Die Mär vom »grünen Kapitalismus«

»War das jetzt eine Rede gegen Windräder und Schienen auf einem Klimastreik?«

Victor, politischer Aktivist

 

Mehr Windräder, mehr Naturschutzgebiete, mehr Schienen? In diesem Kommentar geht es darum, wieso Klimaschutz nicht einfach ist1, wenn wir denn als einfach verstehen, weiter zu produzieren und zu konsumieren wie bisher, nur eben grün. 

Dieser Tage, in denen allein in Libyen über 10.000 Menschen in Fluten starben, während Geflüchtete, die es aus dieser Hölle in die Hölle der Festung Europa schafften, in den Waldbränden ums Leben kamen, als sie sich zwischen den Bäumen Griechenlands vor der von hier aus mitfinanzierten Mörderpolizei versteckten, dieser Tage zeigt sich in Panama, wie absurd der wilde Konzern-Kapitalismus daherkommt, der für dieses Leid verantwortlich ist.

Vor einem der wichtigsten Handelsknoten der Weltwirtschaft, dem Panamakanal, stehen die großen Öl- und Containerschiffe im Stau. Aus dem Weltall können wir sehen, wie sie sich aneinanderreihen, denn der Kanal, gespeist nicht etwa aus dem Meer, sondern dem Süßwasser der umliegenden Seen, trocknet aus. Da stößt das System an seine Grenzen, könnte man meinen, da bremst es sich selbst aus.

Das Gegenteil ist der Fall. Statt den ausgetrockneten Handelsweg als Anlass zu nehmen, die Logik zu hinterfragen, die das historische Niedrigwasser durch die Klimakatastrophe verursacht, greifen Unternehmen und Regierungen einfach nach dem nächsten, noch nicht zerstörten Territorium, um einen Panamakanal auf Schienen zu errichten.

Der »interozeanische Korridor« …

In Südmexiko, im Isthmus von Tehuantepec, dort, wo der Pazifik und der Atlantik am nächsten beieinander liegen, entsteht der sogenannte »interozeanische Korridor«. Schienen und Straßen für Güterzüge und LKWs sollen die Häfen Salina Cruz und Coatzacoalcos miteinander verbinden.

Das ist nicht irgendeine Region, es geht um eines der Territorien mit der größten vorhandenen Biodiversität der Welt, ein Territorium, in dem mehrere indigene Völker diese Biodiversität seit Jahrhunderten verteidigen, eine Umwelt, auf der ihre Lebensweise und Kultur beruht.

Damit soll nun Schluss sein: Die Häfen werden ausgebaut, Flughäfen errichtet, und der Korridor ist nicht einfach nur ein Handelsweg:

Es geht nicht einfach um den Ersatz des Panamakanals, nein, die ihn zur Dürre geführte Wachstumsdoktrin wird noch weiter intensiviert: Der »interozeanische Korridor« wird ein Industriekorridor:

Öl- und Gasraffinerien, Fabriken, Monokulturen und offener Tagebau entstehen an den Gleisen, hier wird nicht nur transportiert, sondern gleichzeitig abgebaut. Hier entstehen regelrecht rechtsfreie Zonen für internationale Konzerne, auch aus Deutschland, die für Ökozid- und Ethnozid gleichzeitig mitverantwortlich sind:

Hier werden Ökosysteme und indigene Autonomie parallel zerstört, die Lagunen am Pazifik und die Fischerdörfer der Huave, die Berge und die Dörfer der Chontales, der Chimalapas Regenwald und die Dörfer der Zoque, die Mangroven und die Dörfer der Zapoteken.

gleise… und sein verlängerter Arm

Bekannter als der »interozeanische Korridor« ist hierzulande der »Tren Maya«, der »Maya-Zug«. So schön klingt das, ein Zug für Touristen und die lokale Bevölkerung, von archäologischen Stätten zur Karibikküste und wieder zurück. In Wirklichkeit ist der »Maya-Zug« der verlängerte Arm des interozeanischen Korridors: Die auch hier von Straßen, Häfen und Flughäfen begleiteten Schienen sind direkt verbunden mit dem neuen Panamakanal, und öffnen so auch die Yucatán-Halbinsel für die kapitalistische Ausbeutung. Der Zug, vor allem aber, was er mit sich bringt, gefährdet den Maya-Regenwald, das größte Süßwasservorkommen des Landes im größten unterirdischen Flusssystem der Welt, die Mangroven, das zweitgrößte Korallenriff des Planeten und somit auch den Ozean.

Denn nun dringen Monokulturen, Fabriken und Massentourismus auch hier ein, in die bisher von ihnen geschützten Territorien der Maya, die durch das Projekt, dass zynischerweise ihren Namen trägt, eine brutale Transformation erfahren: Wo sie selbstverwaltet und von Subsistenzwirtschaft, also dem Anbauen zur Selbstversorgung, auf ihrem eigenen Land lebten, wird ihnen dieses Land gestohlen, während man ihnen »Fortschritt und Wohlstand« verspricht – sprich: Einen Arbeitsplatz. Und dieser kommt häufig auch. Als billige Lohnarbeiter in den Fabriken oder auf den Feldern, als Putzkraft im Hotel oder Restaurant der weißen Touristen, denen die Kultur der Maya als »tot« in alten Pyramiden präsentiert wird, während die lebenden Maya für eine koloniale Ausbeutung schuften.

Da das als Billigarbeitskraft nicht reicht, werden auch viele Migrant*innen in der Region festgehalten: Der interozeanische und der Maya »Zug« sind Projekte des mexikanischen Militärs, welche die Unternehmensinteressen schützen, den Widerstand bekämpfen und die aus dem Süden Fliehenden aufhalten. Viele von ihnen schuften mit auf den Baustellen des Zuges, der für sie eine Mauer ist.

Diese Schienen des »Maya-Zugs«, der nichts mit den Maya und wenig mit einem Zug zu tun hat, sind nicht grün.

Koloniale Windräder

Genauso wenig wie die riesigen Energieparks im »interozeanischen Korridor«: Vor allem kilometerweite Windparks zeigen hier, dass ein »grüner Kapitalismus« niemals nachhaltig, und vor allem nicht gerecht sein kann. Wir müssen immer fragen, von wem, für wen, und warum solche Energieanlagen entstehen:

In Mexiko werden indigene Menschen aus intakten Ökosystemen vertrieben, damit große internationale Konzerne Geld verdienen können mit einer angeblich »grünen« Stromgewinnung, die am Ende alles andere als umwelt- und klimaschonend ist:

Während die Menschen, die den Windparks in Oaxaca weichen müssen, die hohen Strompreise bereits jetzt nicht mehr zahlen können, soll ein Großteil der Energie direkt – und billig! – in die genannten Industrieparks und urbane Zentren fließen, in schmutzige Fabriken, Raffinerien und den »grünen« Transport abgebauter Mineralien und Palmöl oder Soja der Wüsten hinterlassenen Monokulturen.

Da ist dann kein Wald mehr, keine Mangroven, kein Wasser, keine Artenvielfalt, da ist keine indigene Kultur mehr, sondern Kartellgewalt und Spring-Break mäßige Partystädte für reiche Touris aus Ländern, die sich durch das Investieren in Oaxacas Windparks ihre Klimabilanz schönschreiben.

Diese Windräder sind nicht grün.

trasseÜberall »Korridore«

Und diese kolonialen Windräder stehen nicht nur in Südmexiko: Während wir alle die lächerlichen Debatten aus Bayern kennen, wo Abstands- und Sonderegeln den Ausbau der Windenergie verhindern, investieren die Münchener Stadtwerke gleichzeitig in riesige Windparks ganz im Norden Europas, in Sápmi, dem indigenen Land der Sami, welches sich über Schweden und Norwegen erstreckt.

Die traditionell Rentierhütenden, die hier Flüsse, Berge und Seen schützen, werden vertrieben, und wenn wir verstehen wollen wieso, müssen wir nur die Karte aus dem Süden Mexikos über die Karte Nordeuropas legen: Auch hier entsteht ein riesiger Handelskorridor von Küste zu Küste, begleitet durch Bergbauprojekte, Stahlproduktion, Holzwirtschaft – die Energie, welche für diese Ausbeutung notwendig ist, stammt auch aus riesigen Windparks, von denen die Menschen vor Ort nicht profitieren, und ohne die jene Ausbeutung von Mensch und Natur durch die Fabriken und Minen im bisher unberührten Ökosystem nicht stattfinden könnte.

Aber hey, auf diese Art und Weise entsteht dann der berühmte »grüne Stahl«, und hey, dann leben wir in einer Welt, in der Heckler und Koch »grüne, klimaneutrale Waffen« verkaufen kann.

Oder schauen wir nach Afrika: Auch in der von Marokko besetzten Westsahara werden die Indigenen für Windparks vertrieben, die auch hier Teil sind einer kolonialen Ausbeutung: Am Ende der Kette führt ein »grün« angetriebenes Lieferband, das längste der Welt, Phosphat an die Küste, wo es deutsche Reedereien entgegennehmen, um es in andere Industriekorridore zu transportieren, wo Phosphat für die Düngemittelproduktion großer Monokulturen gebraucht wird: Zielhafen Coatzacoalcos, am Golf von Mexiko. Wir sind zurück im Isthmus von Tehuantepec.

Ist das jetzt ein Kommentar gegen Windräder und Schienen, als Kommentar zur Klimabewegung? Nein! Es war eine Aufforderung, immer zu fragen, wer für was diese »grünen« Projekte vorantreibt.

Ist es, um ein zerstörerisches, auf ständigem Wachstum beruhendes Wirtschaftssystem einfach weiter betreiben zu können, nur grün angemalt? Oder ist es, um kollektiv und von unten gerechte Lebensbedingungen für Menschen im Einklang mit ihrer Umwelt zu organisieren?

Ein Tipp:

Wenn die Projekte von großen, multinationalen Konzernen und Banken vorgeschlagen und umgesetzt werden, können sie nicht nachhaltig sein. Wenn Staaten, die seit Jahrhunderten von der Ausbeutung des globalen Südens profitieren, plötzlich »30 Prozent der Erde unter Naturschutz« stellen wollen, heißt das meist, dass sie im Namen von Reservaten indigene Menschen aus ihren Territorien vertreiben, und plötzlich darf dann doch ein Hotel oder eine Mine im »Reservat« stehen. Wenn Regierungen, die sich selbst als »grün und progressiv« bezeichnen, weiter meinen, diese Art von Wohlstand, die ja nicht einmal uns, sondern Aktionäre und Aufsichtsräte reich macht, sei nicht nur zu halten, sondern zu vergrößern, können sie so grün und progressiv nicht sein.

Das haben uns compas aus Mexiko gesagt, compas aus Sápmi, compas aus der Westsahara.

80 Prozent der Biodiversität auf unserem Planeten findet sich in indigenen Territorien, sie leisten den wichtigsten Beitrag zum Kampf gegen Artensterben und Klimakatastrophe. Doch Unternehmen und Regierungen können ihre Klimabilanz aufhübschen, indem sie investieren in angeblich »grüne« Projekte, die diese Menschen aus diesen Territorien vertreiben.

wandbildNotbremse ziehen

Wir müssen nicht argumentieren, wo denn die »Ersatzenergie« herkommen soll, wenn wir Lützerath verteidigen, wir müssen nicht argumentieren, wo das Öl herkommen soll, wenn wir Pipelines zudrehen, wir müssen nicht argumentieren, welcher Antrieb es denn sein soll für den Individualverkehr Auto, wenn es nicht der Verbrenner ist – denn der Ersatz – ob Lithium oder Wasserstoff, bedeutet meist eine koloniale Zerstörung der letzten intakten Ökosysteme und Krieg gegen die, welche sie schützen, ob in Mexiko oder Kurdistan, wo sich die Angriffe auf die Freiheitsbewegungen intensiveren, nicht selten mit deutschen Waffen. Der »Ersatz«, ja völlig wahnsinnigerweise sogar das »noch mehr« bedeutet, dass täglich Menschen fallen im Versuch, diese Lügen-Diskurse zu durchbrechen.

Walter Benjamin, einer der Gefallenen, schrieb vor seinem Tod durch den Nationalsozialismus als Antwort auf Marx’ These von der Revolution als Lokomotive der Weltgeschichte: »Vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.«

Wir müssen anders leben wollen, und dabei und dafür nicht nur von indigenen Gemeinschaften lernen, sondern mit ihnen kämpfen: Sie leisten friedlichen Widerstand gegen Minenprojekte, sie blockieren die Strecke des interozeanischen Korridors…

Doch die Windparks, von denen ich sprach, werden mit SIEMENS Technik gebaut, die Deutsche Bahn, für welche unser Verkehrsministerium verantwortlich ist, beteiligt sich am Tren Maya und ähnlichen Megaprojekten auf der ganzen Welt, statt hier bei uns für einen günstigen Nah- und Fernverkehr abseits der Straße zu sorgen, deutsche Reedereien transportieren auf den blutigen Handelswegen, deutsche Waffen werden gegen die indigene Autonomie eingesetzt, unser Bundespräsident bittet in Mexiko um Wasserstoff, die GIZ oder die KfW Entwicklungsbank betreiben den erwähnten »Festungsnaturschutz«, und wir müssen nicht nur schauen, was sie gestern verbrochen haben und heute verbrechen, sondern auch, was sie für morgen planen:

Im Norden Brasiliens, in völlig intakten Wäldern an der Küste, wo die Nachfahren afrikanischer Sklaven leben, wird ein weiterer Korridor geplant: Hafen- und Schieneninfrastruktur für Soja, Mineralien, und grünem Wasserstoff. Mit dabei: Die Deutsche Bahn.

Dasselbe Muster, dieselben Akteure, da reichen bei uns nicht Bitten und Appelle, erst recht nicht in einer Zeit geopolitischer freidrehender Freihandels-Spiralen im gegenseitigen Überbieten zwischen China und den USA, der EU oder BRICS, die sich beim Ausverkauf der letzten Nischen überbieten wollen. Diese Geopolitik kann nicht links sein, links kann nur der kollektive Aufbau von unten sein, wir brauchen antikoloniale, antifaschistische Allianzen.

Es ist auch unsere, im Schatten der Konzernzentralen und den Büros der Verantwortlichen Lebende Pflicht, Teil der Notbremse zu sein – statt von Vereinigung von »Wohlstand und Klimaschutz« zu reden, während Lybien im Wasser versinkt, während in Panama das Wasser verschwindet, und während diejenigen, die bereits jetzt ihre Lebensgrundlage verloren haben, im Wasser ermordet werden.

Anmerkung: Dieser Text wurde ursprünglich und in leicht geänderter Form als Internationalistischer Redebeitrag aus dem Netz des Netzes der Rebellion verfasst und am 15.09. auf dem Fridays for Future-Klimastreik in Hannover gehalten. Der Text erschien bei anfdeutsch am 19.9.2023 und kann dort mit allen Quellenangaben nachgelesen werden (https://anfdeutsch.com/Oekologie/war-das-jetzt-eine-rede-gegen-windrader-und-schienen-auf-einem-klimastreik-39060#sdfootnote13anc).

 

  1 Vgl. etwa den Slogan »Klimaschutz kann auch einfach sein« der Deutschen Bahn (https://dbmobil.de/klimaschutz) oder auch den Demospruch »Klima schützen ist nicht schwer« auf diversen Demonstrationen der dt. Klimabewegung.


Kurdistan Report 230 | November / Dezember 2023