Die PKK muss von der Liste terroristischer Organisationen gestrichen werden!

Der Widerstand des kurdischen Volkes geht uns alle an!

Interview mit Annick Samouelian, Frankreich


Annick Samouelian ist Sprecherin des Collectif Solidarité Kurdistan 13 (CSK.13) und Vorsitzende des Vereins Solidarité & Liberté Provence, der Teil des Bündnisses CSK.13 ist.

Der Widerstand des kurdischen Volkes geht uns alle an!Stellst du euer Bündnis bitte kurz vor? Wann und aus welchen Gründen habt ihr euch gegründet?

Seit über 20 Jahren hat es in Marseille immer ein Bündnis zur Unterstützung des kurdischen Volkes gegeben. Nur der Name wurde im Lauf der Jahre und mit den Entwicklungen im kurdischen Kontext und in den Regionen Kurdistans geändert. In dieser Kontinuität vereint das Collectif Solidarité Kurdistan 13 (13 = Département Bouches-du-Rhône) heute zehn Organisationen, Gruppen, Vereine aus dem politischen und gewerkschaftlichen Bereich, die sich aktiv für Menschenrechte einsetzen und für die kurdische Sache eintreten.

Aus welchen Gründen habt ihr ­letztes Jahr eure ­Kampagne für die Entkriminalisierung der PKK initiiert?

Nie war die Lage so eindeutig wie heute: Sich damit abmühen, das Anliegen der Kurd:innen zu verteidigen, ohne das Problem der Kriminalisierung der PKK anzugehen, ist wie immerzu Wasser aus einem beschädigten Boot schöpfen, ohne je das Leck zu reparieren.

Das bedeutet, dass jeder noch so umfassende Kampf, jede noch so berechtigte Initiative im Zusammenhang mit dem kurdischen Anliegen immer auf Grenzen stoßen wird, wenn es uns nicht gelingt, diesen Riegel »PKK = Terror« zur sprengen, der die Hauptursache für die Tragödien ist, die das kurdische Volk erlebt.

Die Streichung der PKK von der Liste terroristischer Organisationen ist der einzige Weg für eine politische und friedliche Lösung der kurdischen Frage. Es kann keine Lösung ohne die PKK geben und noch weniger gegen sie, denn die PKK ist das Volk, und das Volk ist die PKK. Diese beiden Elemente gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Münze.

Indem der kurdische Widerstand mit Terrorismus gleichgesetzt wird, gewähren Frankreich und die Europäische Union der Regierung in Ankara freie Hand, jegliche Verhandlung abzulehnen und sich hinter dem Argument zu verschanzen »Die Türkei verhandelt nicht mit Terroristen« und so ihre auf faschistische und fundamentalistische Propaganda aufbauenden expansionistischen Kriege fortzusetzen.

Die Türkei kann ohne jeden Zweifel einzig und allein über den Weg der Legitimierung der PKK und der Anerkennung der Rechte des kurdischen Volkes dazu gezwungen werden, die kurdische Realität anzuerkennen und den Beginn von Friedensgesprächen zu akzeptieren.

Die Tatsache, dass die PKK mit der Verbannung aus der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen wurde, macht es möglich, den Mantel des Schweigens über die Verantwortung der türkischen Behörden für alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu legen. Dessen ist sich der türkische Staat sehr genau bewusst. Davon zeugt auch das Urteil des Permanenten Völkertribunals über die Verbrechen des türkischen Staates an der kurdischen Bevölkerung, das im März 2018 in Paris tagte: »Der Präsident des türkischen Staates, Recep Tayyip Erdoğan, trägt direkte Verantwortung für die Kriegsverbrechen und die Verbrechen durch den Staat, die insbesondere in den Städten im Südosten Anatoliens verübt wurden.« Die ungesühnten Massaker werden nicht ewig ignoriert werden können.

Auf juristischer Ebene hat kein einziges europäisches oder internationales Gericht jemals geurteilt, dass die PKK der Definition einer terroristischen Organisation entspreche. Im Gegenteil hat der belgische Kassationshof, das oberste Gericht Belgiens, ausdrücklich festgestellt: Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK ist ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt, der internationalen Regeln unterliegt.

Ebenso sollte die Entwicklung der PKK hervorgehoben werden, die sich heute sehr vom marxistisch-leninistischen Schema der 80er Jahre unterscheidet.

Von großer Wichtigkeit sind auch die veränderten politischen und geopolitischen Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten. Weit davon entfernt, terroristisch zu sein, hat sich die kurdische Befreiungsbewegung als führend in der internationalen Koalition gegen den barbarischen Einfall des Islamischen Staates erwiesen. Es ist an der Zeit, dass die PKK und die mit ihr verbündeten Organisationen als Kraft für Frieden und Stabilität in einem brodelnden Nahen Osten anerkannt werden.

Die politische Haltung und der Starrsinn, mit denen Europa und die Vereinigten Staaten an der Bewertung der PKK als »terroristische Organisation« festhalten, sind weder menschenwürdig noch rechtens, und sie leugnen, was die PKK in Wirklichkeit ist.

Was sind eure Aktivitäten für die Kampagne und was ist das Ziel der Kampagne?

Die Aktivitäten der Kampagne des CSK.13 gehen von kulturellen Veranstaltungen über Demonstrationen, der Organisation runder Tische, Film- und Diskussionsabenden wie z. B. zum Film »Press« von Sedat Yılmaz bis zu Treffen mit Abgeordneten. Dabei geht es uns jedes Mal darum, zu informieren, zu erklären, zu analysieren und das Schweigen zu brechen.

Geplant ist eine Kampagne zur Unterstützung der politischen Gefangenen in der Türkei, die eng verknüpft sein wird mit unserer Kampagne zur Entkriminalisierung der PKK. Für diesen Zweck hat uns ein Verlag 400 Postkarten geschenkt.

Weitere Projekte sind für den Spätsommer in Vorbereitung. Sie zielen auch darauf ab, Abgeordnete mehr zu fordern und sie zur Einnahme einer engagierten Haltung in der kurdischen Frage zu bewegen.

Wie äußert sich die Kriminalisierung der PKK in Frankreich? Im Gegensatz zu Deutschland ist die PKK dort ja nicht verboten.

Im Gegensatz zu Deutschland wird in Frankreich das Schwenken einer PKK-Fahne oder das Rufen von Parolen zugunsten der Partei nicht geahndet. Mit unserem Bündnis haben wir auch Anstecker für die Kampagne gemacht mit der Parole »PKK heißt Widerstand, nicht Terrorismus«.

Dennoch gibt es sie, die Kriminalisierung von kurdischen Vertretungen und Aktivist:innen, sogar häufig. Dass es kein Verbot gibt, macht sie hinterhältiger.

So werden regelmäßig die Bankkonten von Vereinsvertreter:innen eingefroren. Die Argumente zur Rechtfertigung dieser Kontosperrungen sind manchmal hanebüchen oder einfach unwahr. Vorgebrachte Begründungen sind z. B.: Treffen mit Parlamentsabgeordneten, das Organisieren von Demonstrationen, Öffentlichkeitsarbeit, Redebeitrag beim Permanenten Völkertribunal. Handlungen, die die französische Demokratie ausdrücklich erlaubt.

Dazu gibt es den sichtbaren Teil der Repression, den wir regelmäßig dann erleben, wenn es auf ein Treffen oder entscheidende Verhandlungen mit Ankara zugeht. Oftmals führt diese Korrelation zu Verhaftungen oder Durchsuchungen, die von der Staatsanwaltschaft unter dem Deckmantel des »Antiterror-Gesetzes« veranlasst werden. So gab es z. B. im März in Marseille unmittelbar vor dem EU-Gipfel entsprechende polizeiliche Maßnahmen.

Das Etikett »PKK terroristisch« dient als Werkzeug, die kurdischen Vereine im Land zu unterdrücken, einzuschüchtern, zu verfolgen, Festnahmen durchzuführen oder ihre Mitglieder als »Gefährder:innen« abzustempeln wie gefährliche Kriminelle.

In Anbetracht einer Türkei, die alle Vernichtungsmechanismen ausschöpft, um der kurdischen Bevölkerung jede Überlebensmöglichkeit zu verweigern, ist es unfassbar, dass die Repression gegen die kurdische Gemeinschaft in Frankreich und Europa ihre Fortsetzung findet.

Daher ist unsere Kampagne eine Form aufzuzeigen, dass die PKK keine terroristische Organisation ist, sondern dass ein ganzes Volk durch die Mächte des Westens instrumentalisiert wird.

Wie hat sich der Umgang des französischen Staates mit der PKK entwickelt? Hat z.B. der Mord an den drei kurdischen Aktivistinnen im Januar 2013 in Paris eine Zäsur bedeutet?

Es sei daran erinnert, dass die PKK in Frankreich oder Europa nie terroristische Gewalttaten begangen, sondern den Terrorismus des IS im Irak und in Syrien bekämpft hat. Dank ihrer militärischen Einheiten hat sie Tausende von Menschen in Şengal, Kobanê, Mexmûr, Raqqa befreit und gerettet. Es ist nicht die PKK, die Attentate in Frankreich begangen hat, sondern der IS; und es sind die Türkei und ihr Geheimdienst MIT, die den Mord an drei kurdischen Frauen – Friedensaktivistinnen – in Paris in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2013 veranlasst haben.

Die Einhaltung der Versprechen der französischen Regierung, diese furchtbaren Taten vollständig aufzuklären, lässt immer noch auf sich warten. Neun Jahre nach dem Massaker gleicht die Weigerung, die Geheimhaltung in dem Ermittlungsverfahren aufzuheben, der Gewährung einer Straffreiheit für den türkischen Staatsterrorismus. So wird den politischen, ökonomischen und strategischen Interessen der Vorzug gegeben.

Erdoğans Macht, Schaden anzurichten, nährt sich aus der freiwilligen Machtlosigkeit Europas, obwohl die fortgesetzten Schandtaten der türkischen Regierung die europäischen Regierungen zum Nachdenken bringen und Reaktionen ihrerseits hervorrufen sollten. Als Mitglied der NATO und des Europarats hört die Regierung in Ankara nicht auf, der Welt zu sagen, dass sie über den Gesetzen, den Verträgen, den Regeln, den internationalen Abkommen steht.

Um den negativen Auswirkungen der Ablehnung eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union abzubügeln, frönen ihre Mitgliedsländer seit vielen Jahren einer schändlichen Instrumentalisierung des kurdischen Volkes. Die Listung der PKK als terroristische Organisation ist das Hauptinstrument für Manipulierung, schmutzige Manöver und Schachereien. Auf diese Weise dient die»kurdische Währung« als Spielgeld in Vorverhandlungen auf dem Markt der Diplomatie zwischen Frankreich, aber auch Europa und der Türkei; und das ganze menschliche Leid wird einfach weggewischt.

Die Achtung internationalen Rechts darf nicht als beliebiges Kalkül nach Bedarf der internationalen Beziehungen und Bündnisse dienen oder vom Wohlwollen der Staaten abhängen.

Indes, Zynismus und Scheinheiligkeit der europäischen Regierungen, derjenigen Frankreichs inklusive, reihen sich auf allen Ebenen aneinander.

Unter Missachtung der Regeln des Europarats und der Urteilssprüche des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sperrt die Türkei Tausende Unschuldige weg: Anwält:innen, gewählte Volksvertreter:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Demonstrant:innen, Studierende, Journalist:innen, Gewerkschafter:innen ..., mit der Scheinbegründung der »Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation«: der PKK. Die wiederum auf der Liste der terroristischen Organisationen der EU steht.

Wenn die PKK eine terroristische Organisation sein soll, wie ist dann zu erklären, dass die internationale Koalition, der auch Frankreich angehört, an der Seite der kurdischen Kräfte der Frauen- und der Volksverteidigungseinheiten (YPJ und YPG) und der PKK im Krieg gegen den IS gekämpft hat?

Erinnern wir uns an die Erklärung in antiterroristischer Rhetorik des damaligen Premierministers Erdoğan im Jahr 2012: Die kurdische Frage werde »in Tränen und Blut« beantwortet. Was vielleicht heißen sollte, dass es in der Türkei 25 Millionen Terrorist:innen gebe, ohne die anderen mitzuzählen, die sich für die Rechte der Kurd:innen einsetzen?

Indem sie die PKK mit Terrorismus gleichsetzen, gestehen Frankreich und die anderen EU-Staaten der Türkei eine Legitimität in der strategischen Umsetzung der Vernichtung und der Beraubung eines jahrtausendealten Volkes zu – im Landesinneren wie auch jenseits der Grenzen – und gewähren ihr absolute Straffreiheit.

Welche gesellschaftlichen Kräfte setzen sich in Frankreich für eine Entkriminalisierung der PKK ein?

Es ist schwierig, eine Einschätzung abzugeben, inwieweit welche Kräfte in Frankreich tatsächlich daran arbeiten, dass die PKK von der Terrorliste gestrichen wird. Auch wenn wir feststellen können, dass es eine deutliche Entwicklung in der Mentalität von politischen Aktivist:innen, Politiker:innen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder Gewerkschafter:innen gibt, so bleiben doch viele an diesem grundlegenden Punkt zögerlich.

Was die Tatsache bestätigt, dass der Kampf um die Köpfe in der Zivilgesellschaft und unter den politisch Verantwortlichen verstärkt werden muss, ebenso wie auf der Ebene der Europäischen Union und der US-amerikanischen Behörden.

Diesbezüglich ist es wichtig, sich auf bestehende Urteile zu stützen, wie Jan Fermon, federführender Anwalt in einer zehn Jahre währenden juristischen Schlacht, in einem kürzlich mit Medyanews geführten Interview darlegte: »Der Urteilsspruch des höchsten belgischen Gerichtes aus dem Jahr 2020, nach dem die Antiterror-Gesetzgebung der EU nicht auf die PKK angewendet werden kann, weist auf die Schwachstelle der Türkei hin und zeigt, dass die Kriminalisierung der PKK erfolgreich angefochten werden kann.«

Es würde reichen, dass ein einziges EU-Mitgliedsland die Kühnheit und den Mut aufbrächte und einseitig die Entscheidung träfe, der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung ein Ende zu setzen und auf europäischer Ebene eine Bresche für die Aufklärung darüber zu schlagen, was die PKK wirklich ist.

Seit Dezember gibt es ja die internationale Kampagne »Justice for Kurds« für die Streichung der PKK von den Terrorlisten der EU und der USA. Unterstützt ihr die auch? Sie überschneidet sich ja stark mit eurer letztes Jahr initiierten Kampagne. Verbindet ihr die beiden in eurer Arbeit miteinander?

Die Kampagne des Collectif Solidarité Kurdistan 13 stellt eine Ergänzung zur Kampagne »Justice for Kurds« dar, die wir unterschrieben und eifrig weitergetragen haben. Unsere Kampagne hat manchmal etwas andere Herangehensweisen, von denen wir uns aber eine ebenso gute Wirkung erhoffen.

Die Tatsache, dass die PKK auf dieser schwarzen Liste steht, macht das kurdische Volk und seinen legitimen Kampf für Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit unsichtbar.

Das Wesentliche ist, dass die beiden Kampagnen einen gemeinsamen Nenner haben. Den Willen aller demokratischen und fortschrittlichen Kräfte wiedergeben, die die kurdische Sache in ihrem Herzen tragen und die Problematik an ihrer Wurzel packen: die PKK aus dieser höchst unangemessenen Listung lösen, die über einen juristischen Schachzug einzig diplomatischen Intrigen dient.

Dieses Jahr ist es zwanzig Jahre her, dass die PKK auf diese unselige Liste gesetzt wurde; lasst uns unseren Beitrag dazu leisten, dass 2022 das Siegesjahr des kurdischen Volkes werde. Vergessen wir nicht: Der Widerstand des kurdischen Volkes geht uns alle an!

Der Vergangenheit fehlt es nicht an historischen Ereignissen, in denen in einer Massenmobilisierung der Zivilgesellschaft ein Zusammenschluss gelungen ist, um gemeinsam den Lauf der Geschichte aufzumischen.


 Kurdistan Report 222 | Juli/August 2022