Prozess gegen Kenan Ayaz soll im November in Hamburg beginnen

Freiheit für Kenan Ayaz!

Solidaritätskomitee »Free Kenan«

Vor dem Oberlandesgericht Hamburg ist am 3. November der Prozess gegen den aus Zypern an Deutschland ausgelieferten Kurden Kenan Ayaz eröffnet worden.. | ANF

 

»Das Ausspielen der Terrorkarte gehört zur Strategie, den Widerstand gegen die Unterdrückung und Diskriminierung von Kurdinnen und Kurden zu diskreditieren.« (Kenan Ayaz)

Kenan Ayaz ist langjähriger Aktivist der kurdischen Bewegung und war in der Türkei aufgrund seiner politischen Identität für zwölf Jahre im Gefängnis. Als 17-Jähriger wurde er wegen einer unter Folter zustande gekommenen Falschaussage verhaftet und war bis zu seinem 29. Lebensjahr inhaftiert. Haft und Folter konnten ihn nicht brechen, er blieb für die kurdische Befreiungsbewegung aktiv.

Seit 2013 lebte er im griechischen Teil von Zypern und hat dort den Status als anerkannter Flüchtling. Am 15. März 2023 wurde er am Flughafen von Larnaka festgenommen und am 2. Juni auf Antrag der Bundesanwaltschaft nach Deutschland ausgeliefert.

Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. So sind in den vergangenen Monaten aufgrund von Haftbefehlen aus Deutschland kurdische Aktivist:innen aus Italien, Frankreich und Belgien ausgeliefert worden. Offensichtlich will die rot-gelb-grüne Regierung dem faschistischen Erdoğan-Regime u.a. mithilfe des Europäischen Haftbefehls bei der Verfolgung politischer Oppositioneller, vor allem aus der kurdischen Freiheitsbewegung, behilflich sein.

Die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden beschuldigen Ayaz der »Mitgliedschaft in der PKK«, weshalb er gemäß §§129a/b Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt wurde. Angeblich habe er zwischen 2018 und 2020 verschiedene »PKK-Gebiete« in Deutschland verantwortlich geleitet, darunter das Gebiet Hamburg. Seit seiner Auslieferung sitzt Ayaz in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ein – verbunden mit einem strengen Haftstatut, das teilweise Isolationshaft, Trennscheibe und eine ständige Überwachung seines Besuchs, einschließlich dessen seiner Verteidigung, beinhaltet.

»Da der türkische Staat mich vom zypriotischen Staat nicht rechtlich ausliefern lassen kann, will er dies durch den deutschen Staat erreichen.«

Während des Widerstandes gegen seine Auslieferung erklärte Kenan Ayaz in einem Interview mit der zypriotischen Zeitung Simerini:

»Ich kämpfe für die Freiheit der Kurd:innen, der Zypriot:innen und der Völker des Nahen Ostens. Diese Aktivitäten sind vollkommen legal und werden öffentlich vor den Augen der Presse durchgeführt. Konferenzen, Seminare, Diskussionsrunden und Fernsehsendungen sind öffentlich zugänglich. Ich habe keine gewalttätigen terroristischen Handlungen begangen. Meine gesamte Arbeit entspricht dem europäischen Recht. Sie können in keiner der Anschuldigungen, die Deutschland gegen mich erhoben hat, Gewalt erkennen. Es gibt Anschuldigungen wie Treffen und ›Propaganda‹. Keine dieser Anschuldigungen kann als Terrorismus eingestuft werden. Ich wurde im KCK-Prozess in der Türkei denselben Anschuldigungen ausgesetzt. Meine Teilnahme an Konferenzen wird als Straftat angesehen und mit Jahrzehnten Haft bestraft. Die Türkei fordert meine Auslieferung von Europa wegen des KCK-Prozesses, in dem ich angeklagt bin. Tatsächlich scheint es, dass Europa, insbesondere Deutschland, Drahtzieher dieses Prozesses ist. Da der türkische Staat mich vom zypriotischen Staat nicht rechtlich ausliefern lassen kann, will er dies durch den deutschen Staat erreichen. In Deutschland haben sie um meine Auslieferung von Zypern gebeten, und sie werden mich an die Türkei ausliefern.«

Breite Solidarität auf Zypern

Es ist offensichtlich, dass das Mittel des Europäischen Haftbefehls instrumentalisiert wird, um in anderen Ländern die Repression nach deutschen Gesetzen durchzusetzen. Die Auslieferung von Kenan Ayaz in die Bundesrepublik ist ein eindeutiges Beispiel. In Ländern wie Zypern oder auch Belgien gibt es kein Verbot der PKK.

Das Verteidigungskomitee von Kenan Ayaz auf Zypern hatte beim Supreme Court in Nikosia, dem obersten Gericht Zyperns, alle Rechtsmittel eingelegt, um eine Überstellung des kurdischen Aktivisten an Deutschland zu verhindern. Während der drei Monate des Verfahrens formierte sich eine breite Bewegung auf Zypern, die sich gegen die Auslieferung von Ayaz stellte und die ein großes Medienecho erfuhr. »Es gab eine enorme Solidarität der zypriotischen Zivilgesellschaft und der kurdischen Community, die vor allem von jungen Menschen ausging. Der gesamte Prozess entfaltete sich zu einem sozialen Phänomen«, führt Efstathios C. Efstathiou, der Anwalt von Kenan Ayaz, aus. Er berichtet von Hungerstreiks vor dem Justizgebäude und großen Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmenden. Das große Engagement begründet der Jurist mit der »gemeinsamen Vision«, die Kurd:innen und Zypriot:innen teilen würden. So steht ein erheblicher Teil der zypriotischen Bevölkerung auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrung mit dem türkischen Unrechtsregime dem kurdischen Freiheitskampf positiv gegenüber. An den Protesten nahmen zahlreiche Politiker:innen, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, linken Gruppen und Parteien teil.

Menschenrechtsbeobachtungsstelle für Kenan Ayaz

Die zypriotische Gesellschaft ist entschlossen, Kenan Ayaz zurück nach Zypern zu holen, und kritisiert die Bundesregierung scharf für die Verfolgung des kurdischen Befreiungskampfes. | ANFDer Auslieferung von Kenan Ayaz aus Zypern nach Deutschland hatte das zypriotische Gericht am 16. Mai unter zwei Auflagen zugestimmt: Erstere versichert, dass auch bei einem Urteil gegen den Angeklagten unter keinen Umständen eine Auslieferung an die Türkei stattfinden dürfe. Mit der zweiten wird garantiert, dass im Fall einer Verurteilung die Haftstrafe in Zypern und nicht in Deutschland abgesessen werden soll. Rechtsanwalt Efstathiou und andere Personen aus dem Verteidigungskomitee gründeten nach dem Beschluss ein Menschenrechtsbeobachtungszentrum explizit für den Fall von Kenan Ayaz. Dieses plant, in Hamburg jeden Prozesstag auch dahingehend zu beobachten, ob das Verfahren nach internationalen Menschenrechtsstandards durchgeführt wird.

Die »Beobachtungsstelle für den Prozess gegen Kenan Ayaz« will die zypriotische Gesellschaft darüber informieren, was in Hamburg geschieht und geschehen wird. Und es erinnert an die Zusicherungen des zypriotischen Staates bezüglich der Bedingungen des Bezirksgerichts von Larnaca: die nicht konsekutive Auslieferung des kurdischen Aktivisten an die Türkei und die Verbüßung seiner Strafe, falls er verurteilt wird, auf Zypern. Die Beobachtungsstelle wird alles, was Kenan Ayaz betrifft, aufzeichnen und sich nach Kräften bemühen, Gleichgültigkeit und eine Vertuschung dieser politischen Verfolgung zu verhindern. Unser kleiner Beitrag für die kurdische Freiheitsbewegung: die sofortige Rückkehr des kurdischen Aktivisten und Intellektuellen Kenan Ayaz nach Zypern!

Die zypriotische Gesellschaft ist entschlossen, Kenan Ayaz zurück nach Zypern zu holen, und kritisiert die Bundesregierung scharf für die Verfolgung des kurdischen Befreiungskampfes. So schreibt der zypriotische Journalist Aristos Michaelides:

»Die Kurd:innen haben in den Ländern, in denen sie leben, nie Waffen und Bomben verwendet. Sie haben in europäischen Städten noch nie blinde Selbstmordattentate verübt. Weder in Deutschland noch anderswo. Sie führen friedliche Veranstaltungen nur durch, um die Europäer:innen über den Kurdistan-Kampf zu informieren und ihre Traditionen im Exil zu bewahren. Und doch werden sie wie Dschihadist:innen des IS behandelt. Als gefährliche Terrorist:innen. […] Aber wenn Deutschland sich Sorgen um Dschihadist:innen macht, muss es zunächst erkennen, wer die wirklich gefährlichen Terrorist:innen sind, und aufhören, der terroristischen Türkei und ihrem Völkermord am kurdischen Volk nachzueifern. Denn sie vergaßen wie die US-Amerikaner:innen sehr schnell, dass es die Kurd:innen waren, die als ihre Verbündeten in Syrien gegen den IS kämpften. In den Kämpfen gegen den Islamischen Staat wurden 13.000 Kurd:innen getötet. Während Erdoğans Türkei vorgeworfen wurde, mit dem IS zusammenzuarbeiten und ihn zu stärken.«

Die Anwält:innen von Kenan Ayaz, Antonia von der Behrens und Stephan Kuhn, sowie der zypriotische Rechtsanwalt Efstathios C. Efstathiou haben am 25. September beim Oberlandesgericht Hamburg den Antrag gestellt, die Anklage gegen ihren Mandanten abzuweisen und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Verteidigung erklärte, die Anklage stütze sich hauptsächlich auf unbelegte Informationen des deutschen Geheimdienstes, bloße Vermutungen über die angebliche Arbeitsweise der PKK in Deutschland und Textnachrichten, die sich nach der Lesart der Staatsanwaltschaft auf die Teilnahme an Demonstrationen und Versammlungen und das Sammeln von Spenden beziehen. Das sei »selbst nach den weit gefassten Anti-Terror-Gesetzen in Deutschland kein ausreichender Grund, um Kenan Ayaz anzuklagen«.

Das Solidaritätskomitee »Free Kenan« fordert die sofortige Freilassung von Kenan und allen politischen Gefangenen.

Schreibt an Kenan Ayaz: Seine Postadresse in der Untersuchungshaft lautet Kenan Ayas, Holstenglacis 3, 20355 Hamburg. (Anmerkung: sein tatsächlicher Familienname lautet zwar Ayaz, doch ist er in türkischen Dokumenten mit Ayas angegeben. Damit er Briefe etc. erhält, muss unbedingt der Name Ayas verwendet werden.)

Der Prozess gegen Kenan Ayaz soll unter dem aktuellen Kenntnisstand am 3. November 2023 beginnen. Das Solikomitee ruft zu einer Kundgebung vor dem Gericht und zur Prozessbeobachtung auf.

Weitere Infos: http://www.kenanwatch.org

Da die Soliarbeit wie zum Beispiel die Begleitung des Prozesses mit einem hohen Aufwand an Kosten verbunden sein wird, bittet das Solidaritätskomitee um Spenden:

Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
IBAN DE06 2001 0020 0084 6102 03
Stichwort: Free Kenan


 Kurdistan Report 230 | November / Dezember 2023