Erfahrungen eines Kriegsverletzten im Kampf gegen den »IS«

Ich will, dass ihr hier einen Sieg für uns davon tragt

Kawa Garzan, YPG-Kämpfer während der Befreiung Hesekês vom »IS«


Im Jahr 2014 hat sich Kawa Garzan mit einigen Freund:innen auf den Weg nach Rojava gemacht, um sich dort den Einheiten der YPG im Kampf gegen »IS« anzuschließen. Bald nach der Ankunft wurde seine Einheit nach Hesekê (arab. Al-Hassakah) geschickt, wo sie zunächst gegen Truppen des syrischen Regimes und dann gegen »IS« kämpften. Er beschreibt seine Erfahrungen von der Front, was ihm in der Zeit Kraft gab, aber auch wie Freund:innen neben ihm fielen und er selbst schließlich schwer verletzt wurde. Er entging der »IS«-Gefangenschaft, wurde von Freund:innen gerettet und widersetzte sich dem Tod mehrfach.

Als im Frühling des Jahres 2014 der Kampf um die Revolution in Rojava für eine Spannung in der gesamten Gesellschaft sorgte, haben sich viele Menschen aus allen Teilen Kurdistans und der Welt auf den Weg gemacht. So wie viele andere, habe auch ich mich mit einigen Freund:innen auf den Weg gemacht und wir haben die Grenze von Nordkurdistan nach Rojava überschritten. Es war ein unbeschreibliches Gefühl als wir dort ankamen. Es fühlte sich an, als wären wir wie neu geboren. Wie kleine Kinder sahen wir uns um und freuten uns darüber, endlich an dem Ort zu sein, von dem wir monatelang, jahrelang geträumt hatten. Die ungewohnte Situation am Ort der Revolution hat uns jeden Tag mit neuen Erfahrungen konfrontiert und uns den Krieg sowie das Leben neu verstehen gelehrt. Revolution – das war etwas ganz Neues für uns. Es war eine Revolution – im Nahen Osten gestartet, aber für die ganze Menschheit geschaffen. Vielleicht kann man sagen, dass wir in dieser Zeit die glücklichsten Menschen der Welt waren. Wir fühlten uns auf jeden Fall so. Denn wir standen vereint gegen einen unmenschlichen Feind, gegen den »IS«, und hatten es geschafft, das Gefühl von Ohnmacht, welches wir früher oft gehabt hatten, als wir aus der Ferne zusahen, zu überwinden. Wir standen an der vordersten Front und leisteten Widerstand, um die Revolution zu verteidigen und um ihre Werte zu verteidigen. Es waren diese Gedanken, Überzeugungen und Gefühle, die wohl nicht nur mich umtrieben, als wir den Boden der Selbstverwaltung betraten.

Als wir dort ankamen, wurden wir von den »Hevals« (zu dt. so viel wie »Freund:innen«, »Gefährt:innen« oder »Genoss:innen«) empfangen und sie führten uns in die Realität Rojavas ein. Sie erklärten uns, was die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen waren und zeigten uns, wie wir uns zu bewegen hatten und wie wir kämpfen würden. So dauerte es nicht lange, bis wir, unseren Fähigkeiten entsprechend, aufgeteilt wurden. Für mich bedeutete das, dass ich mich einer beweglichen Einheit anschloss. Wo auch immer der Krieg besonders intensiv war, dort waren wir. Wir kamen oft als Unterstützung an die Fronten, an denen die Hevals große Verluste hatten und schwer in Bedrängnis geraten waren. Es war also unsere Aufgabe, in die schwierigsten Situationen zu intervenieren und diese zu lösen. Dafür bewegten wir uns vor allem im weiten Gelände Rojavas.

Ich war noch sehr neu und hatte noch nicht so viel Erfahrung, als wir eines Abends gemeinsam am Feuer saßen und die Hevals von ihren Erfahrungen, was sie alles erlebt hatten, durch welche Höhen und Tiefen sie bereits gegangen waren, erzählten. Wir saugten alles in uns auf und wollten möglichst viel lernen, um uns auf das vorzubereiten, was uns alles erwarten würde. Als auf einmal zwei Hevals kamen und erklärten, dass das syrische Regime zwei unserer Freund:innen gefangen genommen und beide in Haft ermordet hatte. Das hatte zu Konflikten geführt aus denen ein Gefecht entstand, welches nun drohte, sich zu einer größeren Auseinandersetzung zu entwickeln. Wir machten uns also sofort bereit und auf den Weg, um zu der entstandenen Front bei Hesekê zu gehen. Es sollte zu meinem ersten Gefecht gegen Truppen des syrischen Regimes werden.

Das Besondere für mich war, dass ich zum ersten mal in einer Stadt kämpfte. Wir befanden uns bei Hesekê und man muss dazu sagen, dass die Stadt Hesekê in dieser Zeit geteilt war. Einige Stadtteile standen unter unserer Kontrolle, andere unter der Kontrolle der Regimekräfte und allgemein war die Stadt von »IS«-Kämpfern umstellt und die Umgebung von ihnen besetzt. Die Gefechte waren schon in vollem Gange, als wir die Hevals erreichten. Auch unser Eintreffen sorgte nicht dafür, dass es zu Feuerpausen kam. Während wir bisher im weiten Gelände gekämpft hatten und auf Methoden des sog. Kleinkrieges zurückgegriffen hatten, war ich nun mit einer komplett neuen Situation konfrontiert. Ich wusste nicht, wie man sich in und zwischen den Häusern richtig bewegt, wie man sich schützt oder wie man strategisch angriff. Ich achtete also sehr darauf, wie sich die Hevals um mich herum bewegten und versuchte, während der Gefechte von ihnen zu lernen. Ich versuchte ihre Bewegungsabläufe zu analysieren und selbst direkt anzuwenden.

Die Auseinandersetzung, in die wir uns begeben hatten, sollte insgesamt sieben Tage dauern. Es waren sieben Tage und Nächte, in denen die Waffen nie schwiegen. Ständig hörte man das Geräusch von Schüssen und Explosionen. Es war kein wirklicher Raum da, um sich auszutauschen und alle waren sehr mit sich und ihren Gedanken beschäftigt. Auch ich träumte immer wieder vor mich hin. Vor allem während wir selbst angriffen, hatte ich oft die Vorstellung im Kopf, dass wir es schaffen könnten, an einem Tag ganz Rojava zu befreien und die Söldner und Dschihadisten aus dem Land zu jagen. Wenn unsere Waffen jedoch schwiegen und einer der seltenen Momente der kurzen Stille eintrat, wurde mir unwohl. In diesen Momenten hatte ich das Gefühl von Ohnmacht, als würden wir einfach nur hier sitzen, während überall Hevals ihr Leben ließen und den Menschen in ganz Rojava großes Leid zugefügt würde, während wir tatenlos blieben. Die Stille war wie ein großer Schmerz für mich.

Krieg bringt eine große psychische Belastung mit sich und bei mir sorgte das dafür, dass ich oft ins Träumen geriet. Nach ein paar Tagen, ich saß gerade in meiner Stellung und dachte darüber nach, was sein könnte, wurde ich von der Stimme eines Soldaten aus meinen Gedanken gerissen. Er war einer der Soldaten, die sehr nahe an unsere Stellungen gekommen waren und rief einem seiner Kameraden, der verletzt zu Boden gegangen war, etwas auf Farsî zu. Das war für mich das erste Mal, dass ich die, von den Hevals oft angesprochene, Zusammenarbeit zwischen dem iranischen und dem syrischen Regime mit eigenen Augen sah und welche Rolle sie in der Bekämpfung der Revolution spielte. Der syrische Staat hatte im Iran nach Hilfe gesucht und sie dort gefunden. Er sendete sowohl Material als auch Kämpfer zur Unterstützung. Dieser Moment war ein großer Schmerz für mich, denn ich verstand zum ersten Mal, wie umfangreich die Staaten zusammenarbeiten, wenn es um die Unterdrückung der kurdischen Gesellschaft geht. Dafür schienen sie jegliche Grenzen und Gräben zu überwinden. Es gelang uns, den Kampf immer mehr zu unseren Gunsten zu drehen. Wir nahmen immer mehr Stellungen des Feindes ein und drängten ihn zurück, bis das Regime dazu gezwungen war, einem Waffenstillstand in dem Gebiet zuzustimmen.

Nach sieben Tagen des intensivsten Kampfes, war es uns also gelungen, sowohl die Kräfte des syrischen als auch des iranischen Regimes in Hesekê aufzureiben. Die Hevals riefen uns alle über Funk an und sagten uns: »Heval, beendet die Kämpfe. Sie haben einem Waffenstillstand zugestimmt. Greift sie nicht mehr an, aber passt auf euch auf. Falls ihr angegriffen werdet, leistet Widerstand, verteidigt euch, aber startet keine Offensiven. Falls jemand den Waffenstillstand brechen sollte, wird die Person dafür verantwortlich gemacht.« So kamen wir dort zur Ruhe und es dauerte nicht lange, bis wir uns wieder erholt hatten und in unseren »Normalzustand« zurückkehrten. Die Menschen von Hesekê empfingen uns mit offenen Armen und kamen mit sehr großer Begeisterung auf uns zu. Wir gaben einander Hoffnung und man konnte förmlich sehen, wie ihr Vertrauen in uns täglich wuchs. So bauten wir die Sicherheitsvorkehrungen der Stadt langsam aus und befestigten die Straßen und waren dabei angetrieben von den Menschen Hesekês, die uns die Kraft und Moral dazu gaben.

Nachdem sich das Verhältnis zwischen uns und dem Regime bei Hesekê stabilisiert hatte und sich dort keine neuen Gefechte anbahnten, war für uns die Zeit gekommen, den Ort zu wechseln. Nachdem wir uns erholt hatten, gingen wir also in die Gebiete rund um Til Temir. Nach dem Angriff auf Şengal (arab. Sindschar) und den Massakern, die der »IS« an der êzidischen Bevölkerung angerichtet hatte, konnte niemand von uns noch still sitzen. Auch der parallel dazu stattfindende Widerstand der Hevals in Kobanê sorgte dafür, dass wir es nicht aushielten, weiterhin tatenlos dazusitzen und die Geschehnisse auf den Fernsehbildschirmen zu verfolgen. Wir wollten lieber gestern als heute losziehen und die Hevals unterstützen und ich muss dazu sagen, dass ein zentrales Motiv, welches mich antrieb, Rache war. Viele geliebte Menschen hatte ich im Kampf verloren und trotzdem ging das Leid der kurdischen Gesellschaft weiter. Ich wollte nicht einfach nur zusehen, wie islamistische Banden und Söldner in unser Land eindrangen. So sah ich es als großes Glück und freute mich sehr, als uns mitgeteilt wurde, dass wir uns in Bewegung setzen sollten. Wir kamen zusammen und diskutierten über die kommende Offensive, wobei ich vor Freude nicht wusste, was ich mit meiner ganzen frei gesetzten Energie anfangen sollte. Ich war so unruhig, dass jede Minute, die vor Beginn unserer Offensive verstrich, sich so anfühlte, als ob es Stunden, gar Tage wären. Mein Blick war die ganze Zeit nur noch auf die schlichte, an der Wand hängende Uhr gerichtet. Doch irgendwann erlöste mich die Zeit dann doch und es ging los.

Unser Ziel war das Dorf Til Nasir, welches noch zu Hesekê gehört und gerade den vordersten Frontverlauf markierte. Das Dorf hatte eine sehr strategische Lage, es war wie das Tor zu Hesekê. Wer es kontrollierte, dem wäre es ein Leichtes, in die Stadt einzufallen. Das war uns genauso klar, wie den Kommandeuren des »IS«, deswegen starteten sie immer wieder neue Angriffswellen. Als wir das Dorf erreichten war uns schnell klar, dass es, wie so viele Male zuvor, keine einfache Auseinandersetzung werden würde. Kaum angekommen, standen wir unter starkem Beschuss, sodass wir 15, die wir als Verstärkung kamen, uns aufteilten und mehrere Stellungen im Dorf bezogen. Der Feind bereitete sich gerade auf einen starken Angriff vor und uns war klar, dass wenn wir uns eingraben und uns lediglich verteidigen würden, wir schlichtweg überrannt worden wären. Deswegen stellten wir kleine Teams zusammen, um unsererseits Angriffe auf die Stellungen des »IS« vorzunehmen.

Auch ich war in einem dieser Teams. Mit größter Eile trafen wir die notwendigen Absprachen, schlichen uns an die feindlichen Stellungen heran und konnten ein großes Gebäude ausmachen, welches eine zentrale Rolle für diesen Frontabschnitt des »IS« darstellte. Es war ein hohes Gebäude mit mehreren Stockwerken und war stark befestigt. Wir konnten sehen, dass sie auf allen Ebenen Schießscharten in die Wände geschlagen sowie Sandsäcke aufgeschüttet hatten und auch allgemein sehr vorbereitet auf einen Angriff aussahen. Wir spähten das Gebäude trotzdem aus, erstellten einen Plan, informierten die Hevals, die zurückgeblieben waren, und warteten auf den Schutz der Dunkelheit. Wir näherten uns dem Gebäude so weit es ging und gingen noch einmal durch, was wir besprochen hatten. Mehrere Posten standen am Eingangsbereich, die sich jedoch verhältnismäßig einfach ausschalten ließen. Wir mussten möglichst schnell die Männer rund um den Eingang außer Gefecht setzen und in das Gebäude eindringen, denn sobald wir den ersten Stock einnehmen würden, könnten wir Stockwerk für Stockwerk vorrücken und das Gebäude säubern. Würden wir jedoch in den ersten Stock eindringen und hätten feindliche Kräfte rund um das Gebäude übersehen, gäbe es für uns kein Entkommen. Wir könnten vielleicht einige »IS«-Kämpfer töten, jedoch würden sie uns dann in die Zange nehmen und der Reihe nach töten. Es war ein riskanter Angriff, bei dem viel davon abhing, dass wir uns sehr auf das Wissen stützen mussten, das wir nach kurzem Ausspähen erhalten hatten und bei dem unser Timing und unsere Absprachen passen mussten.

Gleichzeitig flogen mehrere Granaten in Richtung des Hauses und es dauerte nur wenige Sekunden, bis wir uns den Weg in den ersten Stock freigekämpft hatten. Den ersten Schock überwunden, wurden wir nun hart angegriffen und es kam zu intensiven Gefechten. Trotzdem gelang es uns, den ersten Stock einzunehmen, ohne dass ein Heval von uns nennenswert verletzt wurde, was uns Kraft gab, weiterzugehen. Unser Plan war perfekt aufgegangen. So rückten wir langsam in den zweiten Stock vor. Jeweils zu zweit gingen wir von einem Raum zum nächsten. Einer von uns beiden immer in der offensiven, der andere immer in der defensiven Rolle. Der Feind leistete großen Widerstand und es verging keine Minute, ohne dass geschossen und Magazine gewechselt wurden. In dem Moment kam es darauf an, wer die eigenen Nerven und die eigene Ausrüstung besser unter Kontrolle hatte. Im zweiten Stock gab es zwei Räume, die einander gegenüber lagen. Die »IS«-Kämpfer hatten ein Loch in die Wand, die die beiden Räume trennte, geschlagen und eröffneten das Feuer, als zwei unserer Hevals den Raum betraten. Im letzten Moment konnten sie sich zurückreißen und schossen zurück. Es war eine verfahrene Situation, doch als wir dazu stießen, sahen wir, dass wir den anderen Raum umgehen konnten. Wir gaben unseren Hevals das Zeichen, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollten, während wir uns auf den Weg machten. Wir erreichten den Raum und sahen drei Kämpfer, die mit dem Rücken zu uns standen. Sie waren keine fünf Meter von uns entfernt und es wäre ein Leichtes gewesen, sie zu erschießen, doch kam uns das feige vor. Es wäre etwas, das sie an unsere Stelle bestimmt gemacht hätten, aber wir waren nicht wie sie. Wir sprachen uns kurz ab und entschieden, sie gefangen zu nehmen. Wir gingen davon aus, dass es für die anderen Kämpfer im Gebäude stark demoralisierend wäre zu sehen, dass sich ein paar von ihnen ergeben hatten und sie würden vielleicht ebenfalls die Waffen niederlegen. Also hoben wir unsere Waffen an, richteten sie auf die drei und riefen »Ergebt euch, wir töten euch nicht!«

Kaum hatten wir das gerufen, drehten sich die drei blitzschnell um und senkten ihre Waffen. Die Kugeln, die um sie herum einschlugen, schienen sie gar nicht zu interessieren, sie starrten uns entsetzt an und jegliches Blut war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie starrten uns an, ohne sich zu bewegen. Der Freund bei mir konnte im Gegensatz zu mir gut Arabisch und als er sah, dass sie keine Anstalten machten, sich zu bewegen noch die Waffen fallen zu lassen, schrie er sie an. Er erzählte mir später, was er ihnen ungefähr gesagt hatte: »Schaut, hätten wir euch töten wollen, hätten wir das längst machen können, niemanden hätte es gestört und ihr hättet nicht einmal gewusst wie euch geschieht. Doch wir wollen nicht so kämpfen. Wir wollen ehrenhaft kämpfen und wenn wir fallen, dann wollen wir ehrenhaft fallen. Wir geben euch die Chance, eure Waffen zu senken, dann wird euch nichts passieren.« Bevor sie wirklich zu realisieren schienen was geschah, legten sie ihre Waffen auf den Boden, nahmen ihre Hände auf den Kopf und ergaben sich. Wir fesselten sie und machten uns auf den Weg in den ersten Stock.

Dass wir die drei gefangen nehmen konnten, war für uns ein großer Erfolg und fühlte sich so an, als hätten wir das Gebäude schon so gut wie eingenommen. Als wir im ersten Stock ankamen, vernahmen wir ein Stöhnen aus einem der Räume. Ich lief sofort in das Zimmer und sah Heval Elî auf dem Boden liegen. Er gab merkwürdige Geräusche von sich, als ich mich ihm näherte. Er war offensichtlicherweise von einem Scharfschützen am Kopf getroffen worden. Er konnte kaum sprechen, aber als er mich sah, blitzte ein schmerzverzerrtes Grinsen über sein Gesicht und er presste gerade noch ein paar Wörter zwischen seinen Lippen hervor: »Gefallene…sind…un…unsterblich.« Er schloss die Augen. Ich sah ihn an und mir schoss Gänsehaut über den ganzen Körper. Noch vor zwanzig Minuten standen wir nebeneinander. Er konnte nicht mehr still halten und wollte unbedingt losstürmen. Egal wie oft ich ihm zurief, er solle warten, lieber langsam vorrücken, konnte ich ihn nicht aufhalten. Er warf sich förmlich in die Schlacht. Als er vor einem Zimmer stand und der Freund bei ihm noch nicht bereit war, meinte er: »Egal, ich schaffe das alleine«, und trat die Tür ein. Ich rief ihm noch nach, konnte ihm aber nicht zu Hilfe eilen, da wir selbst in ein Gefecht verwickelt waren. Er geriet in ein Kreuzfeuer und die »IS«-Kämpfer, die gehört hatten, wie ich ihm nachrief, nannten ihn beim Namen und riefen immer wieder: »Elî gib auf, Elî ergib dich!« Das haben sie häufig gemacht. Heval Elî antwortete nur indem er seinerseits immer wieder rief: »Es lebe der Widerstand der YPG!«

Jetzt lag Heval Elî vor mir. Er war in dem Zimmer gefallen und es lag bei mir, ihn nach draußen zu bringen. Ich brachte Heval Elîs Körper nach draußen zu den Hevals, die uns dort absicherten. Danach ging ich erneut hinein und wir brachten die gefangenen »IS«-Kämpfer nach draußen. Kurz nachdem ich erneut in das Gebäude gerannt war, wurde Heval Andok verwundet. Er war nah bei mir und ich konnte seine Stimme gut hören, als er mir zurief, dass er verletzt sei. Ich sah mir seine Wunden an, er war am Bein und an der Lunge verwundet worden, und versuchte, sie notdürftig zu verarzten. Da meinte er zu mir: »Ach lass sein, das bringt nichts. Ich werde die Verletzung sowieso nicht überleben.« Danach kam es mir erst recht nicht in den Sinn »es sein zu lassen«. Ich nahm ihn auf meinen Rücken, trug ihn nach unten und brachte ihn zu den Hevals vor der Tür, die sich weiter um ihn kümmerten.

Nachdem Heval Elî gefallen und Heval Andok verwundet waren, waren wir nur noch zu zehnt. Wir mussten die entstandenen Lücken füllen, denn der Kampf war noch nicht vorbei. Der Feind erfuhr, dass wir einen Gefallenen und einen Verwundeten hatten und nahm das zum Anlass, uns noch einmal härter anzugreifen. Ich kämpfte jetzt zusammen mit Hevala Rûken, einer arabischen Freundin. Einerseits kämpften wir gemeinsam, andererseits hielten wir uns mit Späßen bei Laune. Wir befanden uns zu zweit alleine in einem Stockwerk und als der Feind das erfuhr, konzentrierte er sein Feuer auf uns. Mal schossen sie auf uns, mal versuchten sie es mit Granaten. Wir konnten kaum mehr unsere Köpfe anheben. Sie wollten uns beide unbedingt töten. Da flog auf einmal eine Granate mitten in unseren Raum. Bei der Explosion traf ein Splitter Hevala Rûkens Kopf und zwei kleine Splitter trafen meinen Oberkörper. Das wollten sie nutzen, um den Raum zu stürmen, doch wir konnten sie erneut abwehren. Hevala Rûken kämpfte und redete ununterbrochen weiter, während ihr das Blut aus dem Kopf rann. Ihr ganzer Körper war schon voller Blut. Immer wieder musste sie es sich vom Gesicht und von ihrer Waffe wischen, aber sie wollte nicht auf mich hören, als ich ihr sagte, dass wir sie nach unten bringen müssten. Sie antwortete immer nur: »Solange hier noch ein Dschihadist im Gebäude ist, gehe ich nicht weg.« Ihr Zustand verschlechterte sich jedoch immer mehr. Sie hatte viel Blut verloren und sah irgendwann ein, dass es keinen Sinn ergab und entschied sich dazu, sich zurückzuziehen. Ich begleitete sie die ersten Stufen nach unten, da meinte sie zu mir: »Heval Kawa, kein Problem, ich schaffe es selbst bis nach unten, die Hevals werden mir helfen. Ich wollte mich eigentlich nicht zurückziehen, aber ich habe gesehen, dass ich dir zur Last gefallen wäre. Geh zurück und hilf den anderen. Ich will, dass ihr hier einen Sieg für uns davon tragt.«

Ich verabschiedete mich und kehrte nach oben zurück. Ich hatte nicht geahnt, dass das die letzten Worte Hevala Rûkens waren. Sie schaffte es bis nach unten und die Hevals brachten sie, nachdem sie bewusstlos zusammen gebrochen war, zu einem Auto, das sie ins Krankenhaus bringen sollte. Sie hatte jedoch schon zu viel Blut verloren und starb noch im Auto. Nachdem Hevala Rûken und Heval Elî gefallen waren, fehlte nicht mehr viel, bis wir das gesamte Gebäude gereinigt hätten. Da wurden Heval Mehemed und Heval Sîpan von einem schweren Maschinengewehr ins Visier genommen. Beide ließen auf der Stelle ihr Leben. Jetzt gab es für uns kein Zurück mehr. Nachdem die vier Hevals gefallen waren, war uns klar, dass wir uns erst zurückziehen würden, wenn wir das gesamte Gebäude eingenommen und sie gerächt hätten. Auch wenn sich die Gefechte noch hinzogen, gelang es uns, alle Dschihadisten zu töten und uns zurückzuziehen, ohne weitere Verluste oder Verwundete hinnehmen zu müssen.

Nach diesen Gefechten dauerte es eine Zeit, bis wir als Einheit wieder zusammengestellt und einsatzbereit waren. Dann jedoch ging es erneut in ein Dorf in der Umgebung Hesekês, nach Xerîta. Es war ein christliches Dorf, in dem sich zwei unserer Einheiten, unter anderem unsere, befanden. Der »IS« hatte im Vorfeld viele Informationen über unsere Positionen und Stellungen im Dorf gesammelt, doch uns gelang es ebenfalls, Informationen zu bekommen. So wussten wir, dass sie uns um vier Uhr in der Früh angreifen würden. Sie griffen uns aus mehreren Gründen heraus an. Zum einen da es sich um ein Dorf auf einer strategisch wichtigen Position handelte, noch dazu war neben dem Dorf ein Hügel, der einen massiven militärischen Vorteil bot. Zum anderen weil es in ihren Augen ein »Dorf der Ungläubigen« war. Der zentrale Grund war jedoch, dass kurz zuvor der »IS«-Emir, also einer ihrer hohen Führer, der Region getötet worden war und sie erfahren hatten, dass das eine von den Einheiten in Xerîta durchgeführte Aktion gewesen war. Es befand sich lediglich eine kleine Gruppe Hevals mit nur wenig Munition auf dem naheliegenden Hügel, deswegen entsendeten wir sofort nach Beginn des Gefechtes Heval Doxan mit einer Einheit dorthin. Ich kümmerte mich um die Koordination der Verteidigung des Dorfes und versuchte, Heval Rûbar rauszuholen. Heval Rûbar war ein Freund, der nur zufällig da war, um die Hevals vor Ort zu besuchen, deswegen kümmerte ich mich zunächst darum, ihn, ein paar Hevals und ein paar Zivilist:innen, die sich selbst nicht schützen konnten, zu evakuieren. Dann begab auch ich mich ins Gefecht.

Alle Hevals waren auf ihre Stellungen verteilt und der Feind griff sowohl uns als auch die Einheit von Heval Doxan auf dem Hügel ununterbrochen an. Es gelang uns lange, die Angriffe abzuwehren und den Feind immer wieder zurückzuwerfen, doch um 12 Uhr Mittag, nachdem die Gefechte bereits acht Stunden anhielten, kamen zwei mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge in rasender Geschwindigkeit auf den Hügel zu. Weder uns noch den Hevals auf dem Gipfel gelang es, sie rechtzeitig zu stoppen. Als sie oben angekommen waren, jagten sie sich in die Luft und töten damit Heval Doxan und die elf Hevals die bei ihm waren. So nahm der »IS« den Gipfel ein und griff das Dorf nunmehr aus allen Richtungen an. Wir versuchten, alle aus dem Dorf zu evakuieren, da es unmöglich geworden war, es zu halten und blieben nur noch zu viert zurück. So gingen die Gefechte noch zwei Stunden weiter, bis sie verstanden hatten, dass wir nur noch zu viert waren und uns vollends umzingelten. Nacheinander fielen die drei Hevals an meiner Seite und ich blieb als letzter zurück und mir wurde klar, dass es für mich kein Entkommen mehr gab. Ich sammelte die Waffen und Munition der drei ein und noch in ihrem Blut kniend schwor ich mir, dass ich für sie bis zuletzt kämpfen und mich nicht ergeben würde. Ich wollte bei ihnen bleiben und verschanzte mich mit ihnen. Es dauerte nicht lange, bis der Feind, da nur noch aus einer Waffe geschossen wurde, merkte, dass ich alleine war. Mit mehreren kamen sie auf mich zu, doch ich verteidigte mich. Auf einmal schüttelte es mich. Ich schaute neben mich und drehte mich um, doch da war niemand. Als ich wieder nach vorne schaute sah ich, dass mir Blut aus der Brust tropfte. Ich hob den Kopf und wollte schauen, wo der Feind stand, da schüttelte es mich erneut. Dieses Mal viel stärker, sodass ich zu Boden ging. Ich spürte einen starken Schmerz in meinem Bein, konnte nicht aufstehen und mir war klar, dass ich von mehreren Kugeln getroffen worden war. Ich zog das Tuch, welches ich mir um meinen Hals gebunden hatte, herunter und riss es in Streifen, um mich schnell zu verbinden. Ich wollte nicht, dass der Feind merkte, dass ich verwundet war, also erhob ich mich und feuerte zurück. Dabei traf mich die Kugel eines Scharfschützen und durchschlug meinen Mund. Insgesamt drei Kugeln hatten mich ins Bein, eine in die Brust und eine am Mund getroffen. Ich ging zu Boden und konnte meine Waffe nicht mehr halten. Stattdessen musste ich meine gesamte Energie zusammennehmen, um nicht einzuschlafen oder ohnmächtig zu werden.

Der Feind nahm das Dorf ein und war in Gefechten mit Hevals in der Umgebung des Dorfes verwickelt. Der »IS« wollte an die Leichen der Hevals und auch an mich, der ich mittlerweile komplett entkräftet am Boden lag und mit dem so süß scheinenden Schlaf zu kämpfen hatte. Mir war bewusst, was der »IS« mit Gefangenen tat, deswegen wollte ich lieber sterben, als lebendig in ihre Hände zu fallen. Der Kampf, den ich mittlerweile führte, war längst keiner mehr mit dem »IS«. Ich befand mich in einem intensiven Kampf zwischen Leben und Tod. Es fühlte sich an, als würden beide an mir zerren, mich förmlich zerreißen.

Zwischen mir und den Hevals außerhalb des Dorfes befand sich ein Graben. Ich kroch die zwei Stockwerke des Gebäudes nach unten und wollte den Graben überqueren, doch ich verlor meine Hoffnung, als ich unten angekommen, die Stimmen von »IS«-Kämpfern näher kommen hörte. Ich schleppte mich noch ein paar Meter und blieb neben einem Tank vor dem Haus liegen. Die »IS«-Kämpfer kamen zu mir. Als erstes schafften sie die Leichen der Hevals und ihre eigenen weg. Sie wurden fast verrückt, als sie sahen, dass sie so viele Verluste gegen unsere kleine Gruppe erlitten hatten. Mich hatten sie zunächst liegen lassen, doch nun traten sie auf mich ein, beleidigten mich und steckten ihre dreckigen Finger in meine offenen Wunden. Einer von ihnen beugte sich über mich und legte seine Finger an meinen Hals, um meinen Puls zu fühlen. Ich weiß nicht, was geschah, aber er erhob sich, trat noch einmal auf mich ein, sprach ein paar Wörter Arabisch zu den anderen und sie ließen mich zurück. Sie fingen an, die Leichen auf Autos zu heben und ich hatte große Angst, dass sie mich einfach dazulegen würden. Jedes Mal, wenn sich einer von ihnen näherte, dachte ich mir: »Jetzt bin ich dran, jetzt nehmen sie auch mich mit.« Ich lernte eine neue Form von Angst kennen, die ich nie zuvor gespürt hatte und die ich auch nie werde vergessen können.

So ließen sie mich nahezu zwei weitere Stunden liegen. Bis heute weiß ich nicht, was sie mit mir vorhatten. Wollten sie mich langsam sterben lassen? Wollten sie mich foltern? Dachten sie einfach, ich sei tot? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war mein Blutverlust bis dahin bereits immens, als erneut fünf von ihnen auf mich zukamen. Sie sprachen auf Arabisch miteinander und meine Versuche etwas zu verstehen, blieben ohne Erfolg, also versuchte ich, mich totzustellen. Da spürte ich, dass sie mit den Stäben ihrer Waffen in meinen Wunden bohrten und sie so von Neuem zum Bluten brachten. Am Schluss spürte ich, wie einer von ihnen seine Waffe auf mein Bein richtete. Er wartete einen Moment und drückte dann ab. Ich spürte so viel Schmerz, dass ich nur noch darauf wartete, dass er mich jede Sekunde umbringen würde. Einer von ihnen setzte sich auf meine Brust und ich war mir sicher, dass wenn er auch nur einen Moment länger sitzen geblieben wäre, das mein Ende gewesen wäre. Es war Dunkel geworden und sie ließen mit ein paar weiteren Tritten von mir ab. Ich überlegte, ob ich weiter kriechen sollte, doch bemerkte ich, dass der Graben vor mir so tief war, dass ich es zwar rein, aber nicht wieder raus schaffen würde. Nicht in dem Zustand. Ich entschied mich also dazu, abzuwarten und zu schauen, ob ich die Nacht überleben ­würde.

Die Nacht war für mich die Hölle und die Zeit schien nicht zu vergehen. Dafür fiel mir aber eine Möglichkeit ein, die ich komplett ausgeblendet hatte. Bevor ich verwundet wurde, hatte ich mein Telefon in meinen Schuh gesteckt. Ich wollte nicht, dass es und die darauf gespeicherten Infos in die Hände des Feindes fielen. Wie gehofft, hatten sie mich zwar grob durchsucht, aber nicht in meine Schuhe geschaut. In der Nacht konnte ich es nicht wagen, da die Nachtwache zu nah an mir stand, aber nun da der Tag anbrach, begann ich allmählich, mein Telefon zu holen. Die Hitze der Sonne, die immer mehr zunahm, linderte leicht meine Schmerzen und verschaffte mir den Vorteil, dass sich die »IS«-Kämpfer ins kühle Innere der Gebäude zurückzogen. Bis zum Mittag gelang es mir, das Telefon aus dem Schuh zu holen und es in die Hand zu nehmen. In der Zwischenzeit hatte die knallende Hitze auf meinen Wunden auch dafür gesorgt, dass langsam Fliegen und Mücken Interesse an mir fanden.

Ich hob das Telefon an und rief Heval Rûbar in Qamişlo an. Zunächst hob er nicht ab, da er fürchtete, dass das Telefon in die Hände des »IS« gefallen wäre. Als ich ihn jedoch mehrfach anrief, antwortete er schließlich doch. Ich brauchte einen Moment, doch dann brachte ich ein paar sehr leise Worte über die Lippen: »Heval Rûbar. Ich bin es Kawa.« Er war schockiert, denn das hatte er nicht erwartet: »Heval Kawa, wo bist du? Du lebst noch? Wir haben dich als gefallen gemeldet!« Mir schoss ungeahnte Energie durch meinen zerschossenen Körper, als ich seine Stimme hörte. Schneller und mutiger sagte ich: »Ich bin bei einem Tank hinter einem Haus. Der Feind denkt, glaube ich, ich sei tot. Sie haben alle Leichen weggeschafft, nur mich haben sie zurückgelassen.« Er antwortete direkt: »Wie lange hältst du noch durch? Wir kommen dich holen.« Ich betrachtete das, was von meinem Körper übrig geblieben war. Ich hatte keine Ahnung. Mich wunderte es sowieso, dass ich noch lebte. Ich sagte einfach, ohne zu wissen warum: »Zwei Stunden. So lange halte ich es noch aus.« Heval Rûbar sprach mit einer Stimme wie ein Kommandant zu mir und sagte: »Verstanden Heval Kawa. Versuch du nur zu überleben, wie setzen uns jetzt in Bewegung und holen dich da raus.«

Nach dem Telefonat dauerte es keine zehn Minuten, bis auf einmal das Geräusch von Schüssen um das Dorf massiv zunahm. Es dauerte nicht lang, da sah ich einen Freund auftauchen. Er konnte noch nicht zu mir, da sie sich noch im Gefecht befanden, doch es dauerte nicht mehr lang. Ich kroch an die Hauswand zurück und versuchte mich aufzurichten. Spätestens jetzt wusste der Feind, dass ich noch lebte, denn nun schlugen auch neben mir die Kugeln ein. Doch ich war geschützt an der Mauer. Der Freund erreichte mich und gab sofort per Funk durch: »Ich bin bei Heval Kawa. Er ist jetzt neben mir.« Die Hevals waren nur gekommen, um mich da rauszuholen, also nahmen sie mich auf die Schultern und wir zogen uns zurück.

Ich war dem Albtraum, den Händen des barbarischen »IS«, entkommen und war nun wieder unter Hevals. Es fühlte sich an, als wäre ich neu geboren. Die Hevals hoben mich sofort in ein Auto, doch bevor wir losfahren konnten, versammelten sich so viele um mich herum, dass ich kaum atmen konnte. Ich hatte nicht gedacht, auch nur einen von ihnen je wiederzusehen. Ich konnte nicht mehr an mich halten und brach vor Freude in Tränen aus, fast so, als ob ich nie zuvor in meinem Leben geweint hätte.

Auf dem Weg ins Krankenhaus erlitt ich einen Herzstillstand. Die Hevals gaben alles und brachten es wieder zum Schlagen. Kurz vor Ende der Operation blieb mein Herz erneut stehen. Sie versuchten alles, doch es gelang ihnen nicht, mich wiederzubeleben. Sie nähten mich wieder zusammen, stellten meinen Tod fest und man legte mich in einen hölzernen Sarg. Auf einmal schlug ich wieder meine Augen auf. Ich sah vier Menschen über mir stehen. Es fühlte sich erneut so an, als wäre ich zu einem neuen Leben erwacht. Ich sah mich um und ignorierte zunächst die Blicke der Menschen. Doch dann war auch ich verwundert. Ich suchte nach Worten, doch war ich noch zu sehr benebelt von dem, was sie mir verabreicht hatten. Das einzige, was ich hervorbrachte, war: »Merhaba« (dt. »Hallo«). Auf einmal schrien alle auf, ein oder zwei von ihnen gingen sogar kurzzeitig ohnmächtig zu Boden. Ich dachte mir nur: »Bei Gott, was ist nur los? Wo bin ich und warum schreien die Menschen so?« Ich richtete mich auf und sah, dass ich in einem Sarg saß und mich in einem Leichenhaus befand.

Innerhalb kürzester Zeit war die Leichenhalle des Krankenhaus gefüllt mit Menschen. Alle wollten den »von den Toten Wiederauferstandenen« sehen. Es war eine Mischung aus Genesungswünschen und vor Überraschung ausgestoßenen Schreien. Einige beteten, als würden sie ein Wunder erleben. Nachdem der Schock überwunden war, brachte man mich erneut in den OP Saal. Es waren umständliche Operationen, doch am Ende entschied sich mein Körper dazu, leben zu wollen. Damals hatte ich Glück; es war nicht ich, der am Gefallenenfriedhof beerdigt wurde, es war lediglich eins meiner Beine.


 Kurdistan Report 226 | März/April 2023