Rückblick auf den 8. März 2022

Unser Feminismus ist international!

Women Defend Rojava

Am 8. März gehen weltweit Feminist*innen seit 111 Jahren auf die Straßen, um ihrem Protest gegen Sexismus und Patriarchat Ausdruck zu verleihen.

An vielen Orten haben sich Menschen aus unterschiedlichen Gruppen und Bewegungen zusammengefunden, um gemeinsam zu streiken, zu demonstrieren, sich auszutauschen, zu stärken und einen kämpferischen 8. März zu feiern. An diesem Tag, wie an kaum einem anderen Tag im Jahr, wird deutlich, dass der Widerstand gegen das Patriarchat und der Kampf für eine befreite Gesellschaft international gedacht werden muss.

An dieser Stelle wollen wir als Kampagne »Women Defend Rojava« einen Rückblick und eine Einschätzung über die feministischen Widerstände am 8. März 2022 in Deutschland geben.

Auf der Suche nach Analysen und Berichten über die zahlreichen Proteste am feministischen Kampftag 2022 fällt auf: Sie sind schwer zu finden. In der Medienlandschaft bestimmt der Krieg in der Ukraine die Tagesordnung.

Unser Feminismus ist international!Für uns als »Women Defend Rojava« bedeutet feministisch kämpfen immer auch, gegen Faschismus, Krieg und Kapital einzustehen. In Hinblick auf die aktuelle geopolitische Lage heißt das, sich solidarisch mit Feminist*innen und linken Kräften in der Ukraine gegen den Krieg zu positionieren. Denn Krieg bedeutet immer mehr sexualisierte Gewalt, mehr Diskriminierung vom Patriarchat unterdrückter Geschlechter und eine Verschärfung von Ungleichheiten. Diese feministische Analyse des Kriegsgeschehens fehlt jedoch häufig in der allgemeinen Berichterstattung zum 8. März und auch darüber hinaus. Stattdessen wird versucht, die Strahlkraft eines kämpferischen und antisystemischen 8. März möglichst klein zu halten. Das System bedient sich weiterhin einer Rhetorik, die das Wort Feminismus nutzt, um es sämtlicher emanzipatorischer Werte zu berauben: Annalena Baerbock nutzt den 8. März, um weiterhin patriarchale Kriegspolitik als feministische Außenpolitik darzustellen. Olaf Scholz reduziert das Patriarchat auf Lohnunterschiede. Und die taz nutzt den internationalen feministischen Kampftag, der als Widerstand gegen Krieg entstand, um Werbung der Bundeswehr mit dem Slogan »Ich kämpfe für mein Land und gegen Vorurteile« abzudrucken.

Wenn wir uns als Kampagne »Women Defend Rojava« in Deutschland rückblickend die Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen rund um den 8. März 2022 anschauen, sehen wir, dass es trotzdem nicht gelungen ist, unseren Protest zu vereinnahmen, unsichtbar zu machen und in die kapitalistische Kriegsrhetorik zu integrieren.

Zu vielen Aktionen, bei denen wir auch als Organisation beteiligt waren, kamen mehr Menschen als erwartet. Die internationalistische Verbundenheit unserer Kämpfe wurde bei der »We break your borders. We smash your fascism«-Demonstration in Berlin, im internationalistischen Block in Kassel oder bei der solidarischen Prozessbegleitung in Lüneburg sichtbar.

Das Motto der Kampagne zum diesjährigen feministischen Kampftag war »Frauenrevolution ist stärker als jede Repression«. Unter dem Hashtag #LetsFightTogether wurden zahlreiche Fotos in Solidarität mit unserer internationalistischen Freundin María, die im November 2021 aus Deutschland ausgewiesen wurde, auf Instagram und Twitter gepostet. María steht durch ihre enge Verbundenheit mit der kurdischen Frauenbewegung und deren Organisierung in Deutschland für einen feministischen und internationalistischen Kampf, den wir alle mit ihr kämpfen müssen. Die Repressionen gegen sie sehen wir als Repression gegen uns alle. Deswegen waren wir am 8. März für María, für die Betroffenen von Repression, für die politischen Gefangenen und für diejenigen, die im Kampf für eine gerechtere Welt gefallen sind, lautstark auf der Straße!

Auch wenn der 8. März bedeutet, nach draußen zu gehen und gemeinsam über Widersprüche hinweg für eine Befreiung aller vom Patriarchat unterdrückten Geschlechter einzustehen, zeigten sich auch dieses Jahr am Tag selbst wie auch in den Vorbereitungen die zahlreichen Spaltungslinien der in Deutschland vertretenen Feminismen. Die feministischen Bewegungen in Deutschland und Europa sind stark zersplittert und nehmen vielerorts die Unterschiede in den Fokus, statt sich an den Gemeinsamkeiten in den Kämpfen zu orientieren. Dies wird auch in der zum Teil fehlenden Streitkultur sichtbar, die sich in der fehlenden Bereitschaft zeigt, miteinander zu sprechen und einander zu verstehen. Diesen Ausdrucksweisen eines kapitalistischen Konkurrenzdenkens, das auch Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre und Trans-Personen internalisiert haben, müssen wir durch eine solidarische Praxis entschieden entgegentreten. Hierbei kann uns die kurdische Frauenbewegung ein Vorbild sein, wo Feminismus immer auch antikapitalistisch gedacht wird und wo konstruktive Formen von Kritik und Selbstkritik als grundlegend für den Aufbau einer neuen Gesellschaft betrachtet werden.

Angesichts der Proteste am 8. März 2022 können wir rückblickend sagen, dass sie an vielen Orten von einem internationalistischen Bewusstsein geprägt waren, dass das Bekenntnis gegen Krieg zentral war und eine Vielzahl feministischer Kämpfe und Perspektiven vertreten war.
Eine zentrale Herausforderung ist es, die Kraft des 8. März weiterzutragen. Wir brauchen eine langfristige feministische Zusammenarbeit, die über ein temporäres Zusammenkommen in 8.-März-Bündnissen hinausgeht. Nur so können wir uns untereinander kennenlernen, tiefer gehende Positionen entwickeln und gemeinsam revolutionäre Forderungen formulieren.

Es lebe der feministische Kampftag und der internationalistische Widerstand!

Jin – Jîyan – Azadî


 Kurdistan Report 221 | Mai/Jubi 2022