Internationale feministische Solidarität und Frauenrevolution weiterentwickeln

8. März – Ausdruck und Anlass gemeinsamer internationaler Kämpfe

Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.


8. März – Ausdruck und Anlass gemeinsamer internationaler KämpfeDer 8. März, der internationale Frauenkampftag, wird dieses Jahr zum 102. Mal begangen und geht auf die Arbeiterinnenbewegung zurück. Von der Kommunistin Clara Zetkin initiiert, wurde er ursprünglich auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 beschlossen, das konkrete Datum 8. März dann auf der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen 1921 in Moskau. Im Beschluss hieß es: »Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. […] Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten.«

Seither streiken und protestieren Frauen jährlich weltweit für ihre Rechte, ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten stehen dabei vermehrt auch antirassistische, antikoloniale und queere Kämpfe im Zentrum. Feministische Kämpfe werden immer breiter und vielschichtiger gedacht – der 8. März ist dadurch jedes Jahr auch ein Ausdruck und zugleich Anlass gemeinsamer internationaler Kämpfe, in denen verschiedene Perspektiven ausgetauscht werden und in denen eine Vielzahl von Themen und Aktionen einen Platz finden. Jedes Jahr drücken wir mit kreativen Protestformen auf den Straßen der ganzen Welt unseren Willen, unsere Stärke und gegenseitige Solidarität aus. Jedes Jahr protestieren wir gegen das patriarchale kapitalistische System und betonen: Wirkliche Befreiung kommt nicht von Gesetzen und Rechten allein, sondern wird erst durch unsere revolutionären Kämpfe gegen das System erlangt.

Blicken wir auf einige dieser Kämpfe zurück: In den letzten sechs Monaten waren die Augen der Welt auf die Revolution in Ostkurdistan und Iran gerichtet. Dort führen Frauen, insbesondere in den kurdischen Gebieten, den derzeitigen Aufstand gegen das islamische Regime an. Sie waren es, die nach der Ermordung der 22-jährigen Jîna Amini »Jin Jiyan Azadî« (Frau, Leben, Freiheit) und »Tod dem Diktator« skandierten, ihre Kopftücher verbrannten und zum Sturz des Regimes aufriefen –, und traten damit eine Revolution los, die bald nicht nur ganz Iran erschütterte, sondern auch weltweite Solidarität auslöste. Ein weiteres Beispiel sind die mutigen Proteste von Frauen, insbesondere der Minderheit der Hazara, in Afghanistan. Dort wurden die Selbstbestimmung und Freiheit von Frauen und Mädchen seit der erneuten Machtübernahme durch die Taliban 2021 immer weiter eingeschränkt. So wurde 2022 erneut ein Vollverschleierungszwang gegen Frauen verhängt. Trotz Kriminalisierung und Lebensgefahr leisten Frauen in Afghanistan weiterhin im Untergrund Widerstand gegen die Taliban. Auch in der End-SARS-Bewegung in Nigeria kämpften in den letzten Jahren Frauen, Mütter und besonders queere Menschen an vorderster Front. Die Bewegung entstand als Protest gegen die exzessive Polizeigewalt durch die Special Anti-Robbery Squad (SARS) und konnte mit ihrem Widerstand schließlich die Auflösung dieser Einheit forcieren.

Ein nennenswertes Ereignis ist außerdem die Internationale Frauenkonferenz des Netzwerks »Women Weaving the Future«, die 2022 in Berlin stattgefunden hat. Von der kurdischen Frauenbewegung initiiert, kamen bei dieser Konferenz Hunderte Frauen aus der ganzen Welt zusammen, um Strategien zur Selbstverteidigung gegen das System und für die Schaffung eines freien Lebens zu diskutieren. Zusammenkünfte wie diese können wir als eine Fortsetzung der vielen weiteren internationalistischen sozialistischen Frauenkonferenzen in der Geschichte betrachten. Wie schon vor 113 Jahren in Kopenhagen kamen auch in Berlin vor einigen Monaten Frauen aus aller Welt zusammen, um Kämpfe zu verbinden und die Welt an die Kraft dieser internationalen feministischen Solidarität zu erinnern.

Und mit Blick auf die letzten zehn Jahre tritt insbesondere die Frauenrevolution in Rojava/Nordsyrien hervor. Nicht nur haben dort die Frauenverteidigungseinheiten YPJ gegen den Islamischen Staat (IS) gekämpft. Die Bevölkerung Nordsyriens – bestehend aus Kurd:innen, Araber:innen, Armenier:innen, Suryoye und weiteren ethnischen Gruppen und Glaubensgemeinschaften – hat nach der Vertreibung der Kräfte des Assad-Regimes außerdem ein Gesellschaftsmodell umgesetzt, das auf Prinzipien wie Ökologie, Feminismus und Rätedemokratie aufgebaut ist.

Viele weitere Errungenschaften und Kämpfe gegen das System bleiben hier unerwähnt. Die Beispiele verdeutlichen jedoch die zentrale Rolle feministischer Kämpfe für die Befreiung der Gesellschaft von der Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung durch Staaten. Diese Beispiele aus dem Globalen Süden sollten gleichzeitig nicht von der Tatsache ablenken, dass auch in Europa noch lange nicht von Freiheit die Rede sein kann. Im Gegenteil gehören Feminizide, sexuelle und körperliche Übergriffe und Gewalt, psychische Gewalt sowie Ausbeutung hier zum Alltag. Die kurdische Bewegung verwendet oftmals den Begriff »Spezialkrieg«, um bestimmte Methoden des Staates und des Systems zu beschreiben, die weniger sichtbar sind. Diese Methoden zielen darauf ab, Widerstand gegen das System zu unterdrücken, potenziell rebellierende Menschen enger ans System zu binden und so zu beeinflussen, dass sie sich dem System hingeben, anstatt sich gegen Gewalt und Unterdrückung zu wehren. Diese Methoden sind insbesondere in Europa und in den Zentren der kapitalistischen Moderne gang und gäbe. So wird zum Beispiel oft der Eindruck vermittelt, der Grad der Befreiung der Frau sei ein wachsender linearer Prozess – nach dem Motto »Frauen haben immer mehr Freiheiten« oder »Frauen verdienen immer besser«. Dabei wird verschleiert, dass einerseits patriarchale Gewalt weltweit an einem Höhepunkt ist und dass andererseits »Wohlstand« und »Reichtum« in Europa auf der Unterwerfung und Ausbeutung von insbesondere Frauen und Mädchen im Globalen Süden basieren. Auch Armut und Diskriminierung können als Ausdruck von Spezialkrieg betrachtet werden. Dadurch, dass so viele Menschen sich kaputtarbeiten und sich Tag für Tag fragen müssen, wie und ob sie sich ihre Lebenshaltungskosten finanzieren können, bleiben ihnen oft keine Kraft, Zeit oder Bereitschaft, sich politisch zu organisieren, um ebendiese Armut, Ausbeutung und Diskriminierung zu bekämpfen. Ein anderes Beispiel für Spezialkrieg ist die Dämonisierung revolutionärer Kämpfe. In diesem Zusammenhang ist das PKK-Verbot zu erwähnen: Obwohl die Arbeiter:innenpartei Kurdistans PKK eine führende Kraft für Frauenbefreiung in der Region ist, wird sie kriminalisiert, verteufelt und steht auf der EU-Terrorliste. Die Kriminalisierung führt dazu, dass potenziell interessierte Frauen sich von dieser Freiheitsbewegung distanzieren und sich auf die Seite unterdrückerischer Regierungen stellen, die vorgeben, »Terroristen« zu bekämpfen. Ähnliches gilt für viele weitere Anti-System-Kräfte.

Das, was wir hier als Spezialkriegsmethoden bezeichnen, ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass immer weniger Menschen sich gegen staatliche und patriarchale Gewalt und Ausbeutung auflehnen, obwohl sie so allgegenwärtig ist. In diesem Sinne sollten wir zu jedem 8. März auch an unsere Pflicht erinnern, uns gegen solche Formen des Spezialkriegs sowie gegen jede Form von staatlicher, kapitalistischer und patriarchaler Gewalt aufzulehnen und uns nicht beirren zu lassen. Das bedeutet auch, an die historischen revolutionären Ursprünge des 8.  März zu erinnern und zu betonen, dass wir erst dann wirklich frei sein können, wenn das kapitalistische System, das auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert, überwunden wird. »Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat«, sagte auch Clara Zetkin in einer Rede.

Feministische Forderungen und Kämpfe werden von kapitalistischen Staaten nur toleriert, solange sie nicht zu unbequem werden und solange sie nicht das Fundament des Systems erschüttern. Frauen, die für Alternativen zu diesem System kämpfen, werden verhaftet, gefoltert und ermordet: Nagihan Akarsel, Evîn Goyî, Sakine Cansız, Fidan Doğan, Leyla Şaylemez, Hevrîn Xelef, Berta Cáceres, Marielle Franco, Firozan Safi und Mursal Nabizada sind nur einige von ihnen.

Nicht nur am 8. März, sondern jeden Tag erinnern sie uns daran, dass wir ihren Weg weitergehen und die Welt verändern müssen. Die radikale Solidarität der unterschiedlichen Kämpfe und Bewegungen, die sich jedes Jahr am 8. März vereinen, ist der Schlüssel, um diesen revolutionären Wandel zu erkämpfen und diese von Gewalt, Ausbeutung, Armut und Krieg geprägte Gesellschaft in eine freie und selbstbestimmte Gesellschaft zu verwandeln.


 Kurdistan Report 226 | März/April 2023