Zu dem Buch- und Filmprojekt Mavi Ring
Die Geschichte vom blauen Transporter
Fuat Kav
Wir wissen, dass Herrschende und Regierungen Gefängnisse schon immer als effektivste Waffe betrachtet haben, um Oppositionelle außer Gefecht zu setzen.
Das bestehende System benutzt die Gefängnisse dabei nicht nur zur Bändigung der Opposition, sondern auch als Instrument, um ihren Willen, ihre Entschlossenheit und Überzeugung zu brechen. Dafür schafft es mächtige Bauwerke und in deren unterste Ebenen baut es dunkle Zellen, um dort brutal und grausam gegen die Oppositionellen vorzugehen.
Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass sie in der Geschichte am grausamsten, brutalsten und blutigsten in Gefängnissen behandelt worden sind. Das ist der Ort, an dem die tragischsten, dramatischsten und qualvollsten Praktiken angewandt werden.
Die »größten« Imperatoren, Mächte, Herrscher, Besatzer und Kolonialmächte hatten jeweils die größten Gefängnisse. An diesen Orten wurden dann bedenkenlos unzählige Wissenschaftler gefoltert, Revolutionäre in diesen unterirdischen Gängen dem Tod überlassen und Philosophen in diesen verschimmelten Zellen zu Tode gebracht.
In Frankreich gehört die »Bastille«, im Osmanischen Reich das »Yadukule« und heutzutage »Diyarbakır No. 5« zu den prägendsten Anstalten. Eines der Länder, die diese Gefängnismentalität und die daraus entspringende Praxis heutzutage noch umsetzen, ist unbestritten die Türkei. Diese »Gefängnisgesinnung«, die sie vom Osmanischen Reich erbte, reicht für ein vernichtendes Ausmaß. So wird das Gefängnis als Werkzeug zur Lösung, Zerschlagung und Inbesitznahme genutzt.
Am brutalsten wird diese Politik gegen die inhaftierten Kurden praktiziert. Man versucht, sie zu assimilieren, die nicht Inhaftierten ermordet man. Diese Politik wurde zur Zeit des Militärputsches am 12. September 1980 genauso betrieben wie auch heute noch. Selbst wenn die Methode sich geändert hat, so wird im Wesentlichen dieselbe Politik angewendet: »Verhafte sie, brich ihren Willen, ihre Entschlossenheit und lass sie Verrat üben!« Das Ergebnis davon war Brutalität und die Ermordung Hunderter Inhaftierter.
Das Buch »Mavi Ring – Der blaue Transporter« ist eine Auseinandersetzung mit der Mentalität und dem Verständnis dieser Politik. Es wurde als praktischer Ausdruck der 16-stündigen ausgeübten Brutalität des türkischen Staates gegen Kurden konzipiert und geschrieben. Berichtet wird über eine 16-stündige Deportation, als 26 Inhaftierte eine Reise mit tragischen Qualen antreten, wobei schließlich zwei Inhaftierte ihr Leben lassen.
Ich war 20 Jahre, 6 Monate, 6 Tage lang in verschiedenen Gefängnissen der Türkei inhaftiert. Dabei war ich überaus schwerer Folter unterworfen, viele meiner Freunde wurden ermordet. So auch mein Freund Cemal Kılıç, dem vor meinen Augen der Kopf zertrümmert wurde. Während manche als Akt des Widerstands sich selbst anzündeten, verloren andere ihr Leben während des Todesfastens, wiederum andere nahmen sich das Leben, um gegen die Folter zu protestieren. Das alles waren für mich unbeschreiblich bittere und tragische Geschehnisse. Aber die Reise im blauen Transporter war das Allerschlimmste.
Dabei verloren zwei meiner Freunde das Leben, vor Durst und Hitze, während sie sich gegenseitig den Schweiß ableckten, wimmernd, erstickend, bis sie keine Luft mehr bekamen. Und das passierte, während ich in der Nachbarzelle saß. Ich habe ihren Tod nicht mit ansehen müssen, der Freund jedoch, der mit ihnen in der Zelle saß, konnte alles, Sekunde für Sekunde, berichten. Der Tod dieser zwei Freunde hat sich tief in mein Bewusstsein gegraben. Deshalb ist er für mich um vieles tragischer als der Tod anderer.
Ein Freund, der sich mit Film beschäftigt, hörte von der Geschichte und erzählte mir, dass er sie auf die Leinwand bringen wolle. Obwohl ich sehr beschäftigt war, brachte ich diese tragische Geschichte in die Form eines Drehbuchs und schickte es ihm. Auf Anraten machte ich dann aus dem kurzen Drehbuch ein Buch.
Die erste Ausgabe wurde durch den Verlag »Aram« in der Türkei veröffentlicht, ein Jahr später durch den Verlag »Mezopotamya Yayınevi«. In der Türkei wurden die beiden ersten, in Europa dann die dritte Auflage herausgegeben. Nachdem der Dichter und Journalist Bayram Balcı das Buch gelesen hatte, suchte er den Kontakt mit mir, weil er der Meinung war, dass das Buch verfilmt werden sollte. Später kam auch der Regisseur Ömer Leventoğlu hinzu.
Zum Film möchte ich einige Worte anmerken. Ich konnte meine Gedanken nicht strikt auf das Szenario konzentrieren, somit wurde er nicht mit der Intensität der fiktiven Idee realisiert. Deshalb möchte ich erwähnen, dass es in diesem Film etliche kritikwürdige Aspekte gibt. Seine Zusammenhänge konnten nicht exakt angeglichen werden, er wurde stückweise, unzusammenhängend und unsystematisch gedreht.
Kino sollte jedoch die Gesamtheit eines bestimmten Themas, die Beziehung von Begebenheiten und Tatsachen und das subjektive Empfinden der Menschen zueinander ausdrücken. Gäbe es das nicht, könnte das Kino nicht die Botschaft weitergeben, oder sie könnte nicht ihren Zweck erfüllen. In diesem Film werden diese Mängel deutlich.
In dem Zusammenhang können auch die Filmcharaktere angesprochen werden, sie müssten bestimmter und fester Art sein. Ich denke, auch das fehlt in dem Film. Obwohl die Charaktere im Buch präzise und klar sind, werden sie im Film nicht deutlich.
Da ich kein Filmkritiker bin, kann ich Aufnahme-, Bild-, Licht-, Tonqualität nicht beurteilen. Das überlasse ich den Filmkritikern.
In der Tat war das jetzt Geschriebene nicht unser Thema, ich hatte jedoch das Bedürfnis, einiges zu dem Film loszuwerden.
Nach der Veröffentlichung des Buches fragte mich ein Freund, der als Journalist arbeitet, ob mir die Erlebnisse im blauen Transporter oder das Verfassen des Buches schwerer gefallen seien. Die Frage war auch angebracht, denn bis zu jenem Tag hatte ich weder darüber nachgedacht noch solche intensiven Gefühle durchlebt. Natürlich hatte ich Schmerzen empfunden, während ich diese Dinge erlebte, vor allem als ich hörte, wie meine Freunde litten. Aber als ich 28 Jahre später über sie schrieb, erneut an sie dachte, litt ich ungeheure Schmerzen. Meine Freunde waren vor 28 Jahren in der Nachbarzelle vor Durst gestorben, wegen Luftmangel erstickt. Zudem waren sie, nachdem sie aus der Zelle geholt worden waren, brutal gefoltert worden. Trotz der Schmerzen beim Schreiben beruhigt es mich, wenn ich ihren Widerstand und ihre Kampfhaltung weitergeben und auf die Leinwand transportieren kann.
Beim »50. Internationalen Antalya Goldene Orange Filmfestival 2013« wurde er prämiert. Diese Auszeichnung ist den Freunden und ihrem Kampf gewidmet. Entsprechend gedenken das Buch und der Film »Der blaue Transporter« Hüseyin Hüsnü Eroğlus und Mehmet Yalçınkayas, auch der im Kampf gefallenen Freunde Mustafa Gezgör und Doğan Kılıçkaya. Der Zweck des Films ist es, an sie zu erinnern, ihren Widerstand aufzuzeigen und sie im Gedächtnis weiterleben zu lassen. Der Leser oder Zuschauer soll verstehen, wie die Freiheit und die geschaffenen Werte erkämpft worden sind.
In dieses Buch haben Hüseyin Hüsnü Eroğlu, Mehmet Yalçınkaya, Mustafa Gezgör und Doğan Kılıçkaya viel Arbeit, Kampf und ihren Freiheitsgeist gesteckt. Sie sind nun freie Seelen, und solange das kurdische Volk existiert, wird dieser Freiheitsgeist weiter bestehen. Das soll die Welt wissen.
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