Deutsche Behörden setzen zunehmend auf den Entzug der Freizügigkeit, um politisch aktive Personen zu maßregeln

»Eine Gefahr für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland«

Elmar Millich, Rechtshilfefonds AZADÎ e.V.


Die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung hatte in Deutschland spätestens seit dem PKK-Verbot im Jahre 1993 immer Konjunktur. Im Fokus sowohl der Kriminalisierung als auch der öffentlichen Wahrnehmung standen dabei meist die strafrechtlichen Elemente. Zum einen sind da die Verstöße gegen das Vereinsgesetz, die das öffentliche Werben für eine staatlich verbotene Vereinigung unter Strafe stellt. Dieser Paragraf kommt meistens bei kurdischen Veranstaltungen und Demonstrationen zum Zug, wenn es um verbotene Symbole, Fahnen oder Parolen geht, die angeblich für die PKK werben. Diese Verfahren gehen seit dem jetzt fast 30 Jahre bestehenden PKK-Verbot in die Tausende. Für die Betroffenen gravierender, da meistens mit teils langjährigen Freiheitsstrafen verbunden, sind Anklagen nach der Familie des Strafrechtsparagrafen 129, der die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ahndet. Seit 2011 erfolgen Anklagen und Verurteilungen gegen kurdische Aktivist:innen ausnahmslos nach dem Unterparagraf 129b, der speziell die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – hier auf die PKK angewendet – unter Strafe stellt. Den Aktivist:innen werden dabei in aller Regel keine individuellen Straftaten vorgeworfen, sondern allgemeine legale politische Tätigkeiten wie etwa die Mobilisierung zu angemeldeten Demonstrationen.

Neben der strafrechtlichen Verfolgung politischer Aktivitäten mit kurdischem Bezug scheint der Fantasie der Sicherheitsbehörden und der allgemeinen Bürokratie keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Personen auch für legale Aktivitäten mit Schikanen zu überziehen. Vor allem betrifft dies Personen ohne deutschen Pass nach dem Aufenthalts- und Asylrecht. Das wäre allerdings ein eigener Artikel. In letzter Zeit versuchen die Behörden aber auch verstärkt die Freizügigkeit von Aktivist:innen einzuschränken, sei es situationsbedingt temporär oder dauerhaft. Dazu einige Beispiele aus den letzten zwei Jahren:

Der jüngste Versuch einer dauerhaften Einschränkung der Freizügigkeit inklusive des Entzugs von Ausweis- und Passdokumenten betraf die Kurdin Solîn G. in Oberhausen. Die Stadtverwaltung Oberhausen begründete die Maßnahme mit zwei Reisen Solîns nach Istanbul im Jahr 2022 zu Verwandten. Sie unterstellten ihr ohne weitere Indizien, diese hätten dazu gedient, dort Jugendcamps der PKK zu besuchen und sich mit den dortigen PKK-Strukturen zu vernetzen. Aus der Tatsache, dass Solîn G. sich im kurdischen Gemeindezentrum Duisburg engagiert, konstruierte die Behörde auf der Grundlage von Mitteilungen der »Sicherheitsbehörden« die »begründete Vermutung«, dass sie sich der PKK-Guerilla anschließen wolle. Daher würde ihre Ausreise »erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschlands« im Sinne des Passgesetzes gefährden.

In einem Urteil vom 7. Dezember 2022 hob das Verwaltungsgericht Düsseldorf die behördliche Verfügung auf und gab der Klage von Solîn G. vollumfänglich recht. Vor allem kritisierte das Gericht, dass die zuständige Verwaltungsbehörde solche Verfügungen nicht quasi »auf Zuruf« der Sicherheitsbehörden (in diesem Fall der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Essen) verhängen könne, sondern eine selbstverantwortliche Prüfung vornehmen müsse, ob die gesetzlichen Grundlagen für die in ihrer Verantwortung stehenden Maßnahmen – hier etwa den Entzug der Ausweisdokumente – gegeben sind. Auch wenn eine Person sich mit bemerkenswert großem Engagement und mit großer PKK-Nähe für die kurdische Sache einsetze, folge daraus laut dem Gericht nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Person bei Auslandsreisen dem bewaffneten Kampf der PKK anschließe, auch wenn dies in Einzelfällen vorkomme. Notwendig seien auf jeden Fall auf die Person bezogene Hinweise für die unterstellte Absicht, etwa dokumentierte Absichtserklärungen der Person oder bei ihr aufgefundene entsprechende Kontaktadressen im Ausland. Die von der Verwaltungsbehörde vorgetragene Vermutung, Solîn G. habe ihre beiden Istanbul-Reisen im Jahr 2022 dazu genutzt, PKK-Jugendcamps zu besuchen und sich dort zu vernetzen, bezeichnete das Gericht als »pure Spekulation«.

Ein vergleichbarer Fall ereignete sich im Januar 2021 in Berlin. Auf Betreiben des LKA wurde der Aktivist Uli vom Berliner Bürgeramt aufgefordert, innerhalb von vier Tagen seine Ausweisdokumente abzugeben, und es wurde ihm die Ausreise aus Deutschland untersagt. Im Behördenschreiben wurde ihm vorgeworfen, durch Interviews, Auftritte und Anmeldungen zum Thema Kurdistan in Erscheinung getreten zu sein. Unter anderem war er auch Mitanmelder der Demonstration für die Aufhebung des PKK-Verbots im November 2021 in Berlin. Laut Aussagen des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) lägen Anhaltspunkte vor, dass er »auf dem Sprung sei«, sich im Ausland militärisch ausbilden zu lassen, um im Extremfall nach seiner Rückkehr terroristische Anschläge zu verüben. Dadurch seien erhebliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland berührt. Auch hier bleiben die Behörden bei der Begründung der schweren Vorwürfe und damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen im rein Spekulativen: Aufgeführt wurden normale Reisen ins europäische Ausland u. a. auch nach Griechenland. Diese Auslandsbesuche könnten im Zusammenhang mit dem Besuch eines Ausbildungslagers stehen, wo er eventuell im Gebrauch von Schusswaffen und Sprengstoff ausgebildet worden sei. Eine erneute Ausreise würde die Gefahr erhöhen, dass er nach seiner Rückkehr etwa Sprengstoffanschläge verübe. Für die Unterstellung potenziell schwerster terroristischer Straftaten durch seine Person enthielt das Behördenschreiben nicht eine belastende Tatsachenbehauptung. Ein Verfahren gegen die Ausreiseuntersagung läuft zurzeit vor dem Verwaltungsgericht Berlin.

Auch EU-Freizügigkeitsrecht wird in Frage gestellt

Juristisch anders liegt der Fall bei der spanischen Internationalistin María, die sich seit langem in Deutschland für die kurdische Befreiungsbewegung engagiert hatte. Im Oktober 2021 wurde ihr von drei Zivilbeamt:innen der Polizei Halle ein Bescheid der Ausländerbehörde Magdeburg mit der Aufforderung ausgehändigt, innerhalb von 30 Tagen Deutschland zu verlassen. Sie habe ihr Freizügigkeitsrecht als EU-Bürgerin verwirkt, da sie eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Zusätzlich wurde ihr in dem Bescheid die Einreise und der Aufenthalt in Deutschland für 20 Jahre untersagt. María wurde vorgeworfen, dass sie ihren Aufenthalt und ihr Leben in Deutschland ausschließlich dafür nutze, um an politischen Aktivitäten im Zusammenhang mit der kurdischen Freiheitsbewegung in der BRD teilzunehmen oder selbst Aktivitäten dahingehend zu organisieren. In diesem Rahmen trete sie als Bindeglied zwischen der linksradikalen Szene und der PKK auf. Seit 2014 sei sie immer wieder durch ihre Teilnahme an Kundgebungen, Demonstrationen und Ähnlichem aufgefallen.

Auch im Fall von María zeigt sich, dass die deutschen Behörden in alle juristische Schubladen schauen, um Menschen zu schikanieren, die sich für die kurdische Befreiungsbewegung engagieren. Auf anwaltlichen Rat befolgte María die Ausweisung und klagt aktuell von Spanien aus gegen den Behördenbescheid.

Neben dauerhaften Einschränkungen der Freizügigkeit, verbunden mit dem Entzug der Ausweis- und Passdokumente, gibt es aber auch temporäre situationsbedingte Einschränkungen der Freizügigkeit bzw. Ausreisesperren. Das jüngste Beispiel ereignete sich anlässlich einer am 7. Januar in Paris stattgefundenen Demonstration gegen die Ermordung dreier kurdischer Aktivist:innen am 23. Dezember 2022 vor dem dortigen Ahmet-Kaya-Kulturzentrum und zum Gedenken an die vor zehn Jahren ebenfalls in Paris ermordeten kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez1. Am Vorabend der Demo wurden in Aachen Dutzende Busse aus dem gesamten Bundesgebiet bei der Anreise nach Paris gestoppt und kontrolliert. 24 Personen wurde die Ausreise aus Deutschland untersagt, da ihre Teilnahme an der Demonstration den Interessen der Bundesrepublik schade. Eine der festgehaltenen Demonstrant:innen erhielt neben dem Ausreiseverbot die Auflage, sich bis zum 9. Januar täglich bei der Polizei zu melden. Begründet wurde das Ausreiseverbot damit, dass die Betroffene seit längerer Zeit als Sympathisantin bzw. Aktivistin im Umfeld der verbotenen Arbeiterpartei PKK bekannt sei. In der Verfügung heißt es weiter: »Aufgrund der Historie ist das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland bereits beeinträchtigt, wenn deutsche Staatsbürger im Ausland an Veranstaltungen von verbotenen Vereinigungen teilnehmen und dabei ein nicht unerhebliches Aggressionspotential aufweisen. Des Weiteren können sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet sein, wenn deutsche Staatsangehörige im Ausland Straftaten begehen. Die Teilnahme an Veranstaltungen von in Deutschland verbotenen Vereinigungen birgt neben der Gefahr einer Ansehensschädigung der Bundesrepublik auch die Möglichkeit einer weiteren Vernetzung, Erwerb von verbotenem Propagandamaterial, zur Akquirierung neuer Mitglieder oder auch Radikalisierung dieser. Zudem bieten entsprechende Veranstaltungen die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam entgegen bestehender Verbote aufzutreten.«2 Interessant am letzten Aspekt der Begründung für die Ausreiseverbote sind die exterritorialen Ausweitungsfantasien der deutschen Sicherheitsbehörden. Man umgeht eben nicht das in Deutschland bestehende PKK-Verbot, wenn man in Frankreich PKK-Fahnen mit sich führt, sondern zeigt auf, wie isoliert die Bundesregierung mit ihrer radikalen Position auch in der EU steht.

Ausreiseverbot als Folge von Geheimdienstabsprachen?

Ein weiteres, etwas länger zurückliegendes Beispiel für das fragwürdige Vorgehen der Bundespolizei in Sachen Freizügigkeit stellt folgendes Ereignis dar: Am 12. Juni 2021 wurde eine 19-köpfige Delegation am Flughafen Düsseldorf an ihrer Ausreise nach Hewlêr (Erbil) Südkurdistan/Nordirak gehindert, darunter auch die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete der Linksfraktion, Cansu Özdemir. Die Delegation hatte das Ziel, gegen die völkerrechtswidrigen Militärangriffe der Türkei zu protestieren, sich vor Ort ein Bild zu machen von den Auswirkungen und dort politische Gespräche zu führen. Die Beamten der Bundespolizei begründeten ihr Vorgehen mit dem § 22 Bundespolizeigesetz sowie der Wahrung vermeintlicher außenpolitischer Interessen der BRD gegenüber der Türkei. Auf parlamentarische Nachfragen der Linkspartei äußerte die Bundesregierung, gegen 19 Personen aus der Passagierliste hätten polizeiliche Erkenntnisse mit Staatsschutzbezug vorgelegen. Ihnen wurde fälschlicherweise unterstellt, sich als »menschliche Schutzschilde« im Kriegsgebiet für die Interessen der PKK einzusetzen. Gegen diese Maßnahmen laufen ebenfalls Klagen von zwei betroffenen Hamburger Aktivistinnen. Auch wenn es auf Anfrage von der Bundesregierung abgestritten wurde, erfolgten die Maßnahmen mit Sicherheit als Folge von Geheimdienstabsprachen zwischen Deutschland, der Türkei und der PDK-geführten kurdischen Autonomieregierung im Nordirak3

Dass die Sicherheitsbehörden die Einschränkung bzw. den Entzug der Freizügigkeit zunehmend als Repressionsinstrument gegen Personen im Umfeld der kurdischen Befreiungsbewegung einsetzen, zeigt auch eine kleine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut (DIE LINKE). Laut Antwort der Bundesregierung wurde zwischen 2018 und 2022 insgesamt 131 deutschen Staatsangehörigen die Ausreise verweigert. Die Zahl stieg zwischen 2018 und 2022 von drei Personen auf 66 Personen im Jahr. Grundlage der Ausreiseverweigerungen seien europäische Datenbanken wie das Schengener Informationssystem (SIS).

Die geschilderten Fälle zeigen, dass allgemein rechtsstaat­liche Grundsätze wie das Recht auf Freizügigkeit keine Gültigkeit mehr haben, wenn es darum geht, eine politische Artikulierung der kurdischen Befreiungsbewegung von Deutschland aus nach besten Kräften zu torpedieren. So werden Aktivist:innen ihre Personal- und Ausreisedokumente aufgrund purer Spekulation entzogen. Die dabei in den behördlichen Verfügungen benutzten Formulierungen wie »Es bestehen begründete Befürchtungen …« oder »Es ist nicht auszuschließen, dass ...« sollten auch juristischen Laien klar machen, dass die Behörden nichts Belastendes in der Hand haben. Ebenso fragwürdig ist es, wenn in den geschilderten Fällen als Begründung herangezogen wird, deren Ausreise könne »das Ansehen und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährden«. Was bitte steht dem »Ansehen der Bundesrepublik Deutschland« im Weg, wenn sich deutsche Staatsbürger:innen aufmachen, um im benachbarten Frankreich an einer legalen Demonstration zum Gedenken an dort ermordete Kurd:innen teilzunehmen? Hier werden in obrigkeitsstaatlicher Manier die Interessen der deutschen Sicherheitsbehörden als Allgemeingut ausgegeben und zivilgesellschaftliches Engagement als Störfaktor. Auch wenn im Einzelnen, wie ja auch durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf schon geschehen, Gerichte korrigierend in die behördlichen Entscheidungen eingreifen, muss auch dieser Form der Repression durch Solidarität und Öffentlichkeitsarbeit entgegengewirkt werden. Damit vor allem auch die Betroffenen ermutigt werden, juristisch dagegen vorzugehen.

Fußnoten:

1 - Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) wurden in den Räumen des Kurdischen Informationsbüros in Paris am 9. Januar 2013 ermordet.

2 - zit. nach ANF-Beitrag »Deutsche Polizei hindert Aktivisten daran, nach Paris zu reisen, um gegen tödliche Angriffe auf Kurden zu protestieren«, https://anfenglish.com/news/german-police-prevent-activists-from-traveling-to-paris-to-protest-deadly-attacks-against-kurds-64791

3 - s. KR 216 Juli/August 2021

 


 Kurdistan Report 226 | März/April 2023