Bewaffnete Drohnen, Grenzregime, enge Zusammenarbeit mit der Türkei

Die »feministische« Außenpolitik der Grünen

Franziska Schulz, Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden

Die »feministische« Außenpolitik der GrünenIn unserem Artikel »Der weibliche Körper ist ein Kriegsschauplatz« in der letzten Ausgabe des Kurdistan Reports haben wir uns damit beschäftigt, wie Kriege auf den Körpern von Frauen ausgetragen werden. Deren Versklavung, Vergewaltigung und Ermordung werden im Krieg als ein zentrales Moment der Machtdemonstration genutzt. An der Freiheit der Frau zeigt sich die Freiheit der Gesellschaft. Wenn wir uns also als Feminist:innen verstehen, die sich in Solidarität mit Frauen auf der ganzen Welt organisieren wollen, sollten der Widerstand gegen Krieg und der Einsatz für Frieden wieder ein wichtiger und zentraler Bezugspunkt in unserem politischen Kampf werden.

Da erscheint es doch überaus praktisch, dass die neue Bundesregierung in Deutschland zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau in das Amt der Außenministerin berufen hat. Darüber hinaus hat sich Annalena Baerbock sogar zum Ziel gesetzt, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen. Auch wenn es manchen noch schwerfalle »den Begriff auszusprechen«1, wie Baerbock bei einer Rede im Bundestag sagte, so sei es »eigentlich (...) ganz simpel. Es geht um Repräsentanz, es geht um Rechte, und es geht um Ressourcen.« Wie sich das konkret in der zukünftigen deutschen Außenpolitik zeigen soll, soll in einem ersten Schritt in einer »Strategie für eine feministische Außenpolitik« ausgearbeitet werden. Die Verantwortung dafür trägt mit Staatsminister Tobias Lindner ein Mann, der sich 2019 dafür entschied, seine Kriegsdienstverweigerung zurückzunehmen. Von ihm stammte der Satz »Soldat und Grüner, das geht und das gibt’s«2 – ein Vorgeschmack auf die sogenannte feministische Außenpolitik der neuen Regierung?

Doch die Besetzung des Postens zur Strategieentwicklung mit Tobias Lindner ist nicht der einzige Anhaltspunkt, der Aufschluss über die Grundlagen für die zukünftige Außenpolitik gibt. Im neuen Koalitionsvertrag »Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit«3 haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bereits verbindlich auf die Leitlinien für die Regierungspolitik in den kommenden vier Jahren geeinigt. Der siebte Teil befasst sich mit »Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt« und darin mit außen- und sicherheitspolitischen Schwerpunkten. Diese sind, um es zu wiederholen, vertraglich festgelegt und damit auch für Annalena Baer­bock in ihrer sogenannten feministischen Außenpolitik bindend.

Lassen wir den Koalitionsvertrag mit einigen Zitaten für sich selbst sprechen: »Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.« (S. 138); »Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben.« (S. 140); »Wir wollen, dass Frontex auf Grundlage der Menschenrechte und des erteilten Mandats zu einer echten EU-Grenzschutzagentur weiterentwickelt wird.« (S. 141); »Die NATO bleibt unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit.« (S. 144); »Bewaffnete Drohnen wollen wir verstärkt in internationale Kontrollregime einbeziehen.« (S. 145); »Die Türkei bleibt für uns trotz besorgniserregender innenpolitischer Entwicklungen und außenpolitischer Spannungen ein wichtiger Nachbar der EU und Partner in der NATO.« (S. 154).

Auch die sogenannte feministische Außenpolitik findet auf den 28 Seiten zum Thema Außenpolitik immerhin in vier Zeilen Beachtung: »Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern. Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln« (S. 144). Konkret wird sich demnach vor allem auf die Resolution 1325 der Vereinten Nationen (kurz UN) bezogen, in der sich alle Mitgliedsstaaten der UN verpflichten, die Rechte von Frauen und Mädchen in Kriegen zu schützen und sie gleichberechtigt in Friedens- und Wiederaufbauverhandlungen miteinzubeziehen. Verabschiedet wurde diese Resolution einstimmig von allen damaligen 189 Mitgliedsstaaten bereits vor über 21 Jahren. Auch in Koalitionsverträgen ist die Betonung dieser Resolution nichts Neues. Sowohl der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 20134 als auch der von 20185 beinhalten ähnliche Floskeln.

Für eine feministische Außenpolitik reicht die immer gleiche Betonung einer 21 Jahre alten UN-Resolution nicht. Feminismus ist mehr, als die besondere Betroffenheit von Frauen anzusprechen oder Frauen in Führungsrollen zu entsenden. Wie kann der Einsatz einer Grenzschutzagentur wie Frontex feministisch sein? Welchen Stellenwert können Frauenrechte haben, wenn man zeitgleich gute Beziehungen zu einem feminizidalen Regime wie dem türkischen unterhalten möchte? Für eine feministische Außenpolitik bräuchte es eine komplette Umkehr von kapitalistischer und imperialistischer Machtpolitik. Der neue Koalitionsvertrag zeigt schon vor der Ausarbeitung einer sogenannten »Strategie für eine feministische Außenpolitik«, dass es eine solche Umkehr nie geben wird und auch kein Ziel ist. Denn auch die neue Bundesregierung bekennt sich »zu Deutschlands Rolle und Verantwortung für Frieden, Freiheit und Wohlstand in der Welt. Als verlässlicher Partner in Systemen kollektiver Sicherheit (wird sie) an (ihrem) außen- und sicherheitspolitischen Engagement festhalten« (S. 150). Dies bedeutet bewaffnete Drohnen, Grenzregime, NATO und eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei. Eine feministische Außenpolitik steht dem grundlegend entgegen.

Dass die neue Bundesregierung wider große Reden keine feministische Außenpolitik verfolgen werde, ist natürlich wenig überraschend. Nationalstaaten sind die Institutionalisierung von patriarchalen Machthierarchien. Ihre grundlegenden und überlebensnotwendigen Instrumente sind Kapitalismus, Nationalismus, Sexismus, Rassismus und Krieg. Nationalstaaten und Geschlechterbefreiung ist demzufolge genauso ein nicht zu vereinbarender Widerspruch wie die Bundesrepublik Deutschland und eine feministische Außenpolitik. Um ihrem Versprechen gerecht zu werden, müsste Annalena Baerbock sowohl willens als auch in der Lage sein, die gesamte Struktur dieses Staates umzustürzen.

Das erscheint eher fraglich. Vielmehr zeigt sich in der ganzen Debatte um eine sogenannte feministische Außenpolitik wieder einmal der Versuch des Systems, sich ein anderes, sozialeres und demokratischeres Gesicht zu geben. Das kapitalistische System steckt in einer tiefen Krise. Die Bewegungen für eine ökologische, geschlechterbefreite und basisdemokratische Gesellschaft wachsen weltweit und rütteln an den Säulen der herrschenden Staaten und Regime. Dessen ist sich auch die neue Bundesregierung bewusst. Um dieser Bedrohung zu begegnen, folgt sie einer zweigleisigen Strategie. Während sie einigen antisystemischen Bewegungen mit härtester Repression entgegentritt, versucht sie andere linke und emanzipatorische Kräfte zu befrieden, indem sie sich einen links-grünen Anstrich gibt. Es wird von Klimaschutz und Energiewende gesprochen, Cannabis legalisiert, § 219a StGB gestrichen und queere Themen werden auf die Tagesordnung gesetzt. Während in früheren Zeiten Feminismus als Schimpfwort delegitimiert wurde, spricht die Regierung heute von einer feministischen Außenpolitik. Die Sprache und der Anschein haben sich geändert, das Fundament des Staates und seine Politik bleiben die gleichen.

Und dennoch ist es wichtig zu sehen, dass diese vermeintliche Strategieänderung des Systems auch ein Erfolg linker Bewegungen ist, die es geschafft haben, bestimmte Themen auf die politische Agenda zu bringen und die Staaten zum Handeln zu zwingen. Die Herausforderung ist es nun, sich durch die freundliche und öffentlichkeitswirksame Maske der neuen Bundesregierung nicht von den tatsächlichen Worten und Entscheidungen im Hinterzimmer ablenken zu lassen. Für den Fall, dass Tobias Lindner und Annalena Baerbock tatsächliche feministische Perspektiven für eine zukünftige Außenpolitik bräuchten, hier ein paar Vorschläge: die Anerkennung der Selbstverwaltungen in Nord- und Ostsyrien sowie Şengal, der Stopp von Waffenproduktion und -exporten, der Abbruch sämtlicher Beziehungen zur Türkei oder das Streichen der PKK von der EU-Terrorliste könnten nur einige konkrete Schritte sein, die die Situation von Frauen tatsächlich verbessern würden.

Fußnoten:

1 - https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.deutsche-aussenpolitik-annalena-baerbock-kuendigt-feministische-aussenpolitik-an.3ece76a3-4b92-424e-a1c6-9193e056039f.html

2 - https://www.morgenpost.de/politik/inland/article226304453/Gruenen-Politiker-nimmt-Kriegsdienstverweigerung-zurueck.html

3 - https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

4 - https://www.bundestag.de/resource/blob/194886/696f36f795961df200fb27fb6803d83e/koalitionsvertrag-data.pdf, S. 171

5 - https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1, S. 156.


 Kurdistan Report 220| März/April 2022