Frauenorganisationen weltweit berichten über ihre Kämpfe

Internationale Frauenkonferenz »Unsere Revolution: Das Leben befreien«

Cenî, Kurdisches Frauenbüro für Frieden


Vier Jahre nach der Konferenz »Revolution in the making« – Network Women Weaving the Future 2018 in Frankfurt am Main organisierte Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden die nächste internationale Frauenkonferenz, die am 5. und 6. November dieses Jahres in Berlin unter dem Motto »Unsere Revolution: Das Leben befreien« stattfand.

Internationale Frauenkonferenz »Unsere Revolution: Das Leben befreien«Mit Verbindungen zu Frauenorganisationen in 41 Ländern, unter anderem aus Süd-, Mittel- und Nordamerika bis Indien und Australien, aus dem Jemen, dem Sudan und Libanon wurde ein viele Themen umfassendes Programm erstellt. Das Konzept der Konferenz war ein an Fragen reichhaltiges, das uns alle einer Lösung näher bringen soll. Es enthielt Fragen nach unserem Paradigma, Strategien für Widerstand gegen ökologische Verbrechen, Strategien zum Erhalt gesellschaftlicher Werte wie lokale Sprachen und wie der Frauenkampf an Stärke gewinnen und das Patriarchat – das System überwunden werden kann. In diesem Artikel wird versucht, die Ergebnisse dieses Konzeptes auszugsweise widerzuspiegeln.

Um es vorweg zu nehmen, auf der Konferenz wurde betont, dass für einen siegreichen Kampf immer auch eine Ideologie, ein selbst gewähltes Paradigma nötig ist. Doch machten insbesondere zwei Vertreterinnen sehr kämpferischer Bewegungen auf der Konferenz deutlich, dass die Darstellung dieser eigenen Inhalte nicht nur in intellektueller Weise erfolgen muss:

Jade Daniels stimmte zu Beginn ihres Beitrags einen Slogan für alle an, mit geballter Faust rief sie wiederholt: »I believe that we will win« (ich glaube, dass wir siegen werden) »It is our duty to win« (es ist unsere Pflicht, zu gewinnen) »We have to roar and to protect each other« (wir müssen schreien und uns gegenseitig Schutz bieten) »We have nothing to loose but our chains« (wir haben nichts zu verlieren, außer unseren Ketten) »It is our duty to fight for freedom« (Es ist unsere Pflicht, für die Freiheit zu kämpfen).1

Jade Daniels ist Teil der schwarzen Frauenbewegung RA Life Urban Self Defense System und stellte klar, dass sie auf der Konferenz unterdrückte Völker und schwarze Frauen vertrete, nicht die Vereinigten Staaten.

Lolita Chavez von Feministas Abya Yala aus Ixim Ulew, was Maisland bedeutet (koloniale Bezeichnung: Guatemala) entfachte zu Beginn ihres Beitrags ein Feuer zur Erinnerung »an die Ahnen als Dank, dass wir jetzt hier sein dürfen, als Dank an Mutter Erde und Dank an den Kosmos, der unser Leben hält«. Sie machte klar, »das ist unser feministisches Feuer aus Abya Yala, das bis nach Kurdistan reicht. Als Feministinnen und Indigene sagen wir NEIN zum Einsatz chemischer Waffen in Kurdistan«.

Eine der Fragestellungen auf der Konferenz war: Wie werden lokale Sprachen, die moralische und politische Gemeinschaftswerte in sich tragen, wiederbelebt?

Eine praktische Antwort darauf demonstriert die Verwendung des Namens Abya Yala statt der Bezeichnung der Kolonialisten: »Amerika«. Abya Yala ist ein aus der Sprache der Kuna in Panamá und dem nordwestlichen »Kolumbien« stammender, vorkolonialer Name für den amerikanischen Kontinent vor der Ankunft von Christoph Kolumbus und der Europäer. So verwenden die Aktivistinnen auch den Namen Ixim Ulew für »Guatemala«.

Eine indigene Aktivistin aus der Region Cauca (benannt nach dem Rio Cauca), stellte die Initiative Pueblos en Camino vor. Diese Initiative versucht, Kindern wieder eine Verbindung zur eigenen Geschichte näherzubringen und dabei aufzuzeigen, dass es auch ein langes Leben vor der Kolonialisierung von Cauca gab. Sie versuchen mit ihrer Initiative, der Entfremdung von ihrem eigenen Territorium entgegenzuwirken und andere Narrative und Erfahrungen zu bieten, die sich gegen die der Besatzung und Kolonialisierung richten. Denn Sprache ist ein lebendiger Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens, einer Kultur.

Eine andere Referentin stellte eine Initiative aus Euskal Herria (»Baskenland«) vor. Dort gibt es eine interkulturelle Bildungsstätte als Begegnungsort, in dem emanzipatorische, antirassistische, antipatriarchale Bildung im Stadtteil organisiert wird.

Denn auch der Aufbau eines eigenen Bildungssystems für Frauen war ein Thema im Konzept der Konferenz. Die Fragestellung für die Entwicklung eines neuen Paradigmas lautete: Wie haben Experimente, Methoden und alternative Pädagogiken, die von Frauen in verschiedenen Teilen der Welt entwickelt wurden, zum Kampf der Frauen beigetragen? Der Fokus in dieser Fragestellung liegt organisierungsbedingt auf Frauen. Bedenken muss man jedoch, dass gerade in Projekten, die Kultur, Sprache und Bildung betreffen, sehr oft sowieso viel Energie und Arbeit von Frauen eingeflossen sind, auch wenn sie nicht autonom organisiert sind.

Ein weiterer Bericht kam von einer Aktivistin über eine Bildungsstätte aus einem Stadtteil von Barcelona. Dort versuchen die Menschen in ihrem Projekt, Bildung auch mit dem Thema Armut und Häuserkampf zu verbinden.

Die vierte Referentin war eine Frau der kurdischen Frauenbewegung, die mit den Teilnehmenden über die Notwendigkeit sprach, das durch das Patriarchat geraubte Wissen der Frauen zurückzuerobern. Dies sei ein notwendiger Schritt zur Befreiung. Ein Beispiel dafür ist das Wissen über das Gebären, das viele Frauen nicht mehr haben. Dadurch sind Frauen in der Situation einer Schwangerschaft hilfloser, als sie vermutlich in einer vom Patriarchat befreiten Gesellschaft wären. Die Referentin schloss ihren Beitrag mit den inspirierenden Worten: »Bildung ist das Begehren nach Freiheit«.

Daran anschließend reflektierten alle Teilnehmer:innen gemeinsam, welche Ziele, Methoden, Stärken und Schwierigkeiten das Entwickeln alternativer Bildung zur Befreiung mit sich bringt.

Um die Entwicklung eines eigenen Paradigmas jenseits der kapitalistischen Moderne ging es auch in der Fragestellung: Wie machen sich Frauen von den Denkstrukturen des männerdominierten Systems unabhängig? Diese Frage wurde in den verschiedenen Beiträgen sehr oft berührt: u.a. im Beitrag von Nilüfer Koç, in dem sie feststellte, dass wir sehen können, dass die Staaten die Probleme nicht lösen. Frauen würden immer wieder dargestellt, als seien sie das Problem, wohingegen Frauen eigentlich die Lösung verkörperten. Ebenso wendete die Vertreterin von RAWA2, Mariam Rawi ein, dass Demokratie, Gerechtigkeit und menschliche Werte nur durch die Kämpfe der Gesellschaft zu erreichen sind. Demzufolge meinte sie, der eigentliche Kampf des afghanischen Volkes finde heute nach Abzug der internationalen Militärs statt.

Mariam Rawi sprach anschließend von Afghanistan als Ort, wo gerade brutalste religiöse Faschisten herrschten. Eindrücklich beschrieb sie die Tragödie, die sich unter dieser islamistisch-fundamentalistischen Mentalität abspiele. Diese sei eine Kraft, die sich gegen Frauen richte, Gräueltaten und Notleiden der Frauen seien unter diesem Regime an der Tagesordnung: Frauen würden nicht als menschliche Wesen anerkannt, sondern auf Gebärmaschinen reduziert.

Rawi betonte jedoch auch, dass die Taliban nicht allein seien, sondern verbunden mit den Institutionen der kapitalistischen Staaten, etwa mit dem CIA. Sie gab einen kurzen Abriss über die Historie dieser Zusammenarbeit. So wurden etwa »Frauenrechte« zur Legitimation der Intervention nach 2001 benutzt, doch auch wenn heute vom Scheitern dieser Intervention gesprochen werde, verlief tatsächlich doch alles nach imperialistischem Plan. Das Land stehe heute vor dem Zusammenbruch, dennoch führten die westlichen Regierungen Beziehungen mit den Taliban: strategische Interessen seien weitaus wichtiger als das Schicksal der afghanischen Frauen und Männer.

Doch die Menschen hätten auch gelernt: Werte würden sich nur von den Unterdrückten selbst erkämpfen lassen – und dann werden sie auch nicht mehr zu nehmen sein. Sie ging auf die Arbeit von RAWA ein: Seit mehr als 40 Jahren klärt sie über Ungerechtigkeiten auf und übernimmt die klandestine Organisierung von Frauen. Für ihre Arbeit wurde die Organisation kürzlich mit dem Sakine-Cansiz-Preis ausgezeichnet. »Darüber haben wir uns sehr gefreut«.

Rawi schloss mit den Worten: »Wir hoffen, dass das Netzwerk der Solidarität immer stärker wird. Wir schwören beim Blut der kämpfenden Frauen, ihren Weg weiter fortzusetzen. Frauen beweisen, dass sie die Geschichte der Revolution ­schreiben.«

Paradigmatisch äußerte sich auch Lolita Chavez von Feministas Abya Yala, indem sie die Blickrichtung auf die Besatzung der indigenen Territorien in Ixim Ulew lenkte. Sie meinte, dass die Ursache für die Ausbeutung, die Gewalt krimineller Netzwerke und terroristischer Strukturen darin begründet sei, dass die indigene Gesellschaft eine Alternative zum Krieg der extraktivistischen Konzerne aufzeige. Ferner antwortete sie auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum, dass eine Spiritualität für ihren Kampf von Bedeutung sei, um die geistige Vorherrschaft Europas aufzubrechen.

Kavita Krishnan, feministische Aktivistin der All India Progressive Women’s Association wies darauf hin, dass im Patriarchat das Wort Sicherheit als Code verwendet wird.

Als nur ein Beispiel führte sie die Bedingungen in der iPhone-Herstellung an, wo 90% der Arbeitenden Frauen seien. Junge Frauen werden angeworben, um in Fabriken multinationaler Konzerne zu arbeiten. Die Manager würden dafür den Familien versprechen, für die Sicherheit ihrer Töchter zu sorgen; fortan stünden die Frauen unter absoluter Kontrolle, sogar ihre Handys würden ihnen zum Teil weggenommen, und ihr Lohn wird ihnen erst nach Jahren ausgezahlt. Angesichts dessen stellte Krishnan die Frage, um welche Sicherheit es eigentlich gehe.

Die australische Soziologin und Öko-Feministin Ariel Salleh wies darauf hin, dass das dualistische Denken wie zum Beispiel »Mensch und Natur« immer die Konsequenz beinhalte, das eine als minderwertiger darzustellen. Sie bezog sich dazu in ihrem Beitrag auf die Schriften Abdullah Öcalans und auf seine Aussage, dass die Herrschaft über die Frauen die Grundlage für Kolonialisierung und Klassenunterdrückung war, wovon wiederum die Frauen schon immer am stärksten betroffen waren. Ariel Salleh sagte, dass demzufolge Proteste und Widerstände, die auf einem männlichen Verständnis beruhen, zum Scheitern verurteilt seien. Denn dieses Verständnis sei Teil der Ursache der Probleme. Daher sei Abdullah Öcalan überzeugt, dass die Frauenbefreiung an erster Stelle stehen muss.

Shahida Abdulmunim vom Gender Centre for Research and Training aus dem Sudan erklärte mit Blick auf »nationale« Befreiungskämpfe: Wir wollen unsere Länder befreien, um uns zu befreien!

Seit 80 Jahren, also seit Beginn der Diktatur im Sudan, stünden Frauen in den ersten Reihen des Widerstandes. 1990–1999 waren fast nur Frauen auf der Straße. Auch waren die Frauen zum Aufstand von 2018 vorbereitet gewesen und führten so die Kämpfe an. Sie kämpften gegen die toxische Männlichkeit und das Patriarchat, erklärte die Referentin. Sie selbst sei auf der Straße gewesen und eine der Teilnehmerinnen der Revolution. 70 Prozent der Menschen auf der Straße seien Frauen gewesen. Diese Frauen hätten sich dazu aus 50 verschiedenen Gruppen vereinigt.

Frauen wurden in der Folge zwar Teil des Kongresses der Regierung, diese waren aber keine Vertreterinnen der Bewegung.

5000 Frauen seien im Sudan aus politischen Gründen im Gefängnis.

Bei dem Konflikt im Sudan handelt es sich um kein religiöses Thema, sondern um ein politisches. Wir wollen unsere Länder befreien, um uns zu befreien!

Die kurdische Soziologin und Autorin Dr. Dilar Dirik äußerte sich zu den Konsequenzen dieser Befreiungskämpfe und stellte die Frage: Welche Art Widerstand ist erlaubt und welche wird kriminalisiert?

Elif Kaya vom Jineolojî-Zentrum Europa fragte – nachdem sie die Frauen aus Abya Yala und die politischen Gefangenen grüßte – welches Paradigma leitet uns?

Herrschende wissenschaftliche Ansätze könnten diese Frage nicht beantworten. Soziologie sei im 18. Jahrhundert begründet worden, um die Gesellschaft nach der Industrialisierung zu verstehen, aber es sei eine positivistische Richtung eingeschlagen worden. Diese Wissenschaften seien nicht geeignet, um das Soziale zu verstehen. Metaphysische Aspekte seien ausgeblendet worden. Die Soziologie der Freiheit biete hingegen einen Ausweg und mache einen ganzheitlichen Horizont auf. Pluralität sei dafür die Basis. Eine Verbindung von Soziologie und Geschichte werde darin wieder hergestellt.

Die positivistische Wissenschaft verberge das Wissen der Frauen, während die Jineolojî dieses Wissen ins Zentrum setze und die Rolle von Frauen und deren Sichtbarkeit herstelle. Die Jineolojî, deren ideologische Basis seit 2017 in Rojava erarbeitet werde, lehne patriarchale Wissensproduktion ab. Die Parole »Jin Jiyan Azadî« stelle die Verbindung her zwischen dem Wissen und dem Leben der Frauen. »Zu wissen, wer wir sind und wohin wir wollen, hat eine große Bedeutung dabei, eine Praxis zu entwickeln«, sagte Elif Kaya. Wissenschaft müsse Lösungen für vorhandene Probleme erarbeiten. Jineolojî sei eine junge Wissenschaft, die es ermögliche, Frauenperspektiven, aber auch Leidenschaft und Hoffnung darzustellen. Das Konzept Xwebûn (»Selbst-Sein«) bedeute, sich mit den Wurzeln des Wissens gegen die eigene Entfremdung zu stellen.

Eine weitere Fragestellung im Konzept der Konferenz war: Wir haben auf der ganzen Welt Erfahrungen mit alternativer Wirtschaft gesammelt. Welchen Weg sollten wir wählen, um sie zu organisieren?

Zu diesem Aspekt der Ökonomie gab es auf der Konferenz weniger praktischen Erfahrungsaustausch als Klarstellung ökonomischer Verhältnisse:

Schon Ariel Salleh hatte auf das Problem hingewiesen, dass die Trennung von Wirtschaft in pro- und reproduktiv allein schon Schaden anrichtet.

Für Genevieve Vaughan, italoamerikanische Friedensaktivistin, Feministin und Philanthropin ist klar, dass die kapitalistische Ökonomie der letzten Jahrhunderte abgeschafft werden müsse.

Um eine radikale Veränderung des Wirtschaftssystems voranzutreiben, müssten wir die unbezahlte Arbeit als Standard des Systems verstehen und die bezahlte Arbeit als seine Abweichung. Nur so könnten wir erkennen, wie die Körper von Frauen ausgebeutet werden im kapitalistischen Patriarchat. Das machte sie plausibel mit folgender Darstellung: »Die Menschen sind die einzige Spezies, die sich nicht selbst erhalten kann, sondern nur mit der Fürsorge füreinander am Leben bleibt.« Die mütterliche Gabe sei in der kapitalistischen Ökonomie unsichtbar. Diese Gabe schließe das Schaffen des Lebens und die Fürsorge mit ein.

Alles was Menschen zur Verfügung gestellt ist, seien Gaben (von Geburt an) – ob von der Natur direkt oder von den Fürsorgenden erhalten. Wenn für die kapitalistische Ökonomie allerdings zeitweise »zu viele Gaben« vorhanden sind, werden diese verschwendet oder vernichtet, auch mittels Kriegen, damit ein Mangel erschaffen wird, um Profite zu steigern.

Sie erklärte: »Wir möchten nicht, dass dieses System, sondern dass der Mensch überlebt; dieser sei kein Homo Ökonomikus, sondern ist ein Homo Donando, ein gebender Mensch.«

Strategische Fragestellungen wie:

Was tun? Wie mit den Widersprüchen des Systems umgehen? Wie sich zur Wehr setzen? Wie an Stärke gewinnen? Wie auf Bewegungen, Organisationen einwirken, damit sie Frauenfreiheit fokussieren? Wie kann ein Frauenorganisationsstil entwickelt werden, der alle gesellschaftlichen Sektoren umfasst? Wie einen Frauenkonföderalismus schaffen, der auf Pluralismus basiert und sich gegen interne Vorherrschaft richtet?

waren so selbstverständlicher Teil des Konferenz-Konzeptes, wie fast jede der Rednerinnen strategische Themen benannt hat.

So betonte auch zu Beginn Nilüfer Koç, dass jetzt, zur Zeit des Dritten Weltkrieges die richtige Zeit sei, als Frauen* die Zukunft zu gestalten. Wir dürften uns von Kräften wie Daesh (IS) weder erschrecken noch entmutigen lassen. Krieg führende Männer stünden für Systeme, die sich in einer absoluten Krise befänden.

Frauen im Jemen führten bereits einen langen sozialen Kampf, um am politischen Leben teilzunehmen, sagte Dr. Anjila Al-Maamari vom Zentrum für strategische Studien zur Unterstützung von Frauen und Kindern aus dem Jemen.

Sie berichtete, dass im Gegensatz zu der Revolution von 1962, in der die meisten Aktiven Männer waren, die Frauen in der Revolution von 2011 in den ersten Reihen standen, was eine große Veränderung darstellte. Jedoch gebe es in der Regierung, die 2021 gebildet wurde, keine einzige Frau und nur eine einzige Frau im Parlament. Um diesen Umstand unsichtbar zu machen, wurden lediglich ein paar Frauen in Ausschüsse einbestellt. In den Ministerien seien 30 männliche Vertreter und nur eine weibliche Vertreterin. Die UN tue nicht genug, obwohl Frauen sehr engagiert seien. Auch auf Friedenskonferenzen wie in Genf seien Frauen unterrepräsentiert. Es gebe keinen politischen Willen des Systems, Frauen in die politische Arena zu bringen. Zudem dürften Frauen im Jemen ohne männliche Begleitung eigentlich nicht einmal auf die Straße gehen. Auch in den Diskussionen um eine politische Lösung in Stockholm seien keine Frauen anwesend gewesen. Frauen müssten aber präsent sein, wenn Gesetze entwickelt würden, um Frauen beizustehen.

Sie erklärte, der Jemen liege im Süden der arabischen Halbinsel, an der Grenze zu Saudi-Arabien. Das mache den Jemen zu einem geostrategisch wichtigen Ort. Der Jemen befinde sich seit 8 Jahren im Krieg, daher sei die Situation der Menschenrechte sehr schwierig. 20 Millionen Menschen seien durch diesen Krieg bedroht. Es gebe vier Millionen Geflüchtete, der größte Teil Kinder und Frauen.

Anjila dankte für das Zusammenkommen aller Frauen auf der Konferenz und erklärte, wie schwierig es sei, im Jemen ein- und auszureisen. Die Frauenrevolution werde immer weitergehen.

Marta Dillon von Ni Una Menos aus Argentinien erklärte, dass die Bewegung sich durch den Aufruf zum politischen Streik 2016 gegründet habe und dass sie sich in die Tradition der Mütter der Plaza de Mayo und all der während der Diktatur in Argentinien kämpfenden Frauen stelle. Der Streik diente dabei als Werkzeug, um die Ausbeutung von Frauen, ihrer Körper, ihrer Fürsorge und ihrer sonstigen Arbeit sichtbar zu machen. Der Streik verdeutlichte, dass Frauen durch das kapitalistische Patriarchat ihrer Lebenszeit beraubt werden. Die internationale Frauenkonferenz sei ein Beispiel dafür, sich diese Zeit zurückzuholen. Der Streik sei ein Mittel, um das Netz zwischen Kämpfen weiterzuspinnen, ebenso wie die Einladung der kurdischen Frauenbewegung zu der Konferenz.

Deniz Abukan von der TJA3 benannte das System des Co-Vorsitzes als wichtiges strategisches Mittel und große Bereicherung. Frauen wurden in der Türkei vor Gericht gestellt und verurteilt, weil sie das Co-Vorsitzsystem verteidigt haben.

Asya Abdullah, Co-Vorsitzende der PYD4, aus Rojava betonte genauso wie die Vertreterin der ezidischen Frauen-Verteidigungseinheiten YJŞ5, Heza Şingal, die live zugeschaltet war, dass »wir einen gemeinsamen Kampf auf der ganzen Welt gegen die IS-Banden sowie die Besatzer führen müssen«.

Als Mitglied der Pueblos en Camino stellte Vilma Rocío Almendra Quiguanás aus Cauca, eine strategische Initiative vor, die versuche, Verbindungen bei gleichzeitiger Autonomie zwischen Personen und Prozessen zu weben, wie z. B. mit der »Fabrica of Communication and External Relations for Truth und Life«, deren Gründerin und Aktive sie ebenfalls ist.

Havin Güneşer, Mitglied der Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan«, stellte die strategische Frage nach einem Frauenkonföderalismus, der auf Pluralismus basiert und sich gegen interne Vorherrschaft richtet. Sie sagte, während auf der Bühne eine Solidaritätsperformance mit Bildern von gefangenen Frauen in Iran gezeigt wurde: 

»Heute ist der 50. Tag nach der Ermordung von Jina Amini. Wir sind Zeuginnen einer eindrucksvollen Revolution. Es kann nicht verheimlicht werden, dass es in Kurdistan und in Belutschistan große Kämpfe gibt. Zeigt Solidarität mit den Frauen, die im Gefängnis sind!« Es sei wichtig, den Fokus auf das revolutionäre Potenzial zu legen, um das Leben mit der Erde zu verteidigen. »Unsere Freiheit ist die Befreiung des Lebens«.

Haskar Kırmızıgül, Mitglied des Jineolojî-Komitees, nannte gegenseitiges Zuhören und ein Zulassen unterschiedlicher Perspektiven als elementar, um Verbindungen zu schaffen und voneinander zu lernen. Frauenrevolution sei nicht nur ein Moment, sondern ein kontinuierlicher Prozess und keineswegs eine Utopie. Für Kämpfe gegen Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus brauche es eine Einheit der Frauen mit Respekt und gemeinsamen Prinzipien, ohne sich zentralistisch zu organisieren.

Montes Jovita Mataro, Aktivistin der Internationalen Frauenallianz und der Organisation Gabriela von den Philippinen, wirkt in verschiedenen Graswurzelbewegungen mit. Sie betonte die internationale Solidarität der Arbeiter:innenklasse wie auch die der Frauen. Als wichtiges strategisches Mittel wies sie auf ihre seit 1984 andauernde Forschung und Analyse der Situation von Frauen hin. Sie bewertete, dass sich der Neoliberalismus seit den 1970er Jahren immer weiter verschärfe. Die Arbeiter:innenklasse werde weltweit immer stärker ausgebeutet. Während der Pandemie sei das Gesundheitssystem immer weiter privatisiert worden. All das seien Ausformungen des neoliberalen Kapitalismus.

Boushra Ali von der demokratischen Frauenkoalition der MENA-Region (Middle East and North Africa) machte mit ihrer Darstellung eines Frauenzentrums im Libanon eine großartige Arbeit sichtbar. Die Organisation erstreckt sich über 20 Verbände und Einrichtungen in elf Ländern.

Sie betonte, dass die Probleme mit Fundamentalismus in den Regionen des Mittleren Ostens und Afrikas sehr ähnlich seien und dass auf dieser Basis auf vielen Treffen konkrete gemeinsame Prinzipien entwickelt wurden, um Faschismus und Kolonialismus zu bekämpfen.

Mit ihrer Bewertung der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte machte Rua Sommer von »Gemeinsam Kämpfen« ein weiteres strategisches Mittel deutlich. Es gelte dabei die patriarchale Geschichtsschreibung zu überwinden. Als zu beherzigende Prinzipien formulierte sie die Mahnungen: »Wir müssen lernen zu nehmen, ohne zu stehlen, zu säen, ohne zu zerstören, zu hoffen, ohne zu romantisieren, gemeinsam zu kämpfen, ohne die Vielfalt zu verlieren.«

Irem Gerkuş von »Frauen sind gemeinsam stark« aus der Türkei zeigte auf, dass eine kontinuierliche Zusammenarbeit von sehr unterschiedlichen Frauen möglich ist.

Seit 2006 organisierten sich LGBTIQ+ und Frauen aus der kurdischen Bewegung mit allen unterdrückten Frauen gegen Feminizide und generell gegen Gewalt an Frauen. Sie schufen das Turkey Women‘s Meeting, mithilfe dessen ein Fahrplan für die nächsten Jahre erstellt wurde. Trotz aller Differenzen sei ein Kommunikationsnetzwerk entstanden, das sich auf Feminizid konzentriere. Ebenso gebe es auch Proteste für ein Recht auf Unterhalt, Solidarität mit Arbeiter:innen und gegen die Festnahme kurdischer Politiker:innen sowie gegen die staatliche Gewalt in den Gefängnissen. In ihrer Plattform gebe es keine Hierarchien, auch nicht im Sinne von Zentrum und Peripherie.

Irem Gelkuş berichtete, dass es in der aktuellen Situation schon äußerst schwer sei, eine einfache Presseerklärung abzugeben. Der Staat versuche, die digitalen Medien zu beschränken, aus der offiziellen Presse seien sie sowieso längst ausgeschlossen. Ein wichtiges Beispiel für das Ausmaß der Repression seien all die kurdischen Journalist:innen, die in letzter Zeit verhaftet wurden.

Alle Frauen und LGBTIQ+ in der Türkei seien unter starkem Druck, hielt sie am Ende fest und erklärte: »Wir sind egalitär und demokratisch. Die Teilnahme an der Konferenz ist für uns sehr bedeutsam, ein sehr kraftvoller Platz, um den Kampf von Frauen zu spüren.«

Der letzten Rednerin auf der Konferenz soll hier besonders viel Platz eingeräumt werden: Ñizol Lonko Juana Calfunao von den Mapuche-Indigenen aus der von Chile besetzten Gemeinde Cunco in Araucanía war die letzte Rednerin der Sitzung und der Konferenz. Zunächst übermittelte sie Grüße, Solidarität und Liebe vom Volk der Mapuche an die Konferenz, die ihr viel Kraft gebe, da der Kampf von Frauen aus vielen Teilen der Welt spürbar sei. Sie hoffe, dass die vielen Gefangenen, die Sand im Getriebe des Systems seien, bald frei kommen würden.

Das Volk der Mapuche habe eine 1400 Jahre alte Geschichte und sei damit älter als alle Kolonisatoren auf dem Land, das heute zum Staat Chile gezählt wird. Erst sie hätten die Unterdrückung der Frauen installiert. Schon mehr als 150 Jahre lebten die Mapuche nun unter Besatzung, wurden als Ungläubige bekämpft und heute als Terrorist:innen verfolgt. Teil ihres Selbstverständnisses hingegen sei es, selbst Teil der Erde zu sein, statt diese auszubeuten, auf ihr und mit ihr zu leben. Die Mapuche verteidigten die ihnen zustehenden Rechte an dem Land, das ihnen ihre Vorfahren hinterlassen haben. Somit sei das Land zentral für das Überleben der Mapuche.

Sie beschrieb das Aufwachsen in gewaltvollen Verhältnissen: Die Militärpolizei hatte sie als Kind in einen Fluss geworfen, ihrer Mutter die Haare abgeschnitten, ihr den Schmuck geraubt und sie vor ihren Augen vergewaltigt. Man warf sie als Kind mit ihrer Mutter ins Gefängnis. Seither versprach sie, ihr Leben für ihr Volk einzusetzen.

»Die Kinder der Kolonisatoren sind heute die Eigentümer:innen des Landes, das den Mapuche gehört. Und plötzlich sind wir Kriminelle auf unserem eigenen Land. Die Grenzen unseres Gebietes wurden vom Staat verschoben und dort wurden Fabriken und Minen eröffnet«, so Ñizol Lonko Juana Calfunao. Die Frauen der Mapuche kämpften täglich ums Überleben und dafür, dass die Natur überleben könne. »Wir kennen unsere Geschichte, unseren Schmerz, haben gelitten, kennen Hunger und langjährige Gefangenschaft. Meine Mutter zeigte mir, wie ich gesund bleibe, wie ich atmen kann«, fuhr sie fort. »Viele Organisationen möchten über uns bestimmen, auch eine neue Verfassung sollte für uns geschrieben werden. Doch ich bin keine Chilenin und keine Argentinierin, ich bin Mapuche. Die verfassungsgebende Versammlung wollte uns damit nur legal unser Land wegnehmen. Manche Mapuche waren bereit, unser Land zu verkaufen, doch wir Frauen waren schlauer«, so Ñizol Lonko Juana Calfunao.

Es gebe viele Schwestern, die Ökologinnen seien, auch Feministinnen. »Viele wollen Fotos von uns machen, aber wir sind doch keine Ausstellungsstücke«, beschwerte sie sich über die Respektlosigkeit gegenüber den Mapuche, um gleich darauf wie folgt fortzufahren: »Schwestern, wir können Allianzen schmieden.«

Auch die EU wollte die Mapuche-Organisationen als terroristisch einstufen. »Doch wir sind kein Volk, das Gewalt ausübt. Wir haben 150 Jahre mit dem chilenischen Staat gelebt. Hätten wir den gewaltsamen Weg eingeschlagen, wäre von uns nicht viel übrig geblieben«, fuhr sie fort. Ihre Bitte an die Konferenzteilnehmerinnen: »Bitte schreibt viele Postkarten an die Botschaften und in die Gefängnisse und fordert: Gebt das Land der Mapuche an die Mapuche zurück!«

Im Saal wurde daraufhin die Parole »Las tierras robadas serán recuperadas!« – »Das gestohlene Land wird zurückgeholt!« angestimmt. »Vielleicht werde ich verhaftet, wenn ich zurückkehre, dann brauche ich eure Solidarität. Schon mehrmals wurde mein Haus niedergebrannt«, berichtete Calfunao. Ihre Abschlussworte richteten sich an die gesamte Konferenz:

»Die ganze Welt soll die Natur verteidigen!«

Insbesondere kurdische Zuhörerinnen waren von ihrem Beitrag sichtlich berührt, was manche im Anschluss am Saal-Mikrofon deutlich machten.

Link zur 36seitigen Broschüre zum Nachlesen: https://womenweavingfuture.org/onewebmedia/Brosch%C3%BCre%20WFK%202022.pdf

Aufruf zum Crowdfunding unter: https://womenweavingfuture.org/

Fußnoten:

1 - https://anfdeutsch.com/frauen/die-utopie-wird-direkt-umgesetzt-7058

2 - Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans

3 - TJA - Tevgera Jinên Azad - Bewegung Freier Frauen

4 - PYD - Partiya Yekîtiya Demokratîk - Partei der Demokratischen Einheit

5 - YJŞ - Yekîneyên Jinên Şengalê – Fraueneinheiten Şengals


 Kurdistan Report 225 | Januar/Februar 2023