Editorial


Liebe Leserinnen und Leser,

das Jahr 2021 neigt sich dem Ende entgegen. In Kurdistan zeigt sich der Widerstandsgeist der kurdischen Freiheitsbewegung wie der kurdischen Gesellschaft ungebrochen. Trotz Angriffen und Provokationen in nahezu allen Teilen Kurdistans wird der Kampf für eine Lösung der kurdischen Frage und eine Demokratisierung der Region beharrlich fortgeführt. Hierbei ist vor allem weiterhin der NATO-Staat Türkei der grundlegende Faktor, der sich einer demokratischen und friedlichen Lösung verschließt und auf militärische Eskalation setzt.

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit setzt die Türkei vermehrt chemische Kampfstoffe in Kurdistan ein | Foto: anfDer Krieg der türkischen Armee verlagerte sich in diesem Kontext in diesem Jahr vor allem auf Südkurdistan/Irak. Trotz quantitativer Überlegenheit und modernster Militärtechnologie hat sie es seit Beginn der im April eingeleiteten Besatzungsoperation in Avaşîn, Zap und Metîna nicht geschafft, die Region wie geplant zu besetzen. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit setzt sie sogar chemische Kampfstoffe ein. Das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) hat mit Videos und Fotos eindeutige Beweise veröffentlicht, dass Ankara gegen völkerrechtliche Übereinkommen über Chemiewaffen verstößt, um der Kreativität und Entschlossenheit der Guerilla etwas entgegenzusetzen.

Parallel zu diesen Entwicklungen in Südkurdistan intensivierten sich zum Ende des Jahres auch die Invasionsdrohungen der Türkei gegen die demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien. Wie bereits vor der Annexion des nordsyrischen Kantons Efrîn 2018 oder dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Serêkaniyê und Girê Spî 2019 verbreiten hochrangige türkische Staatsvertreter mit Falschnachrichten über angebliche Angriffe der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in der Besatzungszone in Nordsyrien die altbekannte Mär der »terroristischen Bedrohung« an den Staatsgrenzen, um die Stimmung für eine weitere Invasion der befreiten Gebiete anzuheizen.

Doch der offensichtliche Einsatz von chemischen Waffen und die jüngsten Invasionsdrohungen sind nicht als eine Position der Stärke zu verstehen. Ganz im Gegenteil sind sie ein Zeichen von Schwäche und zeigen, dass die expansionistischen Pläne der Türkei in eine Sackgasse geraten sind. Aktuelle Umfragen zeigen zudem, dass das derzeitige Regierungsbündnis aus AKP und MHP bei der kommenden Wahl die absolute Mehrheit verfehlen wird. Angesichts der bröckelnden gesellschaftlichen Unterstützung greift Staatspräsident Erdoğan auf die altbekannte Methode zurück, mithilfe des »kurdischen Feindbildes« die nationalistische Stimmung im Land zu schüren und die Opposition, die es in den letzten Monaten geschafft hat, die innenpolitische Agenda immer mehr zu bestimmen, zu spalten.

Die jüngsten Entwicklungen deuten auch zukünftig auf eine anhaltende militärische Eskalation in der Region hin, ein Friedensprozess in der derzeitigen Kräftebalance scheint nicht möglich. Eine passende Antwort auf die Kriegspolitik der Türkei und ihre Unterstützerstaaten wäre eine starke internationale Solidarität, die die kurdische Freiheitsbewegung auf ihrem Marsch für Frieden und Demokratie auf allen Ebenen aktiv unterstützt.

Eure Redaktion


 Kurdistan Report 218 | November/Dezember 2021