus der Türkei

Matthias Monroy


Drohnenangriff der Türkei auf Zivilauto in Qamişlo | anhaIn Kurdistan, Libyen oder Aserbaidschan haben türkische »Bayraktar TB2« bereits das Völkerrecht verletzt. Aktuell wird die Zivilbevölkerung in Äthiopien mit den Kampfdrohnen bombardiert. Unterstützung kommt unter anderem aus Deutschland.

Fast zwei Jahrzehnte waren Firmen aus den USA und Israel unbestrittene Marktführer für bewaffnete Drohnen, inzwischen können China und die Türkei immer mehr Exporte für sich verbuchen. Aus der Türkei ist vor allem die »Bayraktar TB2« bekannt, die vom Militär seit 2016 im türkischen, syrischen und mittlerweile auch irakischen Teil Kurdistans völkerrechtswidrig eingesetzt wird. Allein in der viermonatigen Operation »Olivenzweig« im kurdischen Rojava soll die »TB2« vor vier Jahren 449 Direkttreffer erzielt und in 680 Fällen Kampfflugzeuge oder -hubschrauber zu solchen Treffern befähigt haben. Sie verfügt über eine Nutzlast von 65 Kilogramm und kann über 24 Stunden in der Luft bleiben.

Das türkische Militär fliegt auch die ebenfalls bewaffnungsfähige »Anka«, die von Turkish Aerospace Industries (TAI) hergestellt wird. In einer neuen Version kann sie über Satelliten gesteuert werden und erreicht damit eine größere Reichweite als die »TB2«. Die »Anka« transportiert bis zu 200 Kilogramm und damit viermal so viel Nutzlast wie ihre Konkurrenz. Beide Drohnen können in neueren Versionen inzwischen länger als 24 Stunden in der Luft bleiben.

Drohnenindustrie ist importabhängig

Zwar wird auch die »Anka« exportiert, weite Verbreitung findet derzeit aber die »TB2«. Hergestellt wird die Drohne von Baykar, ihr Namensgeber und Gründer ist Selçuk Bayraktar, ein Schwiegersohn des türkischen Präsidenten. Auch für die Tripolis-Regierung in Libyen und für Aserbaidschan flog die »TB2« Angriffe auf armenische Truppen vor Berg-Karabach; dort könnte sie sogar – zusammen mit unbemannten Luftfahrzeugen aus israelischer Produktion – nach Meinung einiger Beobachter:innen sogar kriegsentscheidend gewesen sein.

Die aggressiven Operationen sorgten für weitere Bestellungen, nach Katar, der Ukraine, Marokko, Tunesien und Turkmenistan verkauft Baykar die Drohne als erstem NATO-Staat Polen. Rund ein Dutzend Länder sollen bereits Lieferungen erhalten haben, etwa ebenso viele sollen eine Beschaffung erwägen. Interesse kommt angeblich sogar aus Litauen und sogar Großbritannien.

Die vergleichsweise junge türkische Drohnenindustrie kann viele Bauteile ihrer unbemannten Luftfahrzeuge selbst produzieren oder von heimischen Zulieferern einkaufen, trotzdem sind die Hersteller bei Schlüsselkomponenten weiter auf Importe angewiesen. Das betrifft etwa Triebwerke, die zwar auch in der Türkei produziert werden, aber weniger leistungsfähig sind als Konkurrenzprodukte. Deshalb flog die »TB2« unter anderem mit Rotax-Motoren aus Österreich. Nach der türkischen Unterstützung des aserbaidschanischen Angriffskriegs hat die Firma die Lieferung an Baykar gestoppt.

Kanada verhängt Exportverbot

Laut der kurdischen Nachrichtenagentur ANF hat Baykar außerdem bei Continental Motors eingekauft, einem teilweise in Deutschland ansässigen US-Konzern, der vor acht Jahren die Thielert Aircraft Engines GmbH übernahm. In einer abgestürzten »TB2« fand sich ein Tempomat der bayerischen Firma MT-Propeller. Einer Aufstellung des Armenian National Committee of America zufolge wurde zudem ein von der SMS Smart Microwave Sensors GmbH gefertigter Radarhöhenmesser sowie ein Kraftstofffilter der Firma Hengst in der Drohne verbaut.

Ausfuhren dieser Produkte sind jedoch nicht genehmigungspflichtig, Verkäufe können auch über Zwischenhändler erfolgt sein. So vertreibt etwa Hengst seine Produkte auch im automobilen Großhandel; wie der Filter in den Besitz von Baykar gekommen ist, weiß die Firma laut eigener Aussage nicht.

Ursprünglich war die »TB2« auch mit einem Sensormodul des kanadischen Herstellers Wescam ausgerüstet. Dabei handelt es sich quasi um das Auge der Drohne, das in einem halbkugelförmigen Behälter am Rumpf aufgehängt ist. Dieser sogenannte Gimbal ist um 360° schwenkbar und enthält unter anderem optische und infrarotbasierte Kameras sowie verschiedene Lasertechnologie. Auch Wescam hat seine Zusammenarbeit mit Baykar endgültig beendet, nachdem die Regierung in Ottawa anlässlich des Krieges um Berg-Karabach ein Exportverbot erließ. Einen vorläufigen Lieferstopp hatte das Land bereits nach türkischen Operationen im kurdischen Rojava in Nordsyrien verhängt.

»Auge« der Drohne von Hensoldt

Selçuk Bayraktar kommentierte die vom kanadischen Außenminister getroffene Entscheidung mit den Worten, die benötigte Sensortechnologie könne mittlerweile auch in der Türkei produziert werden. Inzwischen hat die türkische Firma Aselsan auch in regierungsnahen Zeitungen Vollzug gemeldet, demnach könne die Sensorik jetzt komplett einheimisch hergestellt werden. Vermutlich sind diese Geräte aber schwerer als die Importprodukte, sodass sich die Nutzlast kleiner Kampfdrohnen verringern würde.

Zu den Importeuren gehörte bislang auch der auf Sensortechnologie spezialisierte Hensoldt-Konzern aus Deutschland. Darauf deuteten zunächst Aufnahmen einer Parade in der Hauptstadt Turkmenistans hin, bei der anlässlich des 30. Jahrestages der Erlangung der Unabhängigkeit in Aşgabat letztes Jahr auch eine frisch gekaufte »TB2« gezeigt wurde. Die Drohne war dabei mit einem Gimbal von Hensoldt ausgestattet. Er enthält das Modul ARGOS-II, das laut der Produktbeschreibung über einen Laserbeleuchter und einen Lasermarkierer verfügt. Damit kann etwa eine Rakete ins Ziel geführt werden.

Hensoldt entstand nach einer Ausgründung verschiedener Bereiche des Rüstungskonzerns Airbus, darunter das Geschäft mit Radargeräten, Optronik, Avionik und Anlagen zur Störung elektronischer Geräte. Als Firma von herausragender sicherheitspolitischer Bedeutung hatte sich die Bundesregierung eine Sperrminorität gesichert. Anteilseigner ist außerdem der italienische Rüstungskonzern Leonardo.

Raketentechnik aus Deutschland

Das ARGOS-Modul wird vom Hensoldt-Ableger Optronics Pty in Pretoria in Südafrika gefertigt. Auf Nachfrage bestätigt ein Firmensprecher die Kooperation mit Baykar. Demnach wurden die Geräte aus Südafrika in einer nicht genannten Stückzahl »im Rahmen eines Auftrags« in die Türkei geliefert. Dabei seien »alle anwendbaren nationalen und internationalen Gesetze und Exportkontrollvorschriften« eingehalten worden.

Auch die Bewaffnung der »TB2« mit lasergesteuerten Raketen erfolgte mit deutscher Hilfe. Das belegen Antworten auf Kleine Anfragen im Deutschen Bundestag, über die das Magazin »Monitor« berichtet hat. Demnach hat das deutsche Außenministerium seit 2010 mehrere Exportgenehmigungen für Gefechtsköpfe einer Panzerabwehrrakete erteilt. Sie stammen von der Firma TDW Wirksysteme GmbH aus dem bayerischen Schrobenhausen, einem Ableger des europäischen Raketenherstellers MBDA.

Die Verkäufe erfolgten demnach mutmaßlich an die im Staatsbesitz befindliche türkische Firma Roketsan. Auch Anlagen oder Teile zur Fertigung der Raketen sollen in die Türkei exportiert worden sein. Bei den Lenkwaffen von TDW handelte es sich um die Typen »LRAT« und »MRAT«, die in der Türkei unter anderer Bezeichnung produziert werden. Auf Grundlage der deutschen Exporte soll Roketsan die »MAM«-Raketen für Drohnen entwickelt haben, sie gehören mittlerweile zur Standardausrüstung der »TB2«. Bei dieser sogenannten Mikro-Präzisionsmunition handelt es sich um leichte Gefechtsköpfe, mit denen gepanzerte Ziele zerstört werden können.

Exportgenehmigungen ohne Endverbleibserklärung

Roketsan verkauft die MAM-Lenkwaffen in drei verschiedenen Ausführungen, darunter auch als sogenannte Vakuumbombe. Ihre Entwicklung könnte unter Mitarbeit der bayerischen Firma Numerics Software GmbH erfolgt sein, so schreibt es jedenfalls ANF Deutsch. Numerics ist darauf spezialisiert, die optimale Sprengwirkung panzerbrechender Waffen zu berechnen. Laut dem deutschen Außenministerium eignen sich die Produkte der Firma, für deren Lieferung in die Türkei Genehmigungen erteilt wurden, allerdings nicht für die in Rede stehenden Gefechtsköpfe.

Wenn die Bundesregierung Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter erteilt, kann sie auf eine sogenannte Endverbleibserklärung bestehen. Im Falle der Türkei würde sich die Regierung verpflichten, vor einem Weiterverkauf in einen Drittstaat die deutsche Erlaubnis einzuholen.
Ob ein solcher Austausch zu Raketen, Sensoren oder anderer deutscher Technologie stattgefunden hat, will das Außenministerium nicht mitteilen. Insgesamt wurden laut einer Antwort aus dem letzten Jahr Exportgenehmigungen für Güter »zur Verwendung oder zum Einbau in militärische Drohnen« mit einem Gesamtwert von fast 13 Millionen Euro in die Türkei erteilt.

Einsatz in Äthiopien

Als einer von derzeitigen »Brennpunkten« wird die »Bayraktar TB2« derzeit von Äthiopien im Bürgerkrieg mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) eingesetzt. Noch im Dezember standen die tigrinischen Rebell:innen kurz vor dem Einzug in die Hauptstadt Addis Abeba, jedoch hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Viele Beobachter:innen führen dies auf die Luftwaffe zurück. Das äthiopische Militär verfügt über 22 russische Kampfflugzeuge der Typen MiG-23 und Sukhoi-27 sowie einige Kampfhubschrauber.

Entscheidend sollen aber bewaffnete Drohnen gewesen sein, deren Bewaffnung weitaus präzisere Angriffe erlaubt. »Es gab auf einmal zehn Drohnen am Himmel«, hatte der rebellische General Tsadokan Gebretensae der New York Times im Interview bestätigt. Im Schwarm hätten diese Soldaten und Konvois angegriffen. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert einen ausländischen Militär, der über »klare Hinweise« auf insgesamt 20 Drohnen im Einsatz haben will. Diese stammen aber auch aus China und dem Iran.

Belegt ist indes, dass die türkischen Kampfdrohnen wie schon zuvor in Kurdistan und anderen Ländern für Völkerrechtsverbrechen genutzt werden. Mehrfach flogen sie Angriffe auch auf Zivilist:innen, darunter auch in Konvois mit Flüchtenden. Hunderte Menschen sollen bereits unter den ebenfalls aus türkischer Produktion stammenden Bomben und Raketen gestorben sein.

Nach der »TB2« kommt die deutlich größere »Akıncı«

Zukünftig könnte das türkische Militär eine deutlich größere Drohne mit zwei Triebwerken einsetzen, die Baykar unter dem Namen »Akıncı« entwickelt hat. Sie wird über Satelliten gesteuert, was die Reichweite gegenüber der »TB2« erheblich vergrößert. Ihre Nutzlast wird mit fast 1,5 Tonnen angegeben, wovon 900 Kilogramm als Bewaffnung unter den Flügeln transportiert werden können. Baykar zufolge kann die »Akıncı« auch bei Luftkämpfen eingesetzt werden. Unbewaffnet kann sie mit optischen Sensoren, Radaranlagen oder Technik zur elektronischen Kriegsführung ausgestattet werden.

Auch der Baykar-Konkurrent TAI entwickelt eine Langstreckendrohne mit zwei Motoren. Die »Aksungur« soll über vergleichbare Fähigkeiten wie die »Akıncı« verfügen und wurde 2019 erstmals für Tests geflogen.

Matthias Monroy ist Wissensarbeiter, Aktivist und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP


 Kurdistan Report 220| März/April 2022