Die Listung der PKK als »Terroristische Vereinigung« ist ein Angriff auf die Menschlichkeit

Kampf gegen die EU-Liste heißt kämpfen für Gerechtigkeit

Zübeyir Aydar, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK)


Die Verbote gegen die Befreiungsbewegung Kurdistans in den letzten 30 Jahren haben den türkischen Staat in seinem Krieg gegen die Kurd:innen gestärkt. Gegenüber dem kurdischen Volk ist dies nichts anderes als pure Ungerechtigkeit. Es ist offensichtlich, dass diese Verbote nur mit vorgeschobenem Recht zu tun haben. Es geht hier eindeutig um eine politische Haltung.

Bis es zu der Aufnahme der PKK in die EU-Liste (der Terroristischen Organisationen) kam, wurde die Auflistung zunächst schrittweise in den EU Ländern gemacht. Angefangen hat es in Deutschland und Frankreich. Vor der rechtlichen Verbotsverfügung begann Deutschland bereits in den 80ern mit der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung. Es folgten zahlreiche Festnahmen in diesen Jahren von kurdischen Politiker:innen in Deutschland sowie in Frankreich.

Die Diskreditierung der PKK als terroristisch sowie die Aufnahme in die Terrorliste fand 1997 allerdings durch die USA statt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schossen Listen gegen den sogenannten Terrorismus wie Pilze aus dem Boden. Nach den USA hat Großbritannien als zweites Land die PKK 2001 in die Liste aufgenommen. Außerdem hat Großbritannien veranlasst, im Mai 2002 die PKK in die EU-Liste aufzunehmen. Diesen Listenaufnahmen folgten zahlreiche bilaterale zwischenstaatliche Verhandlungen, die deren jeweiligen Interessen entsprachen. Dies verdeutlicht, dass die Auflistung der PKK als »Terroristische Organisation« infolge politischer Entscheidungen zustande gekommen ist. Die Argumentation wurde immer wieder aktualisiert, vertieft und bis in unsere Tage beibehalten.

In neuester Zeit werden durch die USA noch andere Schritte eingeleitet. So haben die USA 2009 fünf hochrangige Politiker der kurdischen Bewegung in die Liste der Betäubungsmittelvergehen aufgenommen. 2017 haben die USA Kopfgelder auf 3 Politiker der kurdischen Freiheitsbewegung ausgesetzt. Erst vor kurzem wurde eine neue Liste aufgedeckt, in der Namen von Vertreter:innen der kurdischen Bewegung vorkommen, für die ein Flugverbot vorgesehen ist. Die Politik mit Listen hat das Ziel, die kurdische Bewegung zu schwächen und zu zerschlagen. Die Entführung von Abdullah Öcalan 1999 war der Höhepunkt dieses Vorgehens, das mit immer neuen Mitteln vertieft und ausgeweitet wurde.

In diesem Februar sind wir im 24. Jahr der Entführung von Öcalan, die wir als Jahrhundertintrige und Komplott bezeichnen. Sowohl die Entführung als auch die gesamten Schritte der Kriminalisierung sind Teile eines großen Puzzles und stehen in direktem Zusammenhang mit den Verhandlungen, die mit dem türkischen Staat geführt werden. Alle diese genannten Schritte gegen die kurdische Freiheitsbewegung sind nichts anderes als Zugeständnisse und Geschenke an den türkischen Staat.

Gegen die Staaten, die an der Entführung von Öcalan direkt beteiligt waren, aber auch gegen alle Staaten, die uns auf ihren Listen aufführen, führen wir einen fortwährenden Kampf, sowohl auf politischer als auch auf juristischer Ebene.

Rechtlich führen wir in fast allen Ländern Prozesse gegen die Listung. In Belgien zum Beispiel wurde 2010 gegen 36 von uns ein Prozess eröffnet, nachdem Razzien gegen zahlreiche kurdische Institutionen stattgefunden hatten. Nach langjährigem hartnäckigem Kampf konnten wir auf juristischer Ebene erreichen, dass das höchste belgische Gericht beschloss, die PKK sei keine terroristische Organisation, sondern eine Konfliktpartei in einem Krieg. In unseren Prozessen in den verschiedenen Ländern gibt es auch kleine Erfolge. Jedoch ist der Gegner bemüht, permanent politischen Einfluss auf die Gerichtsentscheidungen zu nehmen und kämpft auch hier gegen uns.

2014 hatten wir nach EU-Verwaltungsrecht vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen die EU-Liste geklagt. Da die EU-Liste alle 6 Monate aktualisiert wird, müssen wir auch entsprechend vorgehen. Insgesamt ging es um vier umfangreiche Verfahren. Im Laufe der Zeit wurden zwei dieser Akten vereint. Die zwei Gerichtsentscheidungen wurden am 30. November und am 14. Dezember vergangenen Jahres gefällt. Die Argumentation des Gerichts genauebetrachtet offenbart, dass die Richter:innen bei ihren Entscheidungen große Rücksicht auf politische Interventionen genommen haben. Denn dasselbe Gericht hatte bei denselben Argumentationen 2018 eine Entscheidung zu unseren Gunsten getroffen. Am 15. November 2018 hatte das Gericht der Verteidigung – also uns – gesagt, dass alle Argumente und Fakten, die wir vorgebracht haben, eindeutig zeigen, dass die PKK keine terroristische Organisation sei und dass die EU die PKK nicht als solche bezeichnen dürfe und sie aus der Liste entfernen müsse. Der Rat der EU hat gegen diesen Beschluss geklagt. Daher wurde der Prozess schließlich vor der höchsten Gerichtsinstanz verhandelt. Während der Verhandlungen wurde deutlich, dass die EU-Vertreter:innen tatsächlich weder argumentativ noch faktisch Handfestes vorlegen konnten. Alle, die bei diesen Verhandlungen anwesend waren, können bezeugen, dass dass Recht auf unserer Seite war. Jedoch traf das Gericht eine Entscheidung, mit der wir so nicht gerechnet hatten. Es war eine sehr schwerwiegende Entscheidung. Der Beschluss lautete dann, dass die Listung für das Jahr 2014 nicht rechtens war, aber alle anderen Listungen der nachfolgenden Jahre rechtmäßig gewesen seien. Auch hiergegen haben wir Widerspruch eingelegt.

Die erschreckende Haltung des Gerichts war, dass es vertreten hat, dass, egal wie ein Staat handele oder wie wie auch immer der Hintergrund sei, ein nichtstaatlicher Akteur gegen den Staat keine Waffen einsetzen dürfe. Dies sei ein Straftatbestand und Terrorismus. Im Klartext war das Resultat, dass das Gericht in keiner Hinsicht die Methoden des türkischen Staates gegen die Kurd:innen bewertet hat. Auch hat sich das Gericht überhaupt nicht die Mühe gemacht, auf das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes einzugehen. Das Gericht hat alle Straftaten des türkischen Staates, seine Unterdrückungs- und Assimilationspolitik, sowie die gesamte Strategie zur ethnischen Säuberung gegen die Kurd:innen nicht thematisiert. Auch hat das Gericht den Einsatz der C-Waffen, die Schändung von Leichen, Folter und andere Straftaten des türkischen Staates nicht zur Kenntnis genommen. Die Logik hinter dem Gerichtsbeschluss war eindeutig: der türkische Staat darf alles machen, da er ein Staat ist, und die Kurden, die sich dagegen verteidigen, sind terroristisch. Entsprechend der Definition heißt Terrorismus für das Gericht: wenn zwei Personen zusammen kommen, sind sie eine Organisation und wenn diese dann zur Waffe greifen, sind sie Terrorist:innen! Dieses Bild zeigt deutlich, dass die Art und Weise der Debatte, die Argumentation und die folgende Entscheidung kaum etwas mit Recht zu tun haben.

Meine persönliche Meinung ist, dass das Gericht sich an den von der EU vorgegebenen politischen Rahmen gehalten hat. Daher hat das alles nichts mit Recht und Gerechtigkeit und Ethik des Rechtswesens zu tun, sondern ist eine Folge des politischen Kalküls. In unserer Verteidigung haben wir dargelegt, dass die Kurd:innen einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führen und dass es hierfür unzählige Gründe gibt. Es muss daher gefragt werden, warum denn dieses Volk bewaffneten Widerstand leistet und welche Hintergründe dieser Konflikt hat. Wir haben unsere Verteidigung auf das Existenzrecht und das Recht zur Selbstbestimmung des kurdischen Volkes sowie das Recht auf die Pflege von Kultur, Sprache und Traditionen gesetzt. Das Gericht müsste all dies berücksichtigen. Sie sind aber davon ausgegangen, dass es sich bei der Türkei um einen demokratischen und freien Staat handelt, der unproblematisch sei. Als ob der türkische Staat ein Staat wäre, in dem man sich frei politisch artikulieren könnte. Es entstand das Bild, als ob wir Kurd:innen aus Langeweile einen Widerstandskampf angefangen hätten. Interessant war bei der letzten Entscheidung, dass sich das Gericht auf die Verbotsbegründung von Großbritannien bezog. Dabei ist Großbritannien kein EU-Mitglied mehr. Das Gericht ging zum Beispiel nicht auf die Verbotsbegründungen der USA ein, sondern nahm die von Großbritannien zur Grundlage. Ohnehin fehlt auch der britischen Argumentation jegliche juristische Grundlage; sie ist ein purer Akt der Ungerechtigkeit.

Aus unserer Sicht ist der letzte Beschluss des EU-Gerichts in Luxemburg ohne Grundlage. Vielmehr hat das Gericht die politischen Interessen der EU-Staaten mit dem türkischen Staat als Ausgangspunkt genommen. Die Tatsache, dass die Internationale Koalition gemeinsam mit der PKK den IS als terroristische Organisation bekämpft hat, zeigt sehr deutlich die Doppelmoral und die Tatsache, dass hinter den rechtlichen Beschlüssen politische Ambitionen stecken. In der Internationalen Koalition befinden sich die EU-Staaten, die USA und Großbritannien. Wenn Politik derart prinzipienlos pragmatisch ist, dann wird sicherlich der rechtliche Mantel, mit dem man sie deckt, auch nicht auf dem Boden der Gerechtigkeit sein.

Unser Kampf geht weiter. Gegen die Aktualisierung der EU-Liste alle 6 Monate legen wir dann auch alle 6 Monate Widerspruch ein. Wir werden für unser Recht kämpfen, bis das internationale Recht auf dem Boden der Gerechtigkeit Fuß fasst.

 


 Kurdistan Report 226 | März/April 2023