Die International Free Women's Foundation und der weltweite Frauenkampf
Der Unterdrückung von Frauen ein Ende setzen
Canan Polat, International Free Women's Foundation
Bei jeder Forschung fällt zum Thema Gewalt als Erstes das Wort »Frau«. Der Grund ist, dass die Hälfte der Frauen auf der Welt von Gewalt betroffen ist. In China werden jährlich eine Million Mädchen schon bei der Geburt umgebracht. Die Internationale Organisation für Migration hat bewiesen, dass jährlich zwei Millionen Frauen im grenzüberschreitenden Frauenhandel ausgenutzt werden. In den USA wird statistisch alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt, in England alle sieben Minuten eine Frau von ihrem Partner vergewaltigt und in Frankreich sterben monatlich sechs Frauen durch Gewalt in der eigenen Familie. Nach UNICEF-Angaben wurden in den vergangenen zwanzig Jahren in 29 Staaten in Nahost, Afrika und Asien insgesamt 125 Millionen Mädchen genitalverstümmelt und für 30 Millionen Mädchen besteht noch das Risiko der Beschneidung. Gewalt ist das Hauptproblem der Frauen auf der Welt. Allein nach offiziellen Angaben waren im Jahr 2013 in der Türkei 28 000 Frauen von Gewalt betroffen; 95 von diesen wurden ermordet, inoffiziell jedoch 192 nur in den ersten zehn Monaten des Jahres. Statistiken belegen, dass das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen unter der AKP-Regierung um das 1400-Fache gestiegen ist. Um diese Zahlen anders zu interpretieren: Jede zweite Frau in der Türkei ist von Gewalt betroffen.
Allerdings sind auch die kurdischen Frauen hier in Europa von Gewalt betroffen. Laut kurdischen Medien wurden 2013 und 2014 mehrere Frauen getötet. Yüsra Sukaya wurde am 8. März 2013, dem Internationalen Frauentag, von ihrem Ehemann in Düsseldorf ermordet. Fatma Kızıltepe Işık nahm sich am 28. Juni 2013 in Basel das Leben. Am 15. August 2013 schoss Cemil G. in Essen auf seine Ehefrau und die 19-jährige Tochter Hatice. Die Ehefrau überlebte schwer verletzt, die Tochter starb jedoch. Fatma Xalit, ursprünglich aus Rojava, wurde von ihrem Ehemann am 20. Januar 2014 in Luzern ermordet. Wo stehen wir bei dieser Problematik als Frauenorganisationen, die Teil des Aufbaus der Demokratischen Nation sind, um die Gewalt gegen Frauen an die Öffentlichkeit zu bringen, zu beenden und den Freiheitskampf der Frauen weltweit bekannt zu machen? Wie können wir mit diesen schrecklichen Zahlen der Gewalt zurechtkommen? Inwieweit können wir die gesellschaftlichen Frauenprobleme lösen?
Doch für all diese Fragen können wir nur eine Lösung finden, wenn wir uns von den Einflüssen der kapitalistischen Moderne komplett freimachen und uns bei jeglicher Arbeit den Aufbau der Demokratie zum Ziel setzen. Als kurdische Frauenorganisation haben wir dieses Ziel immer vor Augen und sind uns bewusst, dass wir das Erbe des Freiheitskampfes der Frauen weiter hochhalten.
Die Internationale Freie Frauenstiftung (International Free Women's Foundation, IFWF) wurde am 9. März 2001 in Amsterdam von Frauen aus Kurdistan und Europa gegründet. Ihr Ziel ist es, Lösungswege zu finden für ein Leben, das frei von patriarchalischen Zwängen ist. Uns ist bekannt, dass die Problematik für Frauen weltweit besteht, und wir wollen für eine demokratische Gleichstellung der Männer und Frauen in allen Lebensbereichen sorgen.
Ein wichtiges Ziel ist es, dass Frauen in allen Bereichen wie Bildung, Wissenschaft und Kunst erfolgreich werden, und das geschieht nur, wenn die physische und die psychische Gewalt beseitigt werden. Um in der Gesellschaft auf diese Probleme aufmerksam zu machen, haben wir verschiedene Veranstaltungen organisiert. Unsere erste Konferenz fand in Amsterdam zum Thema »Krieg, Frieden und Gewalt« statt. Um auf das soziale Problem zu reagieren und rechtliche Fragen zu beantworten, organisierten wir mit der Unterstützung von ExpertInnen und PsychologInnen Sommercamps für Frauen und Kinder. Mit unseren gesammelten Erfahrungen mit Frauenthemen haben wir im Jahre 2006 in Kasbach/Deutschland ein Frauenzentrum eröffnet. Es trägt den Namen Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e. V., gewidmet zwei Freundinnen, einer deutschen und einer türkischen Revolutionärin. 2007 veröffentlichten wir mit Unterstützung des EU-Programms DAPHNE II eine Studie über die traumatischen Erfahrungen kurdischer Frauen in Europa und die psychischen Folgen [auf Englisch und Kurdisch, deutsch 2009].
Mit der Arbeit der Frauenbegegnungsstätte UTAMARA haben wir einen Beitrag zur Veränderung der Mentalität von Frauen geleistet. Bereits im letzten Jahr organisierten wir dort zwanzig verschiedene Seminare. Aus den Lebenserfahrungen der Frauen entstand eine Veranstaltung unter dem Namen »Jede Frau hat eine Geschichte«. Oft werden Frauen gegen Entgelt verheiratet; um dieses Thema nicht zu verschleiern, sondern an die Öffentlichkeit zu bringen, haben wir eine Kampagne gegen Brautgeld [s. Kurdistan Report 172] initiiert.
Unsere Stiftung hat zahlreiche Kampagnen der kurdischen Frauenbewegung zum Gewaltproblem unterstützt. 2007 realisierten wir erfolgreich die Kampagne »Frau ist Leben, töte das Leben nicht«. Zur Vertiefung starteten wir zusammen mit der kurdischen Frauenbewegung eine zweite Kampagne zum Thema Ehrenmorde »Wir sind niemandes Ehre, unsere Ehre ist unsere Freiheit«. 2010 gab es zum Internationalen Frauentag am 8. März eine Kampagne »Identität der Frauen, Freiheit der Frauen« und eine weitere gegen Frauendiskriminierung folgte zum 8. März 2011.
Sinn dieser Aktivitäten ist es, für Frauenorganisationen und -vereine aus verschiedenen Ländern eine Plattform zu schaffen, um gemeinsam Kampagnen zur Abschaffung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu entwickeln. Eine soziopolitische Absicht dieser Kampagnen ist es, Frauen gegen repressive Gewalt zu sensibilisieren und den Kampf dagegen zu stärken. Als weiteres Ziel sollen Wille und Identität der Frauen gestärkt und alle gegen sie gerichteten Aktivitäten unterbunden werden, weiterhin Zwangsheirat, Frauenhandel, Krieg, Assimilationspolitik verhindert und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im sozialen Umfeld gestärkt werden. Außerdem ist beabsichtigt, auf rechtlicher Ebene strategisch Diskriminierung, Ungerechtigkeit und das nationalistische Rechtssystem zu beseitigen. Auf diesem Wege wird die Öffentlichkeit mit einbezogen, um diese Mechanismen zu verändern. Bis jetzt hat kein Gesetz, kein Gericht dazu geführt, dass die Diskriminierung von Frauen, Selbstmorde, Gewalt gegen Frauen ein Ende haben. Männer, Polizisten, Soldaten, Beamte, Geschäftsmänner, Ehemänner und Väter setzen diese Gewalt fort und leider werden immer noch Frauen als potentielle Schuldige hingestellt.
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen 2011 organisierten wir zusammen mit der Abgeordneten der französischen Nationalversammlung Marie-George Buffet eine Konferenz zum Thema »Schluss mit den Hinrichtungen und den Steinigungen«, die der im Iran hingerichteten Şirin Elemhuli und zwei weiteren kurdischen Persönlichkeiten, die eine große Rolle für Frauenrechte gespielt hatten, gewidmet war. Parallel dazu organisierten wir 2012 in London, Stockholm und Rotterdam Konferenzen zur Thematik der Hinrichtungen und Steinigungen, einige davon zusammen mit Femmes solidaires und der Europäischen Fraueninitiative.
Als IFWF haben wir Arbeiten durchgeführt, um die kurdischen Frauen als Thema auf die internationale Bühne zu bringen und unseren Kampf noch breiter zu führen. Im Januar 2013 haben wir das Weltfrauennetzwerk mitbegründet. Auf der UN-Weltfrauenkonferenz im März 2014 brachten wir den erstmals in Lateinamerika benutzten Begriff »Femi(ni)zid« wieder auf die Tagesordnung. Wir sind Mitglied bei Femmes solidaires, einer der größten europäischen Frauenorganisationen. Und wir machten als Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung auf einer unter der Schirmherrschaft der Anwältin und Vorsitzenden des Netzwerks »Stop Feminicidio« Barbara Spinelli veranstalteten UN-Frauenkonferenz im Juni 2013 auf die Pflicht aufmerksam, Gewalt an Frauen zu verhindern.
Am 7. Januar hielten wir zusammen mit dem französischen Senat und Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung eine Konferenz ab mit der Botschaft »Das Massaker in Paris ist ein Massaker an Frauen«. Außerdem haben wir im vergangenen Jahr zusammen mit der Migrationsstiftung Göç Vakfı [Nordkurdistan] ein Projekt »Yeşert Yaşat Okut ki Umudun Olayım« (Lass mich blühen, lass mich leben, damit ich zur Hoffnung werde) begonnen und setzen es auch in diesem Jahr fort. Weiterhin arbeiten wir mit der Stiftung CIBO zusammen, die gesammelte Spenden nach Rojava übermittelt hat. Am 25. Januar widmeten wir als Frauenorganisation unseren drei in Paris getöteten Freundinnen noch einmal eine Veranstaltung mit Musik, Gedichten und Sprache der Frauen.
Es ist von besonderer Bedeutung, dass wir als Frauenorganisation gegen Massaker, Hinrichtungen, Steinigungen und aus dem patriarchalischen System erwachsene Gebräuche und Kulturen kämpfen und ihnen widerstehen.
Über hundert Jahre hinweg haben Frauenorganisationen reiche Erfahrungen gesammelt und wichtige Fortschritte gemacht. Wichtig ist auch, dass Frauen ihr Bewusstsein stärken, um gegen die Diskriminierung, das patriarchalische System und die Massenmorde anzukämpfen.
Das neoliberale kapitalistische System versucht die Frauenrechte und die Demokratie zu beschneiden. Um Frauenrechte zu unterdrücken, sind in der Vergangenheit zahlreiche Massaker verübt worden. Als Kriegstaktik wird weiterhin die systematische Vergewaltigung von Frauen angewandt, was bereits in Darfur und im früheren Jugoslawien festgestellt wurde. Während des Krieges und der Zeit der Militarisierung sind Vergewaltigung, Massaker und Gewalt an Frauen normalisiert und die Täter dafür nicht bestraft worden. Es handelt sich daher um einen Kampf gegen Sklaverei, Massaker, Hinrichtungen, Steinigungen und wiederum um einen weltweiten Kampf gegen Militarismus.
Zuletzt sollen noch einmal unsere drei kurdischen Freundinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez erwähnt werden. Sie wurden am 9. Januar 2013 im Informationszentrum Kurdistan auf abscheuliche Art und Weise professionell ermordet. Mitten im Zentrum von Paris. Nur wenige Schritte entfernt von der Gare du Nord in der Rue la Fayette. All diese Aspekte belasten die französische Regierung, da sie Sakine Cansız unter Beobachtung hatte. Sakine war in der Türkei zehn Jahre lang zur schlimmsten Zeit inhaftiert gewesen und hatte schwerste Folterungen erlitten. Sie war nach Frankreich geflohen und migriert. Fidan Doğan erledigte in Frankreich und in Europa wichtige diplomatische Aufgaben für die Rechte der KurdInnen und war zuständig für das Informationszentrum Kurdistan. Dieser brutale Mord bedeutet für die KurdInnen, dass er darauf abzielte, sie zum Schweigen zu bringen und ihre Identität zu zerstören.
Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez haben eine besondere Rolle für die Frauenbewegung gespielt, und sie sind ein Symbol für die Freiheit der KurdInnen und den demokratischen Kampf und sie werden es auch immer sein. Femmes solidaires kannte Fidan mit ihrem feministischen Charakter und insbesondere dieser Charakter führte sie zum Erfolg in der kurdischen Frauenbewegung. Ihre diplomatisch elegante Art und ihr Lachen konnten selbst in der Männergesellschaft einen Sturm in einen Regenbogen verwandeln.
Unsere drei Freundinnen waren mit ihren Vorstellungen, ihrer Lebensweise, ihrer Überzeugung und ihrem Kampf nicht nur in Kurdistan und im Mittleren Osten, sondern weltweit ein Vorbild für alle Frauen. Wir denken an unsere drei Genossinnen, bedanken uns bei ihnen und vermissen sie. Wir denken mit Hass an die Täter dieses Massakers. Unsere Botschaft zum Abschluss ist, dass wir zu Massakern an Frauen nicht schweigen und uns wehren werden. Der Kampf der Bewegung der freien Frauen ist ein weltweiter Kampf und wir als Frauen müssen uns aus diesem Grund gegenseitig unterstützen und zusammenhalten.
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