Berichte vom Kampf gegen die Megaprojekte des »interozeanischen Korridor« und des »Tren Maya« in Südmexiko
»Der Süden widersteht«
Victor, Recherche-AG
»Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe.« (Walter Benjamin)
Als die Sonne vom Ozean her den dicht bewaldeten Hügel im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas emporsteigt regen sich Hängematten über den Ameisenstraßen einer besetzen Rancho bei Pijijiapan. Wenig später übersteigt sie den höchsten Baum der Anhöhe und die Insekten legen ihre Arbeit (die Blätter der Mangobäume) nieder, während sich eine neue Karawane von ihrem Reich aus aufmacht, um den Kampf gegen die Folgen zweier Megaprojekte zu artikulieren.
In Deutschland wird inzwischen immer wieder über den »Maya-Zug« im Süden Mexikos berichtet.1 Unter Beteiligung der Deutschen Bahn gräbt er Schneisen durch den Regenwald. Doch die Megaprojekte in der Region tragen Namen, die gezielt verwirren sollen. Der »Tren Maya« (spanisch für: Maya-Zug) ist nämlich viel mehr als ein Zug, und mit den Maya hat er wenig zu tun. Auf 1.500 Kilometern soll der »Zug« fünf Bundesstaaten auf der Halbinsel Yucatán miteinander verbinden. In diesem Zusammenhang wird er meist als Tourismusprojekt beworben – die archäologischen Stätten der Riviera Maya sollen miteinander verbunden werden, Hotelkomplexe entstehen in den Naturschutzgebieten und an der Karibikküste. In Wirklichkeit bildet der »Maya-Zug« jedoch nur einen Teil einer großangelegten »territorialen Neuordnung« Südmexikos: Er ist direkt mit dem »interozeanischen Korridor« in der Landenge von Tehuantepec verbunden. Hier liegen die beiden Ozeane so eng beieinander, dass seit Langem eine Art »zweiter Panama-Kanal« auf Schienen geplant wird. Die großen Häfen im Westen und Osten sollen miteinander verbunden werden, was den Import und Export aus und in die USA, China und Europa erleichtern würde. Die beiden »Züge«, die durch neue Autobahnen und Flughäfen begleitet werden, öffnen so eine ganze Region für die Interessen großer Konzerne: Riesige Industriekorridore entstehen entlang der Gleise, mit Autofabriken, Öl- und Gasraffinerien, Massentierhaltungsanlagen, Monokulturen etwa von Soja und Reis, Energieparks und neuen Komplexen für den Massentourismus. Inzwischen wurde von Aktivist:innen auch die Beteiligung deutscher Unternehmen in der Landenge von Tehuantepec herausgearbeitet. Neben internationalen Unternehmen profitieren zwei weitere Akteure: Das Militär und die Organisierte Kriminalität.
Die mexikanischen Streitkräfte bauen nicht nur Streckenabschnitte des »Tren Maya«, sie verwalten das gesamte Projekt und erhalten – ohne eine zwischengeschaltete Kontrollinstanz – jegliche Gewinne aus dem Betrieb des »Maya-Zugs«. Die Marine hat derweil die Kontrolle über die Häfen und Flughäfen übernommen und ist besonders im Korridor von Tehuantepec präsent. Aufgrund von Verwicklung in Korruption und Menschenrechtsverletzungen ist die neue Macht der Armee im Zusammenhang dieser Projekte zutiefst besorgniserregend: Aktuell gehen Soldaten immer wieder gegen friedliche Demonstrationen der lokalen Bevölkerung vor, die gegen die Zerstörung der Umwelt und ihrer Lebensgrundlagen, Vertreibungen und die Militarisierung selbst protestiert. Gegner:innen der Großprojekte werden kriminalisiert, angegriffen, verfolgt, »verschwinden gelassen«, eingesperrt oder ermordet.
Neben den Fabriken und Raffinerien entstehen immer mehr Militärbasen – denn die Region ist nicht nur ein Industrie-, sondern vor allem auch ein Migrationskorridor: Menschen aus Süd- und Mittelamerika und der Karibik versuchen verzweifelt, in Richtung USA zu fliehen. Neue, schwer bewaffnete Einheiten wie die »Guardia Nacional« halten die Geflüchteten nun bereits in Südmexiko auf. Stellen wir uns ein »Zugprojekt« des Militärs vor, welches von Küste zu Küste verläuft, wird schnell ersichtlich: Für viele Menschen bedeutet »Tren Maya« und »interozeanischer Korridor« vor allem ein rassistischer Filter: Die Mobilität von Tourist:innen und Warenflüssen wird erhöht, Migrant:innen hingegen werden aufgehalten und etwa auf den Baustellen ausgebeutet, während die ursprüngliche, indigene Bevölkerung vertrieben wird. Infrastruktur, Anbindung an den Weltmarkt über große Häfen, Tourismus und Urbanisierung haben derweil das Interesse der mexikanischen Kartelle geweckt, die sich seit kurzem in Südmexiko ausbreiten und eine Gewaltspirale lostreten: Auf einmal geht es um die Kontrolle von Drogen-, Menschen-, und Waffenhandel in einer Region, die bisher von diesen Problemen in weiten Teilen verschont geblieben ist. Die Leidtragenden sind die Gemeinschaften vor Ort – vor allem die Indigenen, nach denen der »Maya-Zug« zynischerweise benannt wurde. Doch das lassen sie nicht länger unbeantwortet.
Die Reise der Karawane beginnt
Viele von ihnen haben als Delegierte an der Karawane »Der Süden widersteht« teilgenommen, welche vom 25. April bis zum 5. Mai die Kämpfe gegen Landraub, Umweltzerstörung und Repression im Zuge der Megaprojekte artikulierte, vernetzte und stärkte. Am 6. und 7. Mai erreichte die Ameisenstraße die zapatistische Universität CIDECI bei San Cristobal de las Casas und wurde von über 900 Menschen aus aller Welt empfangen. Indigenen Gruppierungen wie dem National Kongress der Indigenen (CNI) oder der Versammlung der indigenen Völker des Isthmus von Oaxaca in Verteidigung der Erde und des Territoriums (APIIDTT) schlossen sich NGOs, Umweltschützer:innen, Menschenrechtsaktivist:innen sowie alternative Presse- und Medienschaffende an.
Ihre Reise führte durch Schmerz und Hoffnung, Trauer und Aktion: Gegen Fracking- und Gaspipelines, unbezahlbare Stromtarife und ein aufgezwungenes Gasoduct wehrt sich der Consejo Autónomo Regional Zona Costa de Chiapas (Autonomer Rat des Gebiets der Küste von Chiapas) in El Progreso und Tonola2, gegen die Vertreibung aus ihrem Land wehren sich die Indigenen der Otomí, welche das ehemalige Institut der Indigenen besetzten und in Erinnerung an den 2019 ermordeten compa (Genosse, Gefährte) in »Casa de los Pueblos Samir Flores« umbenannten. In Puente Mader wehrt sich eine organisierte Gemeinde, »der Leuchtturm des Widerstands im Isthmus von Oaxaca« gegen einen der fünf geplanten Industrieparks des interozeanischen Korridors, der ihr heiliges, ertragreiches Cierro Pitayal in eine Asphalt- und Fabrikwüste verwandeln würde. Hunderte Menschen aus zahlreichen Gemeinden versammeln sich hier, um ihre Erfahrungen und Strategien auszutauschen: Gegen die Windpark-Anlagen, die der indigenen Bevölkerung in einem perfiden Beispiel des Kolonialismus im »grünen Kapitalismus« ihr Land stehlen, auf dem sie einzigartige Ökosysteme schützen, um anschließend Billigstrom an die großen Fabriken der Textil- oder Lebensmittelindustrie zu liefern, gegen zerstörerischen Bergbau, gegen Pipelines, gegen Monokulturen, gegen die Zerstörung des Chimapala-Regenwaldes, gegen Wasser-stehlende Staudämme, gegen die Kontaminierung der letzten gesunden Flüsse, Seen und Meere3.
Der Widerstand ist lebendig
Im Protestcamp »Tierra y Libertad« bei Mogoñé Viejo wehren sich über 26 Gemeinden gemeinsam gegen den »interozeanischen Zug«, der ihr Land stiehlt und die Armee vor ihrer Haustür stationiert. In Oteapan im Bundesstaat Veracruz wehren sich die Menschen gegen Minen, gegen riesige Müllhalden, gegen die Lager hochgiftiger Restbestände der Ölraffinerien auf ihrem Land, gegen die Privatisierung ihres Wassers und weitere Industrieparks4. In Tabasco wehren sich die Menschen gegen die großen Raffinerien, die den Kleinbäuer:innen ihr Land stehlen und das übrige vergiften, gegen zunehmende Feminizide und Gewalt gegen Migrant:innen, gegen die Aussetzung der Gehälter für Lehrkräfte oder das staatliche Vorgehen gegen die Ärmsten der Stadt. In der Gemeinde »El Bosque« am Golf von Mexiko hat der Klimawandel das kleine Fischerdorf bereits verschluckt, doch der Widerstand der Menschen ist nicht untergegangen5.
Sie sind Zeugen der (Klima-)Ungerechtigkeit: Hier haben sie am wenigsten zum Anstieg des Meeresspiegels beigetragen, hier sind sie aber vor allen anderen die Opfer der in ihre ehemaligen Wohnzimmer, Schulen und Kirchen schwappenden Wellen. Während sie auf eine Umsiedlung warten, wird in Cancún der Strand mit neuem Sand aufgeschüttet – damit das Urlaubsparadies der Weißen nicht auch im Wasser verschwindet. Wir reden von dem (von Hurricanes und Überschwemmungen heimgesuchten) Küstenabschnitt, an dem im Zuge des »interozeanischen Korridors« und des »Maya Zuges« neue Ölplattformen und Hotelanlagen im oder wenige Meter vor dem Meer entstehen sollen.
Gegen den Zug wehrt man sich Candelaria, wo der örtliche Fluss bereits der Großbaustelle zum Opfer gefallen ist6. Ähnlich sieht es in Valladolid aus, wo vor der Stadt die letzten Wasserquellen (auch in den unterirdischen Höhlen- und Flusssystemen der »Cenotes«) verseucht und Häuser dem Erdboden gleichgemacht werden, während in den urbaneren Gebieten Gentrifizierung und Vertreibungen Hand in Hand gehen – auch unter dem Stern des kommenden »Maya-Zug-Fortschritts«7. In Xpujil wehrt man sich gegen die massive Entwaldung des Maya-Regenwaldes, die Gefährdung archäologischer Stätten, die Implementierung riesiger Mastfarmen und das Militär: In nur einem Jahr ist aus der kleinen Gemeinde eine Soldatenhochburg mit Kräften der regulären Streitkräfte, der Nationalgarde, der Polizei und der Narcos geworden. Im Centro Comunitario Maya U Kúuchil K Ch'i'ibalo›on, dem kommunitären Zentrum der Maya-Kunst und Kultur Raxalay Mayab At, werden in einer historischen Vereinigung der Sinti:zze und Rom:nja mit den Maya-Völkern Parallelen gezogen zum Schmerz des Genozids und dem aktuellen Kampf gegen das Vergessen, für die auch gemeinsam Verantwortliche benannt werden: In diesem Fall die Deutsche Bahn, welche an beiden Genoziden mitwirkte und nun die Erinnerung an beide bedroht8.
In Palenque, zurück in Chiapas, hat die Karawane ihre Endstation dort, wo der »Maya Zug« beginnen soll9:
»Wir steigen auf diesen Zug des Fortschritts nicht auf, weil wir wissen, dass seine Stationen Dekadenz, Krieg, Zerstörung und seine Endstation die Katastrophe sind.« (Delegierte des CNI auf der Abschlusskundgebung in Campeche)
Die Katastrophe trifft viele der compas dann, wenn sie sich gegen ebendiese aufzulehnen suchen: Wir hören auf der Karawane vom unschuldig inhaftierten und gefolterten zapatistischen Genossen Manuel Vasquez, der nun bereits seinen 21. und 22. Geburtstag im Gefängnis verbringen musste. Wir erinnern an die Ermordung von Samir Flores, der sich gegen das Großprojekt Integral Morelos wehrte. Die compas aus Guerrero berichteten von 40 Ermordeten und 20 Verschwundenen in den letzten Jahren, die Tsetal von aktueller Folter und vergangenen, unbestraften Massakern. Dutzende Teilnehmende und Besuchte des »Südens, der widersteht« erhalten Morddrohungen oder werden mit ungerechtfertigten Haftbefehlen gesucht, und Freund:innen aus Eloxchitlán fordern noch immer die Freilassung ihrer gefangenen und gefolterten Töchter und Väter. Im Protestcamp »Tierra y Libertad« gedachten wir dem Mord an Bety Cariño und dem sie begleitenden Menschenrechtsbeobachter Jyri Jaakkola, welche der von Paramilitärs bedrohten Gemeinde San Juan Copala zur Hilfe eilten. Nur wenige Stunden nach dem Besuch dieses würdigen Ortes indigener Selbstverwaltung durch die Karawane, stürmten schwer bewaffnete und vermummte Einheiten von Militär, Nationalgarde und Polizei das Camp. Die Antwort auf die Schläge, Verwüstung und die Verschleppung von sechs compas war eine Welle der nationalen und internationalen Solidarität, die zur Freilassung der Festgenommen führte sowie der sofortige Wiederaufbau der Blockade.
Eine solche Blockade bedeutet nicht einfach Widerstand gegen Landraub, Menschenrechtsverletzung und Umweltzerstörung in der Region: Der »interozeanische Korridor« hat, wenn er den Pazifikhafen von Salina Cruz mit Coatzalcoalcos verbindet, eine enorme Bedeutung für den Warenverkehr der Weltwirtschaft, und eine Blockade dieser Schienen hier bedeutet dann einen Millionenverlust in Minuten. Dies zeigt die Wirkungskraft des indigenen Widerstands gegen den Kapitalismus als solchen genauso wie die Wucht der drohenden Repressionen, auf die wir international antworten müssen. Ein erster Schritt in diese Richtung war das »Encuentro Internacional«, dass in den Bergen von Chiapas Menschen zusammenbrachte, welche die »Notbremse« ziehen werden (müssen)10.
Denn die Neukonfigurierung Südmexikos muss als drohender Ökozid und Ethnozid mit Folgen für den ganzen Planeten gewertet werden. Die beiden Infrastrukturprojekte zerstören die letzten großen Regenwälder der Region (mit die größten des Kontinents), die Mangroven, die Korallenriffe (das zweitgrößte der Welt) und das sauberste Süßwasservorkommen des Landes: In unterirdischen Höhlen- und Flusssystemen, den sogenannten Cenotes, die jeweils eigene einzigartige Ökosysteme beherbergen, wird inmitten der stärksten Dürrejahre seit Beginn der Aufzeichnungen das Wasser kontaminiert, auf welches vor allem die indigenen Kleinbäuer:innen in der Region angewiesen sind. Während 70 Prozent des Landes von extremer Trockenheit betroffen sind, bleibt Wasser nur für die Pools der Touristen und Monokulturen. Unter der Erde verlaufen die natürlichen Tunnel vom Wald bis an die Küste – und liefern Nährstoffe für die Mangroven, welche wiederum Nährstoffe für die Korallenriffe generieren. Ein hochkomplexer Kreislauf, der nicht nur durch die Schneisen für den Zug gefährdet wird, sondern vor allem durch das, was er mit sich bringt: Fabriken und Tourismus. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten werden in ihrer Existenz bedroht, so etwa der Jaguar, an dem sich dreisterweise das Design des Alstom-Zuges orientiert. In den vergangenen Tagen wird mitten im Regenwald Dynamit eingesetzt, um die Schneise zu erweitern und die Höhlen zu sprengen. Arten, die sich hier in Millionen Jahren entwickelten, verschwinden in einem Wimpernschlag. Zudem ist bei den meisten Cenotes überhaupt nicht bekannt, wo genau sie verlaufen – es herrscht ständige Einsturzgefahr für die ausgebeuteten Arbeiter:innen auf den schweren Baggern, genauso wie für den Zug, sollte er einmal fahren. Vielen indigenen Gemeinschaften droht durch die Zerstörung der Ökosysteme der Verlust ihrer Lebensweise. Die Fischer an der Pazifikküste der Landenge von Tehuantepec werden großen Industriehäfen weichen müssen, die traditionelle Milpa der Kleinbäuer:innen wird durch genverändertes Saatgut aus dem Globalen Norden verdrängt werden, welches über die neuen Handelswege erstmals bis in den Südosten des Landes gelangen kann. Nachdem nach vielen Anläufen juristische Baustopps gegen Streckenabschnitte erwirkt worden sind, erklärte man den »Tren Maya« und den »interozeanischen Korridor« durch ein neues Dekret zu »Projekten nationaler Sicherheit«. Seitdem gehen die Arbeiten ungehindert weiter – mit dem Schutz von über 5.000 Soldaten allein zur Bewachung eines einzigen Abschnitts des »Maya-Zuges«, 2.000 Kameras, Militärhubschraubern und Drohnen. Allein in diesem Jahr kam es zu zahlreichen Morden an meist indigenen Landrechts- und Umweltverteidiger:innen. Diese andauernde Gewalt, insbesondere gegen Migrant:innen und Aktivist:innen, Frauen und Kinder, zerstört die Gemeindestrukturen.
Gleichzeitig sind es diese Gruppen, die Hoffnung wecken: »Die Menschheitsgeschichte steht an einem Wendepunkt, mit einem großen Potential für eine Transformation, mit der Führung von Frauen, die gegen das patriarchalische System kämpfen und auf den Geist der Mutter Erde hören. Die Frauenbewegung will auch das System der Enteignung und Zerstörung der Natur verändern. Eine neue Lebensweise ist möglich«, verkünden Delegierte der kurdischen Freiheitsbewegung auf dem internationalen Treffen, während neben der Stärkung der Frauenkollektive und -versammlungen ein weiterer Vorschlag unter den über einhundertfünfzig Beschlüssen, die am 7. Mai im CIDECI verabschiedet werden, herausragt: Die Bildung von Jugendkollektiven und -organisationen, um »inmitten von so viel Chaos, so viel Rauch, so viel Feuer, so viel Unrat, den das System in unsere Gemeinschaften wirft, weiterhin Widerstand leisten zu können, gestern, heute und in Zukunft. Ich ermutige euch«. Es sind die letzten Worte der Karawane und des Encuentros, die der zwanzigjährige C* aus O* in Veracruz spricht.
Seine Ermutigung sollte uns auch in Deutschland und Europa neuen Antrieb verleihen: Die Deutsche Bahn (DB) ist über ihr Tochterunternehmen »DB Consulting & Engineering« am »Tren Maya« beteiligt, gemeinsam mit den spanischen Bahnunternehmen Renfe und Ineco. Andere europäische Unternehmen erhalten sogar Milliarden: Alstom aus Frankreich baut die Züge, Unternehmen aus China und den USA sind ebenfalls beteiligt. Neu im Rennen ist auch Elon Musk. Kanadische Minenunterneh men suchen in der Region vermehrt nach Gold, Rüstungskonzerne aus aller Welt, auch aus Deutschland, streichen die Gewinne aus der Militarisierung ein, und in Hinblick auf große Gasvorkommen in den betroffenen Gebieten reiste auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in diesem Jahr nach Mexiko, um eine neue Flüssiggaskooperation zu bewerben. Im Industriegürtel des »interozeanischen Korridors« beteiligen sich auch deutsche Unternehmen an der Öl- und Gasförderung. Die deutsche Bundesregierung scheint diese Entwicklungen zu befürworten – und wäscht sich durch die Beteiligung an den kolonialen »Energieparks«, etwa in Oaxaca, noch die eigene schmutzige Klimabilanz »grün«.
»Klimaschutz kann auch einfach sein«, propagiert die DB, »Klimaschutz und Wohlstand verbinden« die deutsche »Fortschrittskoalition«. Seit 2018 gehört dazu auch die Neustrukturierung Südmexikos. Seit 2018 wurden in Mexiko 177 Menschenrechtsverteidiger:innen ermordet.
Es gibt keinen grünen Kapitalismus, und Klimaschutz ist eben nicht »einfach«, sondern erfordert einen Systemwechsel. Die Deutsche Bahn ist dafür nur ein Beispiel: Während sich das Unternehmen in Deutschland als »schnellster Klimaschützer« präsentiert, treibt der in über 100 Ländern und längst nicht nur in der Bahninfrastruktur aktive Konzern einen mörderischen Kolonialismus voran – nicht nur in Mexiko: Der »grüne« Strom der Züge stammt in Wirklichkeit auch 2023 noch aus Kraftwerken wie Datteln IV, in denen sogenannte »Blut-Kohle«, etwa aus indigenen Territorien Kolumbiens verbrannt wird. Ein neues Milliardenprojekt bahnt sich aktuell in Brasilien an: Inmitten eines Naturschutzgebietes im Municipio Alcântara beteiligt sich die DB am Bau eines riesigen Hafens einschließlich Schienennetz, um tonnenweise Erze, Soja und Wasserstoff abzutransportieren. So erklärt sich auch der Besuch von Kanzler Olaf Scholz oder Minister Robert Habeck und Cem Özdemir in dem südamerikanischen Land. Die deutsche Botschaft forderte zuvor Informationen über das Projekt an, und Bundesregierung sowie deutsche Unternehmen sprechen seitdem neben ökonomischem Potential von »Sorgsamkeit in sozialen und Umweltbelangen«. Diese sehen in Wirklichkeit so aus: Zerstörung unberührter Ökosysteme und Angriffe der brasilianischen Luftwaffe auf die lokalen indigenen Gemeinschaften der Quilombolas. Es ist dasselbe Muster wie beim »Tren Maya«, es sind dieselben Akteure: Neben der DB zeigen die deutsche Entwicklungsbank KfW und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ihr Interesse.
Inmitten der globalen Klimakatastrophe und des enormen Artensterbens treiben die multinationalen Konzerne mit Hilfe auch von sich selbst als »links«, »grün«, oder »fortschrittlich« bezeichnenden Regierungen unaufhaltsam die Ausbeutung der letzten intakten Ökosysteme und die Vernichtung ihrer besten Beschützer:innen – der indigenen Gemeinden – voran. Der Widerstand dagegen muss sich nicht als die marxsche »Lokomotive« verstehen, sondern, mit Walter Benjamin, als »Notbremse«.
1 ANF: Der Süden widersteht – https://anfdeutsch.com/hintergrund/der-suden-widersteht-37068
2 ANF: Der Süden widersteht, Tag 1 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-1-37235
3 ANF: Der Süden widersteht, Tag 2 und 3 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-2-und-3-37260
4 ANF: Der Süden widersteht, Tag 4 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-4-37267
5 ANF: Der Süden widersteht, Tag 5 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-5-37285
6 ANF: Der Süden widersteht, Tag 6 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-6-37299
7 ANF: Der Süden widersteht, Tag 7 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-7-37312
8 ANF: Der Süden widersteht, Tag 8 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-8-37330
9 ANF: Der Süden widersteht, Tag 9 und 10 – https://anfdeutsch.com/weltweit/reisetagebuch-der-suden-widersteht-tag-9-und-10-37356
10 ANF: Der Süden widersteht: Internationales Zusammentreffen – https://anfdeutsch.com/weltweit/internationales-zusammentreffen-der-suden-widersteht-37497
Kurdistan Report 228 | Juli / August 2023