Die Stiftung der freien Frau in Syrien WJAS blickt auf das Jahr 2022 zurück

Bildung ist der Schlüssel für die Frauen

Europa-Komitee der Stiftung der freien Frau in Syrien


Ertehilfekurs der Stiftung der Freien Frau in HesekeSeit mehr als sieben Jahren unterstützt die Stiftung der freien Frau in Syrien (Weqfa Jina Azad a Sûrî, WJAS) mit vielfältigen Tätigkeiten die Frauenbefreiung in Nord- und Ostsyrien. Inzwischen ist sie mit 120 Mitarbeiterinnen in Qamişlo, Girkê Legê, Dêrik, Çilaxa, Hesekê, Dirbêsiyê, Raqqa, Tabqa, Kobanê, Minbic, Serin und Şêxmeqsûd (selbstverwalteter Stadtteil in Aleppo), sowie in den Camps al-Hol, Roj, Waşokanî, Newroz und Mahmudi aktiv. Im Jahr 2022 standen besonders Tätigkeiten rund um die Bereiche Gesundheit, Bildung und Vernetzung im Vordergrund. Es gibt auch den Plan, eine Akademie zu eröffnen. Dort sollen mehr Frauen in handwerklichen Berufen, z.B. in den Bereichen Elektrik, Bauwesen und Reparatur von Handys, ausgebildet werden. Begleitend zur Ausbildung soll es Bildungsangebote geben, Seminare, in denen theoretische Konzepte zu psychologischen Themen und sozialen Beziehungen vermittelt werden. Die Leiterin der Frauenstiftung Sultan Xiso beschreibt es so: »Die Frauenstiftung bietet praktische und theoretische Bildung an. Bei den praktischen Angeboten lernen die Frauen in 2–3 Monaten ein Handwerk oder erhalten eine Gesundheitsausbildung. Die theoretische Bildung macht viel Arbeit, aber wir halten sie für sehr wichtig, da durch sie die Frauen gestärkt und selbständiger werden können. Da wo Frauen stärker werden, beteiligen sie sich an der Entwicklung der Gesellschaft und erziehen freie und selbstbewusste Kinder. Am Anfang kamen überwiegend junge unverheiratete Frauen, die über mehr Schulbildung verfügen, zu den Kursen. Mittlerweile nimmt der Anteil der verheirateten und älteren Frauen zu.«

Ausbildung in Erster Hilfe

Gesundheitskurse fanden zu verschiedenen Themen wie COVID-19, Cholera, Kinderkrankheiten, gynäkologischen Infektionen und Brustkrebs statt. Über 700 Frauen wurden zudem im Bereich Erste Hilfe geschult. Aufgrund der sich verstärkenden Angriffe des türkischen Staates auf die Region hatte dieser Bereich eine hohe Relevanz. Immer wieder werden bei den Angriffen Zivilist:innen und auch Kinder getötet und verwundet. Sultan Xişo beschreibt die besondere Bedeutung, die diese Erste-Hilfe-Kurse haben, an dem konkreten Beispiel einer Frau, die mit ihren vier Kindern und ihrer Mutter zusammenlebt. »Sie musste erst einmal ihre eigenen Ängste überwinden, um sich entscheiden zu können, an einer Schulung teilzunehmen. Ihr Mann ist als Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten (YPG) im Krieg gegen den ›Islamischen Staat‹ (IS) gefallen. Ein Freund ihres Mannes war dabei, als er starb. Er war schwer verletzt und hätte gerettet werden können. Da aber niemand die Blutung stillen konnte, ist er gestorben. Sie will für ihre Kinder und die Mutter da sein und im Notfall Erste Hilfe leisten können.«

Auf Grund der Angriffe des türkischen Regimes auf Nordsyrien wurden im Herbst 2022 in Qamişlo, Girkê Legê und Dêrik auch Schutzräume eingerichtet.

Gesundheitliche Basisversorgung durch mobile Klinik

Die mobile Klinik Dêrik setzte ihre Arbeit in den Dörfern der Umgebung fort. Über 25 Dörfer wurden regelmäßig angefahren. Das Angebot der mobilen Klinik wird von der Bevölkerung sehr gut angenommen und ist ein wichtiger Teil der gesundheitlichen Basisversorgung geworden. Die laufenden Sach- und Personalkosten wurden 2022 und werden auch in Zukunft von der Initiative »Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik« getragen.

Trotz der massiven Preissteigerung bei Medikamenten und Behandlungen wurden in den Ari-Kliniken (Gesundheitsposten) in Qamişlo, Hesekê und Dêrik die Menschen der Region weiterhin kostenfrei behandelt. Insbesondere Kinder und Frauen konnten davon profitieren.

Sultan Xişo beschreibt an einem konkreten Beispiel die große Bedeutung dieser Arbeit: »In einem der Dörfer kam eine arabische Frau zur Behandlung. Sie war verheiratet, aber noch kinderlos. Sie wollte gerne schwanger werden und erlebte auch Druck durch ihren Mann und die Schwiegermutter. In ihrer Not war sie zu einem Arzt gegangen und musste die Behandlung privat bezahlen. Weil sie Geld ausgegeben hatte, wurde sie von ihrem Mann geschlagen. Ihr wurde geraten, sich an die Ari-Klinik zu wenden, da die Behandlungen dort kostenlos seien. In der Klinik habe ich mit ihr gesprochen. Die Gespräche und die gute Behandlung in der Klinik waren für die Frau sehr hilfreich. Nach drei Monaten wurde sie schwanger. Sie war so froh und dankbar, dass sie Süßigkeiten in die Klinik brachte.«

Kursangebote in Naturheilkunde

Behandlungszentren für Naturheilkunde gibt es in Dirbêsiyê und Hesekê sowie im Frauendorf Jinwar, wo es auch eine eigene Klinik gibt. Es arbeiten dort Frauen mit viel Erfahrung in Naturheilkunde, und die Patientinnen haben viel Vertrauen in die naturheilkundliche Behandlung gewonnen. Zusätzlich wurden auch Kurse in Naturheilkunde angeboten.

Erfolgreiche Ausbildung im Nähhandwerk

Es wurde ausgebildet zur Näherin und Friseurin. Erfolgreich hat das WJAS-Büro in Hesekê zum Beispiel 65 Frauen im Nähhandwerk ausgebildet. Sie haben alle einen Arbeitsplatz gefunden. Für die Alphabetisierungskurse in kurdischer und arabischer Sprache gab es eine große Nachfrage und sie waren sehr beliebt. Es werden zum Beispiel Kurse für Frauen ab 40 Jahren angeboten. Diese Frauen sind sehr motiviert. Sie freuen sich, dass sie Bücher, Stifte und Hefte zum Lernen erhalten, sie machen gerne Hausaufgaben und fühlen sich aufgewertet durch das Lernen. Die Zeugnisvergabe ist ein großes Ereignis und wird immer richtig gefeiert.

Auch Fahrunterricht wurde weiter erteilt.

Ausbau von weiteren Kooperativen geplant

Um die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen weiter zu fördern, ist der Ausbau von weiteren Kooperativen geplant: finanzielle Hilfen, insbesondere in den ärmeren Stadtvierteln nicht für einzelne Frauen, sondern für Frauen, die sich zusammentun, sind vorgesehen. Gemeinsam können sie sich stärken. Mit dieser Unterstützung konnte leider noch nicht begonnen werden, da die Gelder dafür noch fehlen.

All diese Angebote sollen den Frauen ein Leben mit größerer Unabhängigkeit und Selbständigkeit ermöglichen.

Da sich viele Frauen 2021 nicht nur praktische Bildungsangebote gewünscht hatten, sondern auch theoretische Kurse, wurde dieser Wunsch im letzten Jahr direkt umgesetzt. An mehreren Orten fanden Seminare zu Themen statt wie Gewalt gegen Frauen, demokratische Familie, Frauen und Verwaltung/Management, die Rolle der Frauen in der Geschichte und Frauen im Krieg (Verhalten bei Angriffen, Selbstschutz, Schutz der Familie).

Durch die Nähe zu den Frauen über Besuche, Befragungen und die Verteilung von Fragebögen und Broschüren verbessert sich die Arbeit der Frauenstiftung stetig. Es werden auch neue Konzepte entwickelt, die sich am Bedarf und den Wünschen der Frauen orientieren.

Unterstützung für das Waisenhaus »Keskesora Alan«

Für die Kinder im Waisenhaus »Keskesora Alan« (Alans Regenbogen) in Kobanê wurde alles, was für die Kinder nötig war, bereitgestellt. Besonders gefreut haben sich die Kinder am internationalen Kindertag, als sie Fahrräder geschenkt bekommen haben. Ein Elfjähriger wollte das Fahrrad sogar mit in sein Bett nehmen!

Zeichenkurs für Kinder im Camp ROJ 2023Zur Lage in den Camps

Einen besonderen Stellenwert hat für die Stiftung aktuell die Arbeit in den Camps. Wichtiger Bestandteil der Arbeit war dort die Bildung gegen Extremismus. Im Camp Roj wurden diese Kurse gut angenommen. Als Erfolg kann gewertet werden, dass mehrere Frauen die schwarze Kleidung und die Verschleierung abgelegt haben. Im Camp al-Hol und dort, wo viele aus dem Ausland eingereiste weiterhin fanatische IS-Anhängerinnen interniert sind, waren die Arbeiten schwierig und gefährlich für die Mitarbeiterinnen. Es bestehen dort strenge Sicherheitsauflagen.

Rojin, Mitarbeiterin der Frauenstiftung WJAS, die im Camp al-Hol arbeitet, beschreibt ihre Arbeit und ihre Erfahrungen so: »Ich führe Bildung gegen Extremismus durch. Mehrfach wurden Drohbriefe unter meiner Tür durchgeschoben. Man drohte mir mit Enthauptung, weil ich gegen den Islam arbeiten würde. Ich hatte Angst. Deshalb hat jemand von den Sicherheitskräften Asayîş meine Tür bewacht. So konnte ich meine Arbeit fortsetzen. Das Camp ist sehr groß und in verschiedene Bereiche unterteilt. In dem Teil mit den ausländischen Angehörigen des IS arbeite ich nicht. Diese Menschen sind sehr überzeugte Islamisten, sogar die Kinder bewerfen uns mit Steinen. Aber wir planen zukünftig, auch dort zu arbeiten. Ich lernte während meiner Arbeit im Camp eine Irakerin kennen. Sie war und dachte eigentlich anders, aber ihr Mann war beim IS und sie musste mit ihm gehen. Er versprach ihr das ›Paradies‹. Zusammen mit ihren 13 und 15 Jahre alten Kindern sind sie nach Raqqa gegangen. Für sie war das Leben dort sehr schlimm. Nach dem Tod ihres Mannes, wurde sie weiterverkauft. Ihr wurde verboten, zu verhüten. Sie hat noch drei Kinder bekommen. Das Leben in den Camps ist wie in einem Gefängnis. Die Frauen sagen, am schlimmsten ist es für die Kinder. Sie haben keine normale Kindheit, was ihnen sehr zu schaffen macht.«

In den Camps Roj, al-Hol und Waşokanî wurden neben der Ausbildung (Nähen, Friseurhandwerk und Krankenpflegeausbildung) auch verschiedene Freizeitaktivitäten für Kinder und Frauen angeboten, um sie vom belastenden Camp-Alltag »abzulenken«. Besonders wichtig sind die Musikkurse. Musik, als Ausdruck von Freude, ist im Islam umstritten, der IS verbietet sie oft sogar. Doch wenn die Kinder die Instrumente sehen, machen sie aber sofort mit, obwohl ihnen gesagt wurde, dass Musik eine Sünde sei. Musik verbindet Menschen, im Besonderen zeigt sich die schöne und positive Wirkung von Musik bei den Kindern.

Um ihre Tätigkeiten koordiniert und effektiv einbringen zu können, betätigt sich die Frauenstiftung WJAS auch in den Gremienarbeiten, z.B. durch Teilnahme an Sitzungen verschiedener Bereiche der Selbstverwaltung. In Sitzungen zur Koordinierung der Gesetzgebung, die Frauen betreffen, hat WJAS einen festen Platz und setzt sich hier für alle Belange der Frauen ein. Beispiele dafür sind: Es wurde über die Heirat von minderjährigen Mädchen diskutiert. Viele Anwesende wollten in Einzelfällen Ausnahmen erlauben. Die Vertreterin der Frauenstiftung hat dagegen argumentiert. Ihre Position hat sich schließlich durchgesetzt. Ebenso beim Thema der Polygamie. Auch hier gibt es Interessengruppen, die sich gegen ein striktes Verbot einsetzen. Die Mitarbeiterin der Frauenstiftung lehnte dies im Interesse der Stärkung der gesellschaftlichen Position der Frauen ab. Ebenso wurde gegen den Vorrang der ­religiösen Heirat argumentiert. Mittlerweile hat die standesamtliche Heirat allgemeine Gültigkeit. Die Stiftung arbeitet auch gut zusammen mit den Gemeinden. Sie unterstützen die Arbeiten der Frauenstiftung, z.B. hat bei der Gestaltung eines Parks für Frauen eine Gemeinde Setzlinge von Bäumen zur Verfügung gestellt und die Pflanzarbeiten unterstützt. Auch bei der Vermittlung von arbeitssuchenden Frauen gibt es Zusammenarbeit mit den Gemeinden.

Darüber hinaus vernetzt sich die Stiftung mit vielen inländischen und ausländischen Organisationen, u.a. um gemeinsam Projekte umzusetzen.

Um ihre wichtige Arbeit für die Region fortsetzen zu können, ist die Stiftung auf Spenden angewiesen.

Kontakt:
Website: www.wjas.org
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Spendenkonto:
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 Kurdistan Report 227 | Mai/Juni 2023