Selbstversorgung als Antwort auf das Embargo gegen Rojava

Die Probleme in Chancen verwandeln

Dirok Hevî

Kooperative in RojavaÜber das gegen die selbstverwaltete Region Nord- und Ostsyrien verhängte Embargo wurde bereits viel geschrieben. Besonders im Zusammenhang mit der Frage, mit welchen Mitteln es von außen geschwächt oder gebrochen werden könne. In diesem Artikel wollen wir uns daher mehr auf die Innenansicht konzentrieren. Was können wir hier in Rojava tun, um das Embargo zu überwinden?

Ein spannendes und lehrreiches Beispiel dafür ist Cuba. Seit es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 seine wichtigste Unterstützerin verloren hatte, war es notwendiger denn je, sich nach Alternativen umzuschauen. Weil mit dem Wegfall der Lieferung von unter anderem Pestiziden und Kunstdünger ein tiefer Einschnitt in der landwirtschaftlichen Produktion sichtbar wurde, musste eine radikale Lösung her. Der Fokus schwenkte zur Bio-Landwirtschaft, völlig ohne Kunstdünger und Pestizide. Hinzu kam die Erschließung neuer Räume für die landwirtschaftliche Nutzung. Das Resultat heute ist beeindruckend. Allein in den Städten finden sich mehr als 4.000 landwirtschaftliche Kleinbetriebe, die jährlich an die 1,5 Millionen Tonnen Gemüse produzieren und wortwörtlich vor der Haustür liegen.

Kraft der eigenen Gesellschaft

In gewisser Weise ist auch das Beispiel von Amilcar Cabral für uns von Bedeutung, der in Guinea-Bissau und den Kapverden eine Landwirtschaftsrevolution vorantrieb, um das Land unabhängig von Exporten zu machen, und damit in kurzer Zeit erfolgreich war. Mit seinen Bemühungen wurde er auch für die umliegenden afrikanischen Länder zu einem wichtigen Vorbild im antikolonialen Kampf. Er zeigte, dass allein auf die Kraft der eigenen Gesellschaft gestützt und mit gemeinsamen Bemühungen in nur kurzer Zeit große Fortschritte erzielt werden können.

Wenn wir dies alles nun auf die Lage hier in Rojava übertragen, können wir daraus folgende Schlüsse ziehen. Wir sehen, dass auch nach fast zehn Jahren der Revolution das Embargo, das uns durch die umliegenden Regime aufgezwungen wird, noch immer besteht. Es ist ebenfalls davon auszugehen, dass diese Embargo-Politik bestehen bleibt, solange es keine fundamentale Veränderung bei den Nachbar-Regimen geben wird.

Schaffung von Alternativen

Daher ist es für uns wichtiger denn je, uns auf die Schaffung von Alternativen zu konzentrieren. Selbstverständlich geschieht dies bereits schon seit einigen Jahren, nicht aber in dem Tempo, das vonnöten wäre. Wir sehen jedoch deutlich, dass immer mehr lebensnotwendige Güter lokal und in Kooperativen produziert werden. Von Linsen und Gemüse über Seife und Speiseöl bis hin zu Joghurt und Käse. Aber auch die Eröffnung einer großen Spinnerei und Weberei zur Herstellung von Baumwollprodukten muss genannt werden. Besonders im landwirtschaftlichen Bereich bietet ein sehr nährstoffreicher Boden große Vorteile. Durch die Geschichte hindurch diente die Region Mesopotamien als reiche Kornkammer. Darauf kann noch stärker aufgebaut werden. Selbstverständlich müssen in diesem Zusammenhang Lösungen gefunden werden, um die Wasserblockadepolitik des faschistischen türkischen Staates zu umgehen oder ihren Effekt auf die Landwirtschaft hier zu minimieren. Das könnte mit verbesserten Bewässerungsmethoden und Wasserspeicheranlagen erreicht werden und wird in Ansätzen schon praktiziert. Zeitgleich muss es in diesem Bereich mehr Austausch und Forschung geben, um den Anbau unter den hiesigen Umständen noch zu verbessern.

Urban Gardening in Rojava

Wie in Cuba sollten dabei auch die urbanen Räume mehr in den Fokus genommen werden. Dies würde zugleich eine Begrünung der Städte mit sich bringen (Urban Gardening). Außerdem müsste es auch in den Schulen mehr Bildung und Aufklärung zu diesem Thema geben, damit diese junge Generation mit einem neuen Bewusstsein aufwachsen kann. In diesem Zusammenhang erklärte Rêber Apo (Abdullah Öcalan), dass sich die Jugend auf den Aufbau Kibbuz-ähnlicher Dörfer konzentrieren solle. Kibbuze wurden mit starkem Schwerpunkt auf die Landwirtschaft errichtet und stellen im gleichen Zuge eine ideale Form des kommunalen Lebens dar. In ganz Nord- und Ostsyrien finden wir bis heute einen großen Bevölkerungsanteil, der in Dörfern lebt. Dörfern, die zu einem hohen Anteil mit Landwirtschaft ihr Auskommen bestreiten; eine starke Basis, auf der aufgebaut werden kann. Verbunden mit den anderen Dimensionen des Paradigmas der demokratischen Autonomie, wie etwa Selbstverteidigung, eine sehr kraftvolle Art und Weise, das Leben zu organisieren.

Ökologisches Paradigma umsetzen

Sollte man es schaffen, wie in Cuba in kürzerer Zeit solch einen Wandel zu organisieren, würde das weitere erfolgreiche Ergebnisse nach sich ziehen. Cuba ist heute führend in der Honigproduktion, weil Cuba einer der wenigen Orte weltweit ist, der nicht von dem massiven Bienensterben betroffen ist, das u. a.aus der massiven Pestizidanwendung in der Landwirtschaft resultiert. Sich ganz der ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft zu verschreiben, wäre die einzig richtige Art und Weise, die Perspektive des ökologischen Paradigmas in Rojava umzusetzen. Die demokratische Dimension des Paradigmas von Rêber Apo würde sich in der Organisierung der Kooperativen niederschlagen.

Alles in allem können wir sagen, dass trotz oder gerade wegen des Embargos die Umstände mehr als günstig sind, eine verstärkt biologische Landwirtschaft zu praktizieren und damit auch im Bereich der Selbstversorgung neue Maßstäbe und Beispiele zu setzen. In Verbindung mit einer basisdemokratischen Praxis würde dies eine angemessene Realisierung des Paradigmas von Rêber Apo bedeuten.


 Kurdistan Report 220| März/April 2022