Wie weiter mit der Klimabewegung?

People Not Profit!

Anselm Schindler


Der Sommer wird heiß, in vielen Teilen der Welt extrem heiß, was die Klimakrise bei vielen Menschen wieder weiter oben auf die Agenda setzt. Und immer mehr Menschen beginnen zu verstehen, dass eine klimagerechte Welt keine kapitalistische Welt sein kann. Der Klimagerechtigkeitsbewegung kommt an dieser Stelle die Aufgabe zu, konkrete Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem auszuarbeiten und Taktiken und Strategien zu entwickeln, wie wir sie durchsetzen. Denkanstöße kann dabei auch die kurdische Freiheitsbewegung geben.

People Not Profit!Die deutsche Klimapolitik ist gescheitert. Auch die Grünen, seit der letzten Bundestagswahl wieder Regierungspartei und für viele Menschen immer noch Hoffnungsträger einer klimagerechteren Welt, haben das 1,5-Grad-Ziel verworfen. Also das Ziel, die Treibhausgasemissionen so einzudämmen, dass die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzt bleibt. Sie steht zwar noch in ihrem Wahlprogramm, rechnet man allerdings die von den Grünen vorgeschlagenen Maßnahmen zusammen, verfehlen sie die 1,5-Grad-Marke. Aber nicht nur Deutschland scheitert, was die Reduktion von Emissionen betrifft, sondern auch alle anderen Länder. Während es in Teilen von Indien und Pakistan bis zu 50 Grad hat und Waldbrände, Flutkatastrophen und Stürme jedes Jahr mehr werden, schaffen es die Regierungen dieser Welt nicht, die Emissionen herunterzufahren.

Die Wut über die Unfähigkeit der Politik mobilisiert weltweit Millionen von Menschen, Millionen, die sich zunehmend radikalisieren, weil sie merken, dass ihre Appelle teils ungehört verhallen. »No more empty promises!« – also »Keine leeren Versprechungen!« war bereits in den vergangenen Jahren einer der wichtigsten Slogans der Klimagerechtigkeitsbewegung. Seitdem sind einige leere Versprechungen dazugekommen, wirklich geändert hat sich wenig. Das Problem an der Sache ist, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung zwar darin geübt ist, das zu skandalisieren, aber die Druckmittel fehlen, eine andere Politik zu erzwingen. Kurz gesagt: Der Klimagerechtigkeitsbewegung fehlen die Zähne.

Ungehorsam sein

Um das zu ändern, fokussiert sich ein Teil der Bewegung bereits seit einigen Jahren auf zivilen Ungehorsam. Mit gewaltfreien Blockaden und Besetzungen will die Bewegung damit aus Momenten des Protestes Momente des Widerstandes machen und durch die Kollektivität und niedrige Eskalationsstufe der Form des Widerstandes möglichst viele Menschen mitnehmen. Dabei wird auf eine jahrzehntelange Erfahrung der Ökologiebewegung zurückgegriffen. Vor allem in den Auseinandersetzungen um Atomkraft wurden durch Blockaden und Besetzungen von Atommülltransporten und Wiederaufbereitungsanlagen wie der in Wackersdorf starke Momente des Widerstandes gegen Naturzerstörung geschaffen.

Was früher der Kampf gegen Atomkraftwerke und Castor-Transporte war, ist heute, wo klar ist, dass die Klimakrise die größte aller ökologischen Krisen ist, der Kampf gegen fossile Energieträger wie Kohle und Gas. Was den zivilen Ungehorsam angeht, gehen die erfolgreichsten Aktionen im deutschsprachigen Raum dabei von der Bewegung »Ende Gelände« aus, die seit einigen Jahren Kohlegruben, riesige Bagger und Dörfer, die dem Kohleabbau weichen sollen, besetzt. Seit dem letzten Jahr richtet sich der Fokus von Ende Gelände auf den Ausbau von Gas-Infrastruktur. Der aktuelle Streit um Gas-Importe aus Russland und den Plan europäischer Regierungen, künftig auch Gas aus Katar und das extrem umstrittene Fracking-Gas vom amerikanischen Kontinent zu importieren, zeigt, dass das eine strategisch richtige Entscheidung ist.

Ende Gelände ist dabei gesellschaftlich immerhin so anschlussfähig, dass sich auch viele »Fridays For Future«-Gruppen, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens noch Abstand zu zivilem Ungehorsam nahmen, inzwischen an den Besetzungen und Blockaden gegen Kohle und Gas beteiligen, was aus einer linken Perspektive einen großen Erfolg darstellt.

Kristallisationspunkte

Neben dem Kampf gegen fossile Energien spitzt sich in letzter Zeit auch der Kampf gegen Autobahnen und damit gegen das System Auto immer weiter zu. Exemplarisch zu nennen ist hier die Besetzung des Dannenröder Forstes, von Aktivist:innen liebevoll auch »Danni« genannt. Die Besetzung konnte den Bau der Straße, dem ein Teil des Dannis weichen musste, nicht verhindern, aber sie hat für Aufsehen gesorgt und der Klimagerechtigkeitsbewegung neuen Schwung verschafft. Und der Hambacher Forst hat gezeigt, dass Waldbesetzer:innen auch gewinnen können: Nach acht Jahren Widerstand, die NGOs wie dem Bund Naturschutz Zeit für gerichtliche Klagen verschafften, wurde die Rodung abgesagt. Unklar ist derweil noch, wie die Auseinandersetzungen um die Stadtautobahn in Wien ausgehen, die Polizei hat zwar mehrfach Besetzungen geräumt, aber konnte den Widerstand damit bislang nicht brechen.

Der zivile Ungehorsam funktioniert durch die Bilder, die er schafft. Er lässt sich aber nicht überall gleich entwickeln, es braucht Kristallisationspunkte des Widerstandes. Die Kohlegruben des Energiekonzerns RWE im Rheinland sind ein solcher Kristallisationspunkt. Allein weil sie so bildgewaltig sind – über Kilometer hinweg hunderte Meter tief aufgerissene Erde, in der riesige Bagger schwarze Kohle fördern, um noch mehr CO2 in die Atmosphäre zu pusten, und am Rand der Grube Aktivist:innen mit Atemschutzmasken, die sich den Maschinen in den Weg stellen. Das Bild spricht für sich. Ein weiterer Kristallisationspunkt ist die Nordseeküste, und die Infrastruktur, die dort für den Import von Flüssiggas gebaut wird. Einen dritten Punkt schaffen Aktivist:innen seit geraumer Zeit mit Protesten für eine radikale Mobilitätswende – hier scheint München zu einem Hotspot zu werden, seit die Internationale Automobilausstellung (IAA) von Frankfurt am Main in die bayerische Hauptstadt umgezogen ist, und damit auch die Proteste gegen das Propagandaevent der Automobilriesen.

Mehr werden

Die Aktionsform der Besetzungen und allgemeiner des zivilen Ungehorsams ist nicht neu, wer in der Geschichte graben will, findet sie schon in der Antike. In der Moderne bedienten sich vor allem antikoloniale und antirassistische Bewegungen des zivilen Ungehorsams, wie die Bewegung gegen die britische Kolonialmacht in Indien oder die afroamerikanische Bürger:innenrechtsbewegung. Diese Bewegungen haben gezeigt, dass ziviler Ungehorsam, dort, wo er massenhaft praktiziert wird, gesellschaftlichen Fortschritt durchsetzen kann. Das Problem der Klimagerechtigkeitsbewegung ist aber, dass ihrem zivilen Ungehorsam genau die Massenbasis fehlt, die es bräuchte, um nicht nur kleine, sondern auch große Auseinandersetzungen zu gewinnen.

Um mehr zu werden, müssen wir vor allem an die konkreten Lebensrealitäten, Sorgen und Hoffnungen von Menschen anknüpfen. Wir müssen dort Kämpfe entfalten, wo Menschen arbeiten und leben. Das passiert bereits an Orten, wo Menschen direkt vom Ausbau von Autobahnen oder von Kohlebaggern betroffen sind. Es muss aber auch dort passieren, wo Menschen vor den Veränderungen, die mit der Bewältigung der Klimakrise zu tun haben, Angst haben. Weil sie von Jobs abhängig sind, in denen Autoteile gebaut werden zum Beispiel. Oder weil sie (zu Recht) Angst haben, dass sie die Kosten der Klimakrise tragen müssen, weil die Steuern und die Preise an den Tankstellen steigen. Das prominente Beispiel der »Gilet jaunes« in Frankreich zeigt, wie viel Reibung an diesem Punkt entstehen kann. Und es passt, weil der Protest zu Anfang von manchen als antiökologisch gelabelt wurde, bis die Bewegung das zurückwies.

Gerade dort, wo Menschen wütend sind, weil die Preise steigen oder sie ihre Jobs verlieren, weil Autokonzerne dichtgemacht werden, muss die Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv werden und verhindern, dass die ökologische und die soziale Frage gegeneinander ausgespielt werden. In München haben Klimaaktivist:innen bei Protesten gegen die Schließung des Bosch-Standortes gezeigt, auf welcher Seite die Bewegung stehen muss: auf der Seite der Arbeiter:innen. Denn es darf nicht darum gehen, dass sie ihre Jobs verlieren, es muss darum gehen, dass die Wirtschaft sozialökologisch umgebaut wird. Die Reichen und die Profiteure der Krise müssen zahlen, die Arbeiter:innen auf Kosten der Profiteure umgeschult werden – das sind die Forderungen, die wir stellen müssen.

Hoffnung schaffen

»Rebellion entsteht aus Hoffnung und Hoffnung entsteht aus Rebellion!« Die Interventionistische Linke (IL) hat, als sie diesen Slogan auf tausende Plakate druckte, einen wichtigen Punkt getroffen. Denn die politische Rechte wächst aus Momenten der Angst und des Hasses. Wir hingegen wachsen aus Momenten der Hoffnung auf ein besseres Leben. Dass es diese Hoffnung gibt, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich etwas bewegt. Und wo sich etwas bewegt, da wächst auch die Hoffnung, dass alles anders werden kann. Da wächst auch die Bereitschaft, gegen die Kräfte, die am Alten, am Falschen festhalten, zu kämpfen.

Der Kampf gegen Atom- und Kohlekraft konnte in den letzten Jahrzehnten eine solche Durchsetzungsfähigkeit entwickeln, weil diese Technologien exemplarisch für eine zerstörerische Wirtschaft und Politik stehen, zu denen es bereits realistische Alternativen gibt, also Hoffnung darauf, dass es anders wird: Fossile Energieträger könnten schon in naher Zukunft Vergangenheit sein, würden sich die großen Energiekonzerne nicht dagegen sträuben. Und auch unsere Mobilität könnte längst ganz anders organisiert sein, dass sie es nicht ist, hat auch mit einer mächtigen Autolobby zu tun. Es gibt also Hoffnung, und einen Gegner, gegen den wir sie verteidigen und gegen den wir uns durchsetzen müssen.

Wo es Hoffnung und konkrete Ideen für Veränderung gibt, lassen sich Menschen mitreißen. Und so, wie es Hoffnung und konkrete Konzepte für eine alternative Energieversorgung und Mobilität gibt, so müssen wir auch Hoffnung und konkrete Konzepte für andere Lebensbereiche und letztlich für die ganze Gesellschaft schaffen.

People Not Profit

»People Not Profit« – unter diesem Slogan vereinte der letzte globale Klimastreik zuletzt weltweit Menschen. Der Slogan ist antikapitalistisch, weil er klar macht, dass es einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen dem endlosen Profitstreben des Kapitals und den objektiven Grenzen des Ökosystems Erde gibt. Und damit zwischen unserem Überleben und dem Kapitalismus. Global dämmert immer mehr Menschen, dass es nicht vordergründig moralisches Versagen ist, das die Klimapolitik der Herrschenden scheitern lässt, sondern dass das Scheitern systemisch bedingt ist, weil Kapitalismus nicht ohne Wachstum kann, und weil es kein endloses Wachstum auf einem endlichen Planeten gibt.

Der Kapitalismus hat in seinem imperialistischen Stadium globale gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen. Sie sind so widersprüchlich wie das System selbst: Einerseits schafft es eine globale Kommunikation und einen globalen Handel, andererseits schafft es aber kein Bewusstsein, das der Globalisierung eine sinnvolle Richtung gibt. Während die Ökonomie zu einem weltumspannenden Netz geworden ist, gibt es kein Gehirn, das sie steuert. Die materielle Grundlage dafür, dass wir sie in den Griff bekommen, ist das Gegenteil der zerstörerischen Kraft des Kapitals: die Ausrichtung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit und Bedarf.

Genau an dieser Stelle wird es aber oft vage, oft fehlt linken widerständigen Kräften ein konkreter Vorschlag für eine nicht kapitalistische Wirtschaft. Einig ist man sich nur an der Stelle, dass sie künftig nachhaltig sein und dem Menschen dienen soll. Das geht aber nur, um konkreter zu werden, wenn erstens die Eigentumsverhältnisse andere sind – nur wenn RWE nicht mehr einzelnen Profiteuren gehört, sondern demokratischer Kontrolle unterliegt, kann der Konzern sinnvoll umgebaut werden. Und wenn zweitens nicht mehr alle auf einem freien Markt in Konkurrenz zueinander stehen, was sie auf Gedeih und Verderb dazu verdammt, immer schneller und besser als die anderen zu produzieren, weil sie sonst untergehen –, und damit immer mehr Ressourcen in Treibhausgase zu verwandeln.

Wir müssen über Planwirtschaft sprechen. Das geht aber nicht, ohne dabei auf planwirtschaftliche Modelle der sozialistischen Staaten einzugehen. Es gilt sie einzuordnen, sie als unsere Geschichte zu reflektieren und mitzunehmen, was gut, aber auch abzulegen, was schlecht funktioniert hat.

Planung statt Chaos

Die Planwirtschaft der sozialistischen Staaten hat hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt. Sowohl die Sowjetunion, das sozialistische China als auch kleinere Länder wie Kuba haben in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gezeigt, dass wirtschaftliche Planung dem Chaos der Märkte überlegen ist: In allen drei genannten Ländern, und es ließen sich weitere hinzufügen, gelang es innerhalb von wenigen Jahrzehnten, Industrialisierung, Alphabetisierung, Zurückdrängung der Kindersterblichkeit, Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und viele weitere Fortschritte in einer viel höheren Geschwindigkeit durchzusetzen als in der kapitalistischen Welt. Man braucht nur die Entwicklung von Wohlstand in China seit der kommunistischen Machtübernahme 1950 mit der des kapitalistischen Indiens zu vergleichen – oder die aktuelle Lage der Menschen im sozialistischen Kuba mit der der Menschen auf Haiti –, um zu sehen, dass Wirtschaftsplanung der freien Konkurrenz oft überlegen ist.

Gleichzeitig führte die sozialistische Wirtschaft auch zu Katastrophen, zu Missmanagement und einem riesigen bürokratischen Apparat, der die Gesellschaft erdrückte, was zumeist daran lag, dass die ökonomische Planung zu zentralistisch erfolgte und dadurch unflexibel wurde. Es kam zu Hungersnöten mit Millionen von Toten, wie der in der Ukraine der 1930er oder in China Ende der 1950er. Wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass auch die kapitalistischen Nationen in diesen Zeiträumen von Hungersnöten geplagt wurden und im Gegensatz zur sozialistischen Welt dort nicht das Wirtschaftssystem, sondern externe Gründe als Ursache ausgemacht wurden.

Und Ökologie? Die Industrialisierung führte in den sozialistischen Staaten zu massiven ökologischen Problemen, die die Naturzerstörung in den kapitalistischen Ländern teils noch übertrafen – ganz einfach, weil die Wirtschaft in einer höheren Geschwindigkeit industrialisiert wurde. Gegner:innen der Planwirtschaft führen das an, um nachzuweisen, dass sich ein alternatives Wirtschaftssystem nicht zur Lösung der ökologischen Frage eignet. Doch sie irren: Die Planwirtschaft war nicht unökologisch, weil sich wirtschaftliche Planung und Ökologie grundsätzlich widersprechen, sondern weil Ökologie in der wirtschaftlichen Planung kaum eine Rolle spielte. Gleichzeitig bildet die Planung der Wirtschaft aber eine notwendige Vorbedingung für die Lösung der Klimakrise, weil nur in einer geplanten Wirtschaft Produktion und Konsumtion auf ein Maß gedrosselt werden können, das die Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad ermöglicht.

Demokratie statt Staat

Auch in Rojava wird mit Formen demokratischer Planung experimentiert: Rund 80 Prozent des Landes sind unter Kontrolle der Räte und seit 2012 verfügen die Kommunen, die kleinsten Zellen des Rätesystems, über Wirtschaftskommissionen, die die Aufgabe des Aufbaus der kommunalen Wirtschaft übernehmen. Die Kommunen bauen Genossenschaften auf, die das Land bewirtschaften, einen Anteil an die Kommune abgeben und für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiten. Die Überschussproduktion wird auf dem Markt verkauft.

Aber wo ein Markt ist, da ist auch Konkurrenz, und wo Konkurrenz ist, da laufen auch Genossenschaften Gefahr, zu kapitalistischen Unternehmen zu werden. In Rojava regeln deshalb Gesetze, dass sich die Kooperativen nicht von den Kommunen loslösen, sie unterstehen ihren Entscheidungen, die Wirtschaft ist so der Politik untergeordnet. Was dieses Modell von der Planwirtschaft der sozialistischen Staaten unterscheidet, ist, dass es dezentral ist. Zwar gibt es auf allen Ebenen des Rätesystems, also auch auf Ebene der Stadt- und Gebietsräte, Wirtschaftskommissionen, aber die Basis bilden nach wie vor die Kommunen. Das Ziel der Wirtschaftspolitik Rojavas ist, dass die Produktion weder durch einen Staat noch durch den Markt gelenkt wird, sondern durch Kommunen und Räte. Das ermöglicht eine dezentrale Planung und teils auch Versorgung der Kommunen, was gute Bedingungen für eine ökologische Gesellschaft schafft.

Abdullah Öcalan analysiert die Geschichte der Klassengesellschaft und damit auch die Geschichte des Kapitalismus als eng verwoben mit der Geschichte des Patriarchats. Es ist kein Zufall, dass die Entstehung von Klassen vor einigen Jahrtausenden auch mit der Schaffung der dominanten und beherrschenden Rolle von alten Männern in eins fällt. Komplettiert wird sie seit der Industrialisierung durch die Rolle der unbezahlten Hausfrau, die die Grundlage für die Schaffung des Lohnarbeiters bildet, auf dessen Ausbeutung der Kapitalismus beruht. Ausgehend von dieser Analyse lässt sich der Kapitalismus nur brechen, wenn auch das Patriarchat gebrochen wird. Hier setzt die Bewegung in Rojava mit dem Aufbau von autonomen Frauenstrukturen an. Das betrifft auch die Wirtschaft, mit dem Aufbau von Frauenkooperativen soll die ökonomische Abhängigkeit von Frauen gebrochen werden.

Es ist unklar, ob sich das Wirtschaftsmodell Rojavas durchsetzen kann, zum einen, weil die zerstörerische Dynamik der Märkte noch nicht gebrochen ist, und zum anderen, weil die Rojava-Revolution gegen den türkischen Faschismus verteidigt werden muss. Klar ist aber, dass Rojava zeigt, dass es sich lohnt zu hoffen und zu kämpfen.

Gegenmacht aufbauen

Beim Hoffen und Kämpfen lohnt sich auch für die Klimagerechtigkeitsbewegung der Bezug zur kurdischen Bewegung und zu den Erfahrungen aus Rojava. Gleichzeitig ist klar, dass der Aufbau einer neuen, einer ökologischen Gesellschaft hier anders durchgesetzt werden muss. Denn Voraussetzung für den gesellschaftlichen Aufbruch in Rojava ist, dass das syrische Regime im Norden des Landes, wo es nie viel Rückhalt hatte, im Zuge des Krieges um Syrien zurückgedrängt werden konnte und sich damit Spielräume ergaben. Die staatlichen Strukturen Mitteleuropas aber sitzen fest im Sattel, und damit auch das kapitalistische Regime der Alternativlosigkeit, das uns immer tiefer in die Klimakatastrophe führt. Der Aufbau einer kollektiven Ökonomie als Voraussetzung für die Bewältigung der Krise muss hier also unter anderen Bedingungen erkämpft werden. Der Spielraum eröffnet sich nicht durch die militärische Zurückdrängung des Systems, sondern durch den Aufbau von kollektiver Gegenmacht an Orten, an denen Menschen arbeiten und leben. Wo nicht einfach Kooperativen aufgebaut werden können, weil die Produktionsmittel einzelnen Kapitalist:innen gehören, muss erst einmal die Eigentumsfrage gestellt werden. Das gelingt nur durch den großen Streik, nur wenn sich Millionen Menschen zur Wehr setzen, wenn Millionen verweigern, weiter für die Kapitalist:innenklasse zu buckeln und dabei auch noch unser Ökosystem zu zerstören.

Das wird nicht heute und auch nicht morgen passieren. Aber es kann passieren, wenn sich die systemischen Krisen zuspitzen und damit immer mehr Menschen klar wird, dass die Krise der Gesellschaft das kapitalistische System selbst ist. Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung und aller widerständigen Kräfte ist es an dieser Stelle aber nicht, abzuwarten. Denn wenn die Krise erst einmal einen Punkt erreicht hat, an dem sie Millionen Menschen auf die Straße bringt, dann braucht es Organisationen, die in der Lage dazu sind, Wut und Hoffnung zu bündeln und daraus eine Alternative aufzubauen. Erfolgreiche Revolutionen haben objektive und subjektive Faktoren. Die objektiven Faktoren sind die gesellschaftlichen Krisenprozesse, die einen revolutionären Handlungsspielraum eröffnen. Die subjektiven Faktoren sind die revolutionären Organisationen, die diesen Handlungsspielraum zu nutzen wissen.

Revolutionäre Organisationen entstehen aus gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Bewegungen heraus, sie verdichten sich zum Herz und Gehirn der jeweiligen Bewegung. Dort, wo das Herz und das Gehirn funktionieren, dort sind Bewegungen dazu in der Lage, langfristig Taktiken und Strategien zu entwickeln. Das ist kein Aufruf dazu, die hundertste linke Gruppe aufzubauen, die denkt, alles verstanden zu haben. Im Gegenteil: Es ist ein Aufruf dazu, Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung zu werden und in ihr für einen revolutionären Kurs zu kämpfen.


 Kurdistan Report 222 | Juli/August 2022